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17.12.11 / Dem Knackpunkt ausgewichen / Finanzierung der Pflegeversicherung nur kurzfristig gesichert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-11 vom 17. Dezember 2011

Dem Knackpunkt ausgewichen
Finanzierung der Pflegeversicherung nur kurzfristig gesichert

„2011 steht im Zeichen der Pflege. Die langfristige Sicherstellung der pflegerischen Versorgung alter und gebrechlicher Menschen ist uns dabei ein besonderes Anliegen“, ist auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums zu lesen. Doch die Bilanz des „Jahres der Pflege“, das noch unter Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) ausgerufen wurde, dürfte seinen Nachfolger Daniel Bahr (FDP) nicht mit Stolz erfüllen.

2005 wurde der gelernte Banker und studierte Volkswirt Bahr gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion und bewies anhand fachkundiger Stellungnahmen, dass das Thema Gesundheit ihn ernsthaft interessiert. Als er nun im Mai aufgrund des Wechsels an der Spitze der FDP das Gesundheitsministerium vom neuen FDP-Chef und Wirtschaftsminister Rösler übernahm, war er also durchaus mit der Materie vertraut. Doch das Ergebnis des „Jahres der Pflege“ ist mal wieder nur ein „Reförmchen“, das immerhin die Versorgung von Demenzkranken verbessern will, wenig Handfestes zu bieten hat. Zwar verkündete das Ministerium Ende November, dass die Finanzierung der Pflegeversicherung „auf eine nachhaltigere Grundlage gestellt“ worden sei. Aber selbst in Berlin sieht man das Ergebnis offenbar relativ, denn es heißt schließlich „nachhaltigere“, nicht „nachhaltige“, was man bei einer Erhöhung des Beitragssatzes bei der Pflegeversicherung zum 1. Januar 2013 um nur 0,1 Beitragssatzpunkte – das entspricht rund 1,1 Milliarden Euro zusätzlich in der Kasse – auch nicht behaupten kann. Denn es ist absehbar, dass dieses Geld nicht reichen wird. Schon jetzt gibt es in Deutschland 2,4 Millionen Pflegebedürftige und in den nächsten beiden Jahrzehnten sollen es aufgrund der Überalterung der Gesellschaft vier Millionen werden, während gleichzeitig die Zahl der Beitragszahler zurück-geht.

Als Liberaler hatte Bahr eigentlich auf mehr Eigenverantwortung setzen wollen, doch vor allem der Regierungspartner aus Bayern fand das plötzlich unsozial. Aber auch in der Union und in der Opposition verwiesen viele Stimmen darauf, dass sich nur die reicheren Bürger eine private zusätzliche Pflegeversicherung leisten könnten, eine Pflichtpflegeversicherung grundsätzlich nicht in Frage komme und diese vor allem ein Geschäft für die Versicherer sei. Diese hatten tatsächlich aufgrund der schwächelnden Ergebnisse aus der privaten Krankenversicherung auf ein neues Geschäftsfeld gehofft, doch sind sie erst einmal auf die Wartebank zurückgedrängt, da nun im Ministerium überlegt wird, wie man ab 2013 freiwillig abgeschlossene Pflegezusatzversicherungen fördern könne.

Der Gedanke, eine kapitalgedeckte, vom Staat organisierte Pflegeversicherung zu organisieren, ist zwar vorerst als zu bürokratisch abgetan worden, könnte aber, da die Debatte nicht wie erwartet 2011 abgeschlossen werden konnte, 2012 wieder neu belebt werden. Allerdings hatte es auch Zweifel an der Fähigkeit des Staates gegeben, die Gelder einer kapitalgedeckten Pflegeversicherung ordnungsgemäß anzulegen, nachdem der Bundesrechnungshof die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung für den risikoreichen Umgang mit der milliardenschweren Reserve der Rentenversicherung kritisiert hatte.

Dass es den 35-jährigen Minister tröstet, dass auch andere vor ihm an der Reform der Pflegeversicherung gescheitert sind, darf bezweifelt werden, denn zahlreiche Interviews zeigen davon, dass Bahr sich selbst sehr ehrgeizige Ziele setzt. Immerhin wird unter seiner Führung schon das Problem offen dargestellt. Auch seine Vorvorgängerin Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte verschiedene Entwürfe zum Umbau der Pflegeversicherung vorgestellt. Statt drei sollte es fünf Pflegestufen geben. Auch sollte es nicht mehr Pflege im Minutentakt, sondern individuelle Betreuung geben. Die Mehrkosten sollten je nach Modell zwischen 1,3 bis 3,7 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Auf die Anfrage der PAZ im Jahr 2008 bei Ministerin Schmidt, welcher Zuwachs an Pflegebedürftigen diesen Kalkulationen zugrunde läge, hieß es, man sei „vom Status quo ausgegangen“. Die wahren Mehrkosten hätten also – wäre denn ihre Reform durchgekommen – bedeutend höher gelegen. Somit hatte Schmidt eine Reform für die Zukunft geplant, ohne die absehbare demografische Entwicklung einzuberechnen. Zumindest das kann man Bahr nicht vorwerfen, aber dennoch ist seine Reform nur wieder einer der vielen Trippelschritte bei dem Versuch, die Kosten nicht völlig aus dem Ruder laufen zu lassen.

Ferner stehen andere „Werksstücke“ des jungen Ministers ebenfalls in der Kritik, auch wenn er für sich in Anspruch nehmen kann, beim Gesetz, das die ärztliche Versorgung auf dem Land verbessern soll, liberale Positionen umgesetzt zu haben. Denn Bahr will die Ärzte durch Vergünstigungen aufs Land locken, statt sie über Quoten zu zwingen. Für die Opposition zeigten seine Taten hingegen, dass er den Anhängern der FDP, unter denen anteilig viele Ärzte vermutet werden, entgegenkäme. Aber nachdem er beschuldigt worden war, seinen Bruder Thomas zu bevorzugen, ist Bahr bereits mit Vorwürfen dieser Art vertraut. So soll er das Geschäftsmodell seines Bruders, der Arzt und Geschäftsführer des „Unternehmens Gesundheit Oberpfalz Mitte“ ist, bei dem Praxen und Krankenhäuser miteinander eng vernetzt arbeiten, nur fördern, weil es diesem dient. Allerdings könnte hier auch einfach das auch für Patienten auf Effizienz setzende Modell überzeugt haben. Rebecca Bellano


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