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17.12.11 / Großmutters Bernsteinkette / Ein Erbstück aus Ostpreußen rettete die junge Angestellte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-11 vom 17. Dezember 2011

Großmutters Bernsteinkette
Ein Erbstück aus Ostpreußen rettete die junge Angestellte

Verena schloss erschöpft die Wohnungstür hinter sich. In der Kanzlei ging es kurz vor Weihnachten zu wie in einem Irrenhaus, alle Welt schien Streit zu suchen. Ein langer Arbeitstag zwischen hohen Aktenbergen lag hinter ihr, aber sie war froh, nach der langen Krankheit und nachfolgender Arbeitslosigkeit seit kurzem endlich wieder eine feste Anstellung gefunden zu haben. Und finanziell ging es langsam auch bergauf, sie hoffte, schon bald alle Schulden zurückgezahlt zu haben. Außerdem war ihr Chef sehr nett. „Frau Milewski, Sie sind ein Organisationstalent, ich weiß gar nicht mehr, wie ich ohne Sie zurechtgekommen bin“, hatte er sie heute gerade wieder gelobt. Verena war ganz rot geworden, und dann blass als er fortfuhr „Und ich freue mich schon darauf, Sie nächste Woche auf der Weihnachtsfeier persönlich näher kennenzulernen.“

Die Weihnachtsfeier – einige Kolleginnen redeten schon seit Wochen von nichts anderem, beim Kopierer oder in der Kaffeeküche führten sie endlose Modegespräche. Die Feier fand traditionell bei einem dankbaren Klienten in seinem Sternerestaurant statt. Vornehm ausgehen – für Verena ein Grund zur Panik. Ihre Garderobe war alt und sehr abgetragen, sie hatte sich im Ausverkauf zwei einfache Kostüme mit weißen Blusen gekauft, um in der Kanzlei passend gekleidet zu sein. Jetzt brauchte sie etwas Festliches, schließlich musste sie ja einen guten Eindruck machen.

Auf dem Weg nach Hause kam sie an einem Pfandhaus vorbei. Im Fenster war altmodischer Schmuck ausgestellt. Ihr fiel die alte Bernsteinkette ein, sie stammte noch aus dem Besitz ihrer Großmutter. Zu Hause suchte sie nach der Kette und fand sie in einem alten Kästchen, zusammen mit einem Foto der Großeltern Grete und Hans Milewski, die sie nie kennengelernt hatte. Grete war mit ihrer kleinen Tochter Erika an der Hand aus Preußisch Holland geflohen, sie hatten das Glück, in Gotenhafen auf ein Schiff gen Westen zu kommen und waren sicher in Kiel angekommen. Grete und Hans wurden nie richtig heimisch in Schleswig-Holstein und starben bereits in den 50er Jahren. Erika wollte kein Flüchtlingskind sein und nichts von alten Geschichten wissen. Sie hatte Verena allein groß gezogen und starb vor Jahren an Brustkrebs, der Krankheit, die sie auch Verena vererbt hatte. Aber Verena hatte überlebt.

Im Nachlass ihrer Mutter fand sie das Kästchen mit dem Foto und die Kette. Dann verschwand es tief in ihrem Schrank – bis jetzt. Ob die Kette im Pfandhaus genug bringen würde, um sich passend einzukleiden? Was sollte sie damit, sie lag schon so lange im Schrank. Und irgendwie sah der Bernstein auch altbacken aus, obwohl er zur Grete auf dem Foto passte. Sie trug das Haar locker aufgesteckt, die Kette war im schmalen Ausschnitt gerade noch sichtbar. Verenas Haare waren nachgewachsen, sie konnte sie auch wieder aufstecken. Stumpf sah die Kette aus, unterschiedliche Bernsteinperlen waren in einer Reihe aufgezogen, verziert von schmalen goldenen Ornamenten. Verena nahm ein weiches Tuch und fing an, die Kette aufzupolieren. Schließlich wollte sie doch möglichst viel dafür im Pfandhaus bekommen. Leicht lag die Kette in ihrer Hand und nachdem sie die einzelnen Steine vom Staub der Jahrzehnte befreit hatte, ging ein sanftes Leuchten von ihnen aus. Verena hielt sich die Kette an den Hals, es fühlte sich warm und vertraut an. Aber es waren doch nur „Steine“, die seit Jahrzehnten unbeachtet in einer kleinen Schmuckkiste lagen. Morgen würde sie sie in Pfandhaus bringen.

Der langersehnte Tag der Weihnachtsfeier war endlich gekommen, Verena hatte die lange Anreise mit dem Bus auf sich genommen und hoffte, dass sie ihren alten abgetragenen Mantel unauffällig an der Garderobe aufhängen konnte. Danach trat sie vor den Spiegel und zupfte ihre einfache weiße Bluse in Form, die sie für ihre Verhältnisse verwegen weit aufgeknöpft hatte. Ihre Haare waren aufgesteckt und sie trug die Bern-steinkette, die mit sanftem Schimmer zu glühen schien. „Schön, dass Sie da sind, Frau Milewksi, und was für eine wunderbare Kette Sie tragen“, begrüßte sie ihr Chef und hob den Arm, sodass die Manschettenknöpfe aus dem Jackett ragten – auch aus Bernstein. „Die habe ich von meinem Großvater geerbt“, sagte er. „Die Kette ist mein Talisman“, Verena strahlte ihren Chef an, spürte den Bernstein auf der Haut und wusste, sie würde die Kette nie hergeben. Britta Heitmann


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