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24.12.11 / Sieg der Liebe / Eine stille Verlobung im Kriegswinter 1943

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-11 vom 24. Dezember 2011

Sieg der Liebe
Eine stille Verlobung im Kriegswinter 1943

Tilsit 1943: Leichter Schneefall bedeckte Weg und Steg, als der Soldat Joachim Schimkoweit, der am 11. Dezember 22 Jahre alt geworden war, zum Heimaturlaub nach Tilsit kam. Sein Herz jubelte. Er sah auf die Auslagen der Schaufenster. Vereinzelt gab es da noch nette Kleinigkeiten zu kaufen. Das alles, sagte sich Joachim, hat Zeit. Zuerst zur Mutter. Und das war ein Wiedersehen, das es nicht alle Tage gab. Mutter Anna drehte sich um ihre eigene Achse, wusste vor freudiger Überraschung gar nicht, ob sie als erstes eine Kerze auf den Tisch stellen oder schnell eine Tasse Kaffee aufbrühen sollte. „Mein Jungchen, ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir dieses Weihnachten endlich einmal gemeinsam feiern dürfen.“ „Muttchen, du erlaubst doch, dass ich einen Spaziergang zur Deutschen Ordenskirche mache?“ „Ja, mein Junge, den Wunsch kann ich dir ja wohl nicht abschlagen, ich hoffe nur, dass du bald wiederkommst. Ich habe noch eine Überraschung für dich ...“

Joachim stutzte, als er an der Kirche vorbeigehen wollte. Da ertönte ein glockenheller Sopran, der aus dem Gotteshaus kam. Wer war die Sängerin? Wie er erfuhr, war es die Sängerin Leni zu Dreele, geborene Flender, die Sängerin des Königsberger Rundfunks, die Abend für Abend das Kinderlied „Schlafe mein Prinzchen schlaf ein“ im Rundfunk sang. Der Soldat Joachim Schimkoweit wischte sich von den Augen und der Stirn leichte Flocken weg, die ihm ununterbrochen ins Gesicht flogen.

Joachim öffnete die Kirchentür, ging hinein und hörte eine Vorweihnachtsandacht von Pastor Niederstrasser. Ihm war es gegeben, durch die Weihnachtsbotschaft Herzen anzurühren. Leni zu Dreele sang abschließend den letzten Vers eines Adventsliedes: „Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein.“

Joachim verließ als erster die Kirche. Ihm folgte Hannelore Wiemar. Dunkel und glatt war es draußen geworden. Hannelore rutschte aus und fiel der Länge nach hin. Joachim hörte den leisen Aufprall und kam ihr zu Hilfe. Während er sie aufhob, rutschte sie wieder aus. Von hinten griff er ihr unter die Arme und brachte sie zum Stehen. Sie bedankte sich mit einem scheuen Blick und dachte an ihr letztes Paar Strümpfe, das sie trug, ob es wohl heil geblieben war.

„Entschuldigen Sie bitte, ich bin Hannelore Wiemar. Meine Mutter nennt mich Lore.“ Joachim stellte sich ebenfalls vor. „Erlauben Sie, dass ich Sie begleite?“ Lore hatte sich bei Joachim eingehakt. Ihr Weg führte sie auf die Königin-Luisen-Brücke. Joachim wollte ihr von General Fletscher erzählen, der die Brücke durch besondere Tapferkeit im Ersten Weltkrieg gerettet hatte. Lore hielt ihm die Hand vor den Mund, zog sie aber schnell zurück und sagte: „Joachim, lass uns die augenblick­liche Romantik festhalten. Sie wird nie wiederkommen, wie auch unsere Jugend nicht wiederkommt. Sie ist wie der eisige Wind von gestern.“

Lore vergaß ihre Strümpfe. Sie empfand nur noch wärmende Liebe, die sie festhalten wollte. Joachim sagte: „Liebe wächst auch inmitten der Eiszeit, falls man sie wachsen lässt ... Wir sollten in die Zukunft sehen, Lore, auch wenn diese fürchterlich sein wird!“ „Ich beginne zu lernen. Ich erwarte nichts von dem, was noch geschehen wird. Fast habe ich das Gefühl, dass wir zu einfältig und blind sind.“ Anstatt eine Antwort zu geben, nahm er sie in den Arm und küsste sie. „Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt, Lore, doch trotzdem fühle ich mich mit dir verbunden für Zeit und Ewigkeit.“

Heute war „ihr“ Tag, kein Hochzeitstag, aber eine stille Verlobung aus der tiefen Liebe zweier Menschen geboren, die von Gott ausgeht und die des Wachstums bedarf, obwohl sie einander ja kaum kannten. Das alles in der fürchterlichen Kriegszeit. Beide dachten nicht daran, was ihre Mütter daheim sagen würden. Mütter haben schließlich Augen für das Glück ihrer Kinder. E. Kobs-Grommeck


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