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17.12.11 / Aufstand gegen den »neuen Breschnew« / Moskau: Massenproteste gegen den Kreml und gefälschte Wahlen − Vorboten eines »Russischen Winters«?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-11 vom 17. Dezember 2011

Aufstand gegen den »neuen Breschnew«
Moskau: Massenproteste gegen den Kreml und gefälschte Wahlen − Vorboten eines »Russischen Winters«?

Auch eine Woche nach den Parlamentswahlen halten die Proteste gegen das Wahlergebnis landesweit an. Eine Frage, die alle beschäftigt, ist, wie der Kreml und insbesondere Wladimir Putin damit umgehen. Die Alternative zur Demonstration von Macht und Stärke wären Reformen von oben, doch ist die Regierung bereit, auf seinen Souverän, das Volk, zu hören?

Allein in Moskau waren es 50000 Menschen, einige Zeitungen vermelden sogar 100000, die an der genehmigten Demonstration teilnahmen. Obwohl die Protestierenden schon dicht gedrängt auf dem Bolotnaja-Platz standen, der ihnen von der Stadt für ihre Kundgebung zugewiesen worden war, reichte der Raum nicht aus: Auch eine angrenzende Fläche, die Luschkow-Brücke und die Nebenstraßen waren überfüllt. Diejenigen, die sich trotz des Aufgebots von 51000 Polizisten und Militärs am vergangenen Sonntag auf die Straße wagten, sind nicht nur Anhänger der nicht zur Wahl zugelassenen Oppositionsparteien. Die Menschen wollten einfach ihren Zorn über die dreisten Wahlfälschungen zum Ausdruck bringen. Die Demonstranten fordern Neuwahlen, den Rücktritt des Chefs des Zentralen Wahlkomitees Wladimir Tschurow, die Untersuchung aller Fälle von Wahlfälschungen sowie eine vereinfachte Zulassung für neue Parteien.

„Es sind die Kinder der Marktreform, sie einigt nicht eine liberale Idee, sondern der Protest gegen Gewalt und Lügen. Die Mittelschicht geht auf die Straße.“ So sieht es Michail Deljagin, Direktor des Insituts für Globalisierungsfragen. Die Bürger Russlands sind erwacht. Sie fühlen sich von ihrer Regierung nicht nur nicht vertreten, sondern in ihrer Würde verachtet. Als „Wutbürger“ treten sie dem Regime mutig entgegen. Ihr Kreuzchen zur Wahl bei einer der anderen zugelassenen Parteien zu setzen, war ihre einzige Möglichkeit zu zeigen, dass sie mit der Rochade Putin-Medwedjew nicht einverstanden sind. Wohl wissend, dass die Vertreter der „Systemopposition“, also der zwar zugelassenen, aber kremltreuen Abgeordneten, die Wählerinteressen nicht vertreten werden. Eine Rückkehr Putins ins Präsidentenamt bietet keine Perspektive für ein liberales Russland. Bürger befürchten, dass Putin wie einst Breschnew an der Macht kleben wird.

In den beiden vorangegangenen Amtszeiten ermöglichten hohe Öl- und Gaspreise es Putin, die Wirtschaft des Landes zu konsolidieren, Schulden abzubauen und das Volk mit Geschenken ruhigzustellen. Dieses Glück könnte ihm in seiner dritten Amtszeit nicht mehr beschieden sein, denn die oft angekündigte Diversifizierung der Wirtschafts- und Industriezweige wurde nicht umgesetzt. Inzwischen sind viele Junge und Menschen mittleren Alters in der Welt herumgekommen und konnten sich selbst ein Bild von der Lage Russlands von außen machen. Ein im Ausland lebender Unternehmer sagte über den Parteitag von „Einiges Russland“: „Es war wie der 25. Parteitag der KPdSU. Welch ein Jubel und Applaus. Russland ist in die schlimmsten Jahre der Sowjet-union zurückgekehrt.“

Russland steckt mitten in einer Systemkrise. Während der Kreml noch an seinem bisherigen Vorgehen festhält. Putin drohte an, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen weitere Proteste vorgehen zu wollen −, ist bereits die nächste Demonstration für den 24. Dezember angekündigt, wieder in einer Größenordnung wie die letzte. Das Internet ist die Plattform für die Protestbewegung. In Blogs tauschen die Bürger Meinungen aus und verabreden ihre Aktionen. Laut Umfragen sind erneut über 100000 Menschen bereit, auf die Straße zu gehen.

Bislang hat Wladimir Putin sich mit Äußerungen zur Protestbewegung zurückgehalten. Niemand zweifelt daran, dass er sich bei der Präsidentenwahl im März durchsetzen wird, doch stellt sich brennend die Frage, wie er dem wachsenden Widerstand begegnen wird. Sein erster Impuls, den Schuldigen für die Wahlniederlage im Ausland zu suchen und eine von der Partei „Einiges Russland“ organisierte Kundgebung, an der 25000 Putin-Anhänger − teils unter Zwang − teilnahmen, zeugen von Hilflosigkeit. Medwedjew versprach zwar, die beobachteten Fälle von Wahlfälschungen überprüfen und die Schuldigen bestrafen zu lassen, Neuwahlen soll es deshalb aber nicht geben. Gerüchten zufolge hat Putin nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in seinem Führungsteam die Autorität verloren. Am Montag ging die Regierung erstmals auf die Opposition ein und lud 70 Teilnehmer zu einem klärenden Gespräch am Runden Tisch ein.

Wenn Wladimir Putin weiterhin den Wählerwillen ignoriert, steht ihm laut der Prophezeiung eines Bloggers ein „Russischer Winter“ analog zum „Arabischen Frühling“ bevor – und ein Ende wie Gaddafi. Manuela Rosenthal-Kappi


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