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10.12.11 / Kalte Wissenschaft / Roman über Polarforscher

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-11 vom 10. Dezember 2011

Kalte Wissenschaft
Roman über Polarforscher

Mit der Theorie der Kontinentaldrift ist der Name des Meteorologen Polar- und Geowissenschaftlers Alfred Wegener (1880–1930) verbunden, obwohl dieser keinesfalls als Erster eine derartige Auffassung vertrat. 1912 präsentierte Wegener erstmals seine These von dem Auseinanderbrechen eines Urkontinents und der Verschiebung der Kontinente vor einem Fachkollegium in Frankfurt. Er stieß damit auf entschiedenen Widerspruch, zumal er gleichzeitig der damals gängigen Lehre von den versunkenen Landbrücken widersprach. Erst drei Jahrzehnte nach dem Tod des Forschers wurde die Theorie von der Plattentektonik anerkannt. In seinem Wissenschaftsroman „Alles Land“ erzählt der 1968 geborene Kölner Verlagsleiter Jo Lendle seine Version vom Leben des bedeutenden Pioniers der Arktisforschung.

Als jüngstes Kind einer märkischen Pastorenfamilie wuchs Alfred Wegener in Berlin und Zechlinerhütte bei Rheinsberg auf, studierte Physik, Metereologie und Astronomie. Mit seinem Bruder stellte er im April 1906 mit 52,5 Stunden einen Rekord für Ballonfahrten auf. 1908 wurde Wegener Privatdozent für Meteorologie, praktische Astronomie und kosmische Physik in Marburg. Lebenslang erschloss er sich neue Forschungsfelder. 1924 wurde er an die Universität Graz berufen. Während seiner dritten Grönland-Expedition kam der Ausnahmewissenschaftler Ende November 1930 bei minus 54 Grad in einem Schneesturm ums Leben.

„Dies ist ein Roman, er weicht in vielem vom Leben des wirklichen Alfred Wegener ab“, schreibt Jo Lendle im knappen Nachwort. So lernt der Protagonist, anders als das reale Vorbild, seine spätere Ehefrau Else Köppen schon lange vor seiner ersten Grönland-Expedition im Jahr 1905 kennen. Damit erzielt der Autor eine Erweiterung seines Erzählspektrums bei der Begleitung des Romanhelden auf der dänischen Grönland-Expedition; denn Lendles Interesse bezieht sich gleichermaßen auf die Ausleuchtung der Gefühlswelt des literarischen Wegener. Mit den Schilderungen der Ereignisse während der Forschungsreisen kann er überzeugen. Verwunderlich und durchaus störend sind allerdings die vielen banalen Sentenzen und sinnfreien Sätze, Einfälle des Autors, die wahrscheinlich als origineller Stil durchgehen sollen. Frühzeitig hat sich der Protagonist vom Glauben abgewandt, den sein Vater, ein heimlicher Poet, so unerschütterlich vertrat: „Richard Wegener schrieb nachts, wenn alles schlief, sogar Gott. Er hätte nicht erklären können, was falsch daran war.“

In einem Buch zählen nicht nur die spannenden Abschnitte. Bald schon merkt man, dass die Zeiträume zwischen den Höhepunkten dieses Forscherlebens nur unbefriedigend überbrückt werden. Formal könnte das Buch auch als eine überlange Erzählung eingeordnet werden, denn die Dialoge sind selten, kurz und unergiebig. Es ergibt sich daraus wenig Erhellendes. Weiterhin fehlt, bis auf einige Ansätze, ein kulturhistorischer Rahmen. Sogar die notwendigen Erläuterungen zum Verständnis der emsigen Forschungs- und Publikationstätigkeit des Protagonisten sind dürftig ausfallen. Ein Glossar wäre hilfreich gewesen. Mit diesem Buch dürfte Jo Lendle daher vermutlich vor allem diejenigen Leser erfreuen, die sich auf seine Fabulierlust einlassen mögen. Für viele andere könnte es sich als ein Griff ins Leere erweisen.

Dagmar Jestrzemski

Jo Lendle: „Alles Land“, DVA, München 2011, kartoniert, 376 Seiten, 19,99 Euro


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