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24.12.11 / Aktenblätter vom vergifteten Baum / Während Stasi-Akten bei DDR-Tätern keine Beweiskraft haben, müssen Waffen-SS-Veteranen fürchten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-11 vom 24. Dezember 2011

Aktenblätter vom vergifteten Baum
Während Stasi-Akten bei DDR-Tätern keine Beweiskraft haben, müssen Waffen-SS-Veteranen fürchten

Stasi-Akten wurden als Beweismittel bislang nur mit spitzen Fingern angefasst – wusste man doch, wer die Autoren waren. Bei einem 86-jährigen Waffen-SS-Veteranen scheint diese Praxis plötzlich nicht mehr zu gelten.

Politik wie Gerichte messen den Akten der DDR-Staatssicherheit (Stasi) in der Regel nur sehr eingeschränkte Beweiskraft zu. Ob es um die Rehabilitierung von Opfern des SED-Regimes oder die rechtsstaatliche Verfolgung der teils noch aktiven, dafür verantwortlichen Politiker geht: Die Verwendung von Erkenntnissen des DDR-Geheimdienstes ist gesetzlich streng begrenzt, denn die Daten entstammen rechtsstaatswidrigen Verhältnissen.

Als Hauptbeweis haben die Daten daher bislang kaum gerichtliche Anerkennung gefunden. Und doch gibt es stets neue Funde in der Stasiunterlagenbehörde. Physiker machen unlesbare Akten wieder auswertbar, gut 600 Millionen Papierschnipsel gilt es noch zu entziffern.

Nun erregt ein neuer Fall die Öffentlichkeit: Die Staatsanwaltschaft Dortmund verfolgt einen 86-Jährigen aus Märkisch-Oderland, allerdings wegen erhaltener, lange zugänglicher Stasi-Akten. Willi B. soll als 18-Jähriger im Juni 1944 an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sein. Der Vorwurf lautet Beihilfe zum Mord, denn nur Mord verjährt nicht. Es geht um 642 Männer, Frauen und Kinder, die im französischen Dorf Oradour von Angehörigen der Waffen-SS getötet wurden. B. ist Historikern erst jetzt in DDR-Akten aufgefallen. Bei einem 1983 geführten DDR-Prozess gegen den dabei als Kriegsverbrecher verurteilten Heinz Barth taucht er als Zeuge auf.

Barth hatte Jahrzehnte unbehelligt in der DDR gelebt und war laut den Stasi-Unterlagen der Vorgesetzte des nun Beschuldigten. Staatsanwalt Andreas Brendel bot umgehend vier Polizisten, einen weiteren Staatsanwalt und den Amtsarzt auf, um Willi B. mit einem Hausdurchsuchungsbefehl zu konfrontieren. Dabei fanden sich indes weder erhoffte Unterlagen noch Fotos aus dem Krieg. Den Beamten wurde lediglich klar, dass der Rentner sichtbar an Demenz erkrankt ist, was Brendel nun amtsärztlich prüfen lassen will.

Auch bei fünf weiteren derart spät ermittelten Verdächtigen (85 und 86 Jahre) fanden sich bisher keine Hinweise auf Kriegsverbrechen. Und doch liest die Staatsanwaltschaft die Stasi-Akten offenbar als Blaupause für ihr weiteres Vorgehen. Brendel: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir noch weitere Beschuldigte des Massakers von Oradour namhaft machen können.“

Die Stasi hatte eine rege Sammelleidenschaft zu Willi B. entwickelt, überwachte und durchleuchtete sein Leben. Dabei kam sie zu der Einschätzung, dass „beide genannten DDR-Bürger dringend verdächtig sind, ... arbeitsteilig an der Vernichtung des Dorfes ... mitgewirkt zu haben“. Einer dieser beiden ist inzwischen verstorben. Nach DDR-Recht hätte allein die Anwesenheit bei Kriegsverbrechen für einen Schuldspruch genügt, doch gegen Willi B. kam es zu keinem.

B. und die anderen hatten indes schon gegenüber der Stasi bestritten, Zivilisten getötet zu haben. Das jetzige Vorgehen der Staatsanwaltschaft geht weit über das hinaus, was Staatsanwälte, Gerichte und Politik aus Stasi-Akten bisher als Beweis gelten ließen. Die Tötungsdelikte an der innerdeutschen Grenze hatten somit kaum ein Nachspiel, denn: DDR-Material dazu war vorhanden, galt aber als zu wenig beweiskräftig.

Selbst in der Parteispendenaffäre von 2000 waren sich die Bundestagsparteien einig wie selten: Im Untersuchungsausschuss verständigten sie sich, Stasi-Abhörprotokolle nicht als Beweis heranzuziehen. Um die Frage, die Stasi-Aufzeichnungen über Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) zugänglich zu machen, stritten die Parteien 2001, obwohl der Fall Kohl damals unter die Voraussetzungen fiel, nach denen das Stasiunterlagengesetz (StUG) eine Nutzung erlaubt: Bei „Personen der Zeitgeschichte, Inhabern politischer Funktionen oder Amtsträgern in Ausübung ihres Amtes“ dürfen Stasi-Akten herangezogen werden.

Willi B. indes ist weder Amtsträger noch Politiker oder Person der Zeitgeschichte. Setzte Kohl seinen Anspruch auf Schutz vor den in der Diktatur entstandenen „Beweisen“ rechtlich durch, sollte ein solcher Rechtsschutz für den einfachen Bürger umso mehr gelten, ließe sich argumentieren. In einer Denkschrift schrieb damals die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung: „Stasi-Unterlagen können nach dem StUG auch für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden. Jedoch sind sie im rechtsstaatlichen Strafverfahren nicht ohne Weiteres verwertbar, weil sie überwiegend unter Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze gewonnen und dabei Grundrechte verletzt wurden.“ In anderen Fällen genügten die stets ideologisch geprägten Einschätzungen aus Stasi-Akten, DDR-Zwangsenteigneten auch nach dem Ende der DDR jede Entschädigung zu verweigern.

Hingegen siegte Gregor Gysi (Linkspartei) in einer regelrechten Kette von Prozessen gegen Medien und Opferverbände. Dabei spielten Stasi-Akten eine entscheidende Rolle. Gysi wurde nie anhand einer Selbstverpflichtung der Stasi-Mitarbeit überführt, sondern allein anhand eines Gutachtens des Bundestages. Im Rahmen der Aufarbeitung des linken RAF-Terrors erkannten Richter 1992 die Stasi-Akten im Fall Monika Haas ebenfalls nicht als genügendes Beweismittel an. Der Stasi-Spion Karl-Heinz Kurras, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, argumentiert gar, die Kürzung seiner Entschädigung für sowjetische Haft sei unzulässig, weil seine Stasi-Akte nicht als Beweis für seine Mitarbeit bei dem Dienst dienen könne. Sverre Gutschmidt


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