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31.12.11 / Pflegebetrüger auf Diebeszug / Berliner Sozialstadträte klagen über Betrug – Sozialhilfeberechtigte Senioren werden gezielt gesucht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-12 vom 31. Dezember 2011

Pflegebetrüger auf Diebeszug
Berliner Sozialstadträte klagen über Betrug – Sozialhilfeberechtigte Senioren werden gezielt gesucht

Pflegefälle, die nur auf dem Papier existieren, Abrechnungsbetrug, erschlichene Aufenthaltserlaubnisse: Dies sind nur einige der Vorwürfe, die seit einiger Zeit gegen einige russische und türkische Pflegedienste in Berlin erhoben werden.

Bereits vor einigen Monaten wagten zwei Berliner Sozialstadt-räte den Gang an die Öffentlichkeit: Michael Büge (CDU), Sozialstadtrat im Bezirk Neukölln, und sein Amtskollege Stephan von Dassel (Grüne) in Berlin-Mitte machten erstmals im September auf Betrügereien durch ambulante Pflegedienste aufmerksam. Die präsentierten Beispiele müssten eigentlich jeden fassungslos machen, der bereits selbst einmal die zahlreichen Probleme erlebt hat, die auftauchen, sobald Leistungen für Pflegebedürftige beantragt werden.

Berichtet wurde etwa von Patienten, deren Betreuung durch ambulante Pflegedienste in Berliner Bezirken abgerechnet wurde, die sich nicht einmal in Deutschland aufhielten, sondern hier lediglich polizeilich gemeldet waren. Durch solche und ähnliche Betrügereien entstehen dem Land Berlin nach Schätzungen des Neuköllner Sozialstadtrates Büge jährlich Millionenschäden.

Auf Erhebungen des Bezirks Berlin-Mitte, nach denen Bürger mit russischem Pass sechsmal so häufig pflegebedürftig sind wie Bürger mit deutschem Pass, machte der Sozialstadtrat Stephan von Dassel aufmerksam. Seitdem die beiden Sozialstadträte erstmals öffentlich auf die Missstände aufmerksam gemacht haben, sind zahlreiche weitere Betrugsfälle bekannt geworden. Betroffene und Angehörige, aber auch ehemalige Mitarbeiter von Pflegediensten wagten es, ihr Schweigen zu brechen, obwohl Einschüchterungsversuche bis hin zu Morddrohungen gehen. Mit jedem neuen Hinweis bestätigt sich der Vorwurf von kriminellen, sogar „mafia-ähnlichen“ Strukturen. Es ist eine sehr spezielle Zielgruppe, die ins Blickfeld zwielichtiger Pflegedienste gerückt ist: Ausländer aus Russland, der Türkei oder vom Balkan.

Sofern sie eine amtliche Aufenthaltserlaubnis besitzen, aber noch keine eigenen Beiträge in die deutsche Pflegekasse eingezahlt haben, kommen im Notfall für Pflegekosten die Sozialhilfeträger auf. Das Land Berlin übernimmt beispielsweise jährlich Pflegekosten von rund 200 Millionen Euro. Da ein schwerer Pflegefall einem ambulanten Pflegedienst monatlich zwischen 1500 bis 2000 Euro einbringt, ist es kaum verwunderlich, dass auch die vom Land gezahlten Pflegeleistungen ins Blick-feld von Kriminellen gerückt sind: Sie organisieren sich sozialhilfeberechtigte Pflegefälle quasi selbst. Über komplett vorgetäuschte oder zu hoch berechnete Pflegekosten wird dann zu Lasten der Steuerzahler Kasse gemacht. In einem gut organisierten System werden so auf dem Papier aus rüstigen Rentnern bettlägerige Schwerstpflegefälle. Nach der entsprechenden Klientel wird sogar systematisch gesucht: per Annonce in russischen und türkischen Zeitungen oder indem in Vierteln mit hohem Ausländeranteil gezielt von Wohnung zu Wohnung gegangen wird.

Geködert werden die potenziellen „Pflegefälle“ mit dem Versprechen auf Beteiligung an den zukünftig vom Sozialamt überwiesenen Pflegekosten. Auch das Angebot, Angehörige als Pflegekräfte einzustellen und ihnen damit eine Aufenthaltserlaubnis zu verschaffen, gehört mittlerweile zum Standardrepertoire.

Genauso beunruhigend wie der systematische Betrug an den Steuerzahlern, die für die erschlichenen Pflegekosten aufkommen, ist ein anderer Verdacht, der sich immer mehr erhärtet: Damit der Betrug überhaupt gelingt, ist es fast zwingend notwendig, dass auch Vertreter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) mitwirken. Der MDK nimmt nicht nur die Einstufung in die jeweilige Pflegestufe vor, sondern ist auch für spätere Kontrollen zuständig. Anonyme Hinweise deuten nicht nur auf enge Freundschaften zwischen MDK-Vertretern und Inhabern von Pflegediensten hin, sondern bestätigten auch, dass Kontrollbesuche des MDK, die eigentlich unangekündigt stattfinden sollen, im Voraus regelmäßig bekannt waren.

Nach noch unbestätigten Presseberichten sollen auch bis zu 500 Euro pro Pflegestufengutachten von privaten Pflegediensten an Gutachter gezahlt worden sein. Ein Blick auf die Anzahl von ambulanten Pflegediensten macht deutlich, wie nötig eigentlich eine wirksame Aufsicht wäre: Allein in Berlin gibt es etwa 550 derartige Pflegedienste. Bisher liegt die Kontrolle bei den Bezirken, deren größtes Manko nach wie vor Personalmangel ist. Erst seit der Mitte des Jahres 2010 gibt es überhaupt genügend Mitarbeiter, um Abrechnungen zu prüfen. Schon die ersten Prüfergebnisse waren alarmierend. Im Bezirk Neukölln wurden nach Angaben des Sozialstadtrats Michael Büge (CDU) „in bisher jeder geprüften Akte Fehler gefunden“.

Dies dürfte allerdings kein Phänomen sein, von dem nur die Hartz-IV-Metropole Berlin betroffen ist. Zum Ziel von Betrügern werden nicht nur die Pflegeleistungen, die vom Sozialamt übernommen werden, sondern immer öfter auch die Leistungen der regulären Pflegeversicherungen – und zwar bundesweit. Vertreter von Krankenkassen gehen davon aus, dass kriminelle Strukturen im Pflegesektor wie in Berlin mittlerweile in jeder größeren deutschen Stadt existieren. Norman Hanert


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