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17.12.11 / Kommunistischer Sieg in Königsberg / Russlands frühere rote Machthaber schnitten besser ab als die Regierungspartei »Einiges Russland«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-11 vom 17. Dezember 2011

Kommunistischer Sieg in Königsberg
Russlands frühere rote Machthaber schnitten besser ab als die Regierungspartei »Einiges Russland«

Mit der Wahl zur Staatsduma wurde am 4. Dezember der große Wahlkampf 2011/2012 eröffnet. Dass sich das Königsberger Gebiet erheblich von Russland unterscheidet, wurde einmal mehr bei der Parlamentswahl deutlich.

Der Wahlkampf selbst war diesmal zwar äußerst langweilig und für einen Außenstehenden kaum zu bemerken. In der Stadt hingen große Plakate vom Führer der Liberaldemokratischen Partei Wladimir Schirinowski, der mit dem Slogan „Wir für die Russen“ warb sowie Poster der Regierungspartei „Einiges Russland“ mit Fotos des russischen Vize-Premiers Alexander Schukow, des Gouverneurs Nikolaj Zukanow und des Vorsitzenden des Direktorenrats der Königsberger Fischindustrie Andrej Kolesnik. Alle anderen politischen Kräfte beschränkten sich darauf, Flugblätter zu verteilen und kostenlose Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften zu schalten, wie es ihnen gesetzlich zusteht.

Der Verlauf der Wahl rief allerdings Emotionen hervor. Das Königsberger Gebiet und im Besonderen die Stadt Königsberg, in der fast die Hälfte der Bevölkerung des Gebiets lebt, übertrafen dabei alle Erwartungen und Prognosen. Die allgemeine Tendenz in Russland, dass die Zustimmung zur Regierungspartei abnimmt und die Protesthaltung zunimmt, zeichnet sich auch im Königsberger Gebiet ab. Das Ausmaß dieser Erscheinung war jedoch selbst für die Oppositionsparteien überraschend. Niemand hatte damit gerechnet, dass die Menschen im Gebiet so enthusiastisch die Kommunisten unterstützen würden, die normalerweise hier weniger Anhänger haben als durchschnittlich in Russland.

Laut Umfragen hätte „Einiges Russland“ 50 Prozent der Stimmen erhalten müssen. Doch in allen drei Königsberger Rajons erreichte die Partei nur den zweiten Platz hinter den Kommunisten. In keiner anderen Großstadt konnten die Kommunisten einen solchen Sieg über „Einiges Russland“ erlangen. Dabei ist es nicht etwa so, dass die Königsberger brennende Anhänger der kommunistischen Ideologie wären, die meisten, die sie gewählt haben, teilen die Ansichten der Kommunisten nicht einmal. Der Protest gegen „Einiges Russland“ wurde durch verschiedene Faktoren hervorgerufen. Wer in großen Fabriken oder staatlichen Einrichtungen arbeitet, wurde gezwungen, an der Wahl teilzunehmen und für eine – nämlich die eine – der Parteien auf der Liste zu stimmen. Andernfalls drohten Probleme auf der Arbeit oder sogar der Verlust des Arbeitsplatzes. Da aber die Abstimmung in Einzelkabinen stattfand, um den Schein einer geheimen Wahl zu wahren, setzten die Zwangsverpflichteten ihr Kreuzchen einfach nicht dorthin, wo sie es setzen sollten.

Ein anderer Aspekt ist die Praxis, eine „Lokomotive“ einzusetzen, das heißt die Liste wird von Kandidaten angeführt, die im Prinzip gar nicht Abgeordnete werden wollen. Die Wähler stimmen also für Leute, die sie kennen, aber ins Parlament gelangen solche, die sie kein einziges Mal gesehen haben und die nur teilweise etwas mit Königsberg zu tun haben. Das enttäuscht die Wähler. Als empörend wird auch empfunden, dass reiche Unternehmer, auch wenn sie im Ausland tätig sind, Abgeordnetenposten kaufen. Ein weiterer Grund für die Absage an „Einiges Russland“ ist die Rochade von Wladimir Putin und Dmitrij Medwedjew. Ihre Ankündigung, die Ämter zu tauschen, erweckt bei den Menschen den Eindruck, dass ohnehin schon alles entschieden sei und ihre Meinung unwichtig.

In Königsberg erhielten die Kommunisten 31,2 Prozent der Stimmen und „Einiges Russland“ nur 25,38. Wie in den vergangenen Jahren, war auf dem Land die Zustimmung für die Regierungspartei am höchsten, in Heiligenbeil erhielt sie sogar 75 Prozent.

Bei dieser Wahl gab es viele ungewöhnliche Wahlpraktiken. Normalerweise gibt das örtliche Wahlkomitee schon im Lauf des Abends vorläufige Ergebnisse bekannt, doch diesmal erklärte der Komitee-Vorsitzende Michail Pljuchin, dass es die ersten Ergebnisse erst am nächsten Morgen geben würde. Das passierte, nachdem das elektronische Wahlsystem plötzlich ausgefallen war, sodass aus den Regionen keine Daten mehr übermittelt wurden.

Viele Journalisten fühlten sich von der Wahlkommission in ihrer Arbeit behindert. Zunächst hieß es, dass keine besondere Akkreditierung für Journalisten vonnöten sei. Doch plötzlich verlangten die Sekretäre des Komitees doch eine Akkreditierung. Die Mitarbeiter des Wahlkomitees reagierten zum Teil panisch auf Kameras. Sie fuchtelten nervös mit den Händen und verlangten, nicht fotografiert zu werden, so, als hätten sie etwas zu verbergen. Damit die Journalisten dennoch am Wahlgeschehen teilnehmen konnten, mussten sie eine langwierige Prozedur über sich ergehen lassen. Der Presseausweis allein reichte nicht mehr aus, nun sollte eine Bescheinigung der Redaktionsleitung vorgelegt werden und der Journalist musste ein Formular ausfüllen, in dem er sich verpflichtete, keine Fotos aus der Nähe und keine Dokumente aufzunehmen.

Gouverneur Nikolaj Zukanow gab zu, dass er mit einem Sieg seiner Partei gerechnet hatte und sagte, dass nun die Arbeit der Regionalpartei analysiert werden müsse. Wie alle Gouverneure, in deren Gebiet „Einiges Russland“ die Mehrheit verloren hat, wurde Zukanow zu Gesprächen in den Kreml zitiert. Unmittelbar nach der Wahl hatte Präsident Dmitrij Medwedjew personelle Konsequenzen bei den Gouverneuren angekündigt, doch vor der Präsidentenwahl werden wohl keine Köpfe rollen. Jurij Tschernyschew


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