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17.12.11 / Mit Witzen die Mutter gerettet / Soldaten der Roten Armee haben Burkhard Driest langfristig traumatisiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-11 vom 17. Dezember 2011

Mit Witzen die Mutter gerettet
Soldaten der Roten Armee haben Burkhard Driest langfristig traumatisiert

„Maikäfer flieg!/Der Vater ist im Krieg/Die Mutter ist im Pommerland/Und Pommerland ist abgebrannt/Maikäfer flieg!“, lautet der Text eines bekannten deutschsprachigen Volksliedes, dessen Melodie der des Wiegenliedes „Schlaf Kindlein, schlaf“ entspricht. An eine geruhsame Nacht konnte der damals fünfjährige Burkhard Driest nicht denken. Der Junge erlebte 1944 in Stettin die Bombenangriffe der Amerikaner, Sirenengeheul und stundenlanges Ausharren im Bunker. Als es schon fast zu spät war, floh er gemeinsam mit seiner Mutter Susanne und seiner jüngeren Schwester Dagmar aus der lichterloh brennenden Stadt. Sie fanden Unterschlupf auf einem Landgut in Pommern. Im Januar 1945 rückte die Rote Armee vor und besetzte den Hof.

Was der heute 72-jährige Autor und Schauspieler in seiner Autobiografie „Die Maikäfer und der Krieg“ nun schildert, mutet surreal an. Die Soldaten vergewaltigten und ermordeten Frauen. Burk-hards Mutter gelang es, sich auf einem Kleiderschrank zu verstecken. Nachts torkelten betrunkene Russen ins Zimmer und machten das Licht an, um zu kontrollieren, ob sich nicht doch Erwachsene im Raum befanden. Sie zogen den Kindern die Bettdecke weg und fragten, wo die Mutter sei. „Tot“, antwortete der Junge und nahm seine kleine Schwester in die Arme.

In den folgenden Tagen wird er Zeuge der Gräueltaten: „Als ich nach meinem Freund sehen wollte, entdeckte ich ihn und seine Mutter wie abgeschlachtete Tiere auf dem Bett ihres Schlafzimmers. Da wusste ich: Die Soldaten würden kommen, bis meine Mutter an der Reihe ist. Ein kleiner Fehler, dann würde auch sie sterben.“ Damit die Russen seine Mutter nicht entdeckten, machte Driest gute Miene zum bösen Spiel: „Nur wenn sie lachten, waren sie ungefährlich. Deshalb musste ich aufgeweckt herüberkommen. Ich trank Wodka, machte Witze und erteilte ihnen Befehle, indem ich rief ‚Jetzt holt Essen!‘ Das gefiel ihnen. Als trauriges Kind wäre ich ihnen im Weg gewesen.“

Der Vater spürte die Familie schließlich auf und holte sie aus der sowjetisch besetzten Zone heimlich über die Grenze nach Niedersachsen. Doch das Gefühl der ständigen Bedrohung verfolgte

Burkhard Driest noch Jahre später: „Wenn es dämmerte, sah ich Feinde im Dunkel, und schon stand ich unter Strom. Das war entsetzlich. Ich habe gegen diese Angst angesoffen, Heroin genommen und zehn Jahre Gesprächstherapie gemacht. Doch noch heute muss ich mich zusammenreißen, um ein normales Leben zu führen.“

Ein normales Leben führte Driest sicherlich nicht. Bevor er sich als Autor und Schauspieler einen Namen machte, schlug er sich unter anderem als Hafenarbeiter, Kellner und Taxifahrer durch. Kurz vor seinem Juraexamen überfiel er 1965 eine Bank bei Hannover und erbeutete 5500 D-Mark. Das Gericht verurteilte ihn zu fünf Jahren Gefängnis, wobei er wegen guter Führung vorzeitig entlassen wurde. Sein erster Roman „Die Verrohung des Franz Blum“ beschreibt seine Haftzeit und ist erfolgreich verfilmt worden.

Romy Schneider war ganz verzaubert von dem Ex-Kriminellen. „Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sehr“, hauchte die Schauspielerin ihm 1974 auf dem Sofa in einer Talkshow zu und legte ihre Hand auf seine. Heute lebt Driest mit seiner Familie auf Ibiza. In seinem Buch erzählt er mit drastischer Offenheit und auf bewegende Weise seine Kindheit am Ende des Krieges und arbeitet ein lange verschwiegenes Stück Zeitgeschichte auf. Sophia E. Gerber

Burkhard Driest: „Die Maikäfer und der Krieg“, Langen-Müller, München 2011, geb., 288 Seiten, 19,99 Euro


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