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31.12.11 / Die Wiege der Nation wird Kulturhauptstadt 2012 / Nach dem Sieg über die Mauren wurde Guimarães Hauptstadt Portugals – Jeder zweite Einwohner jünger als 30

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-12 vom 31. Dezember 2011

Die Wiege der Nation wird Kulturhauptstadt 2012
Nach dem Sieg über die Mauren wurde Guimarães Hauptstadt Portugals – Jeder zweite Einwohner jünger als 30

Guimarães. Mit gut 52000 Einwohnern hat Guimarães im Norden Portugals einiges zu bieten: Eine mächtige, 1000 Jahre alte Burg, das Schloss der Herzöge von Braganca mit Rittersaal, antikem Porzellan und 39 Kaminen sowie eine lebendige, bunte Kulturszene.

In einer Seitengasse der Altstadt klingen schwere Hammerschläge aus einer rußgeschwärzten winzigen Werkstatt. Gaspar Pintu do Correira schmiedet das Wappen seiner Heimatstadt: Es zeigt Portugals ersten König Afonso Henriques, den Gründer der Nation. Der Schmied freut sich über den neuen Ehrentitel seiner Heimatstadt: Europäische Kulturhauptstadt 2012.

„Acqui nasceu Portugal“, „Hier wurde Portugal geboren“ steht in haushohen weißen Buchstaben an den Resten der Stadtmauer von Guimarães. Die „Wiege der Nation“ thront auf einem Hügel über der Stadt: eine mächtige Festung aus dem 11. Jahrhundert mit einem 27 Meter hohen Bergfried. Nach seinem Sieg über die Mauren zwingt Afonso Henriques die spanische Krone 1143, die Unabhängigkeit seiner Grafschaft Portucale anzuerkennen. Die Burg wird Regierungssitz des neuen Staates.

Wäre Guimarães nicht Europäische Kulturhauptstadt, würde Pinto do Correira wie in all den anderen Jahren vor allem die Wappen beliebter Fußballvereine oder andere Dekorationsgegenstände schmieden. „Reich wird man damit nicht“, erzählt der kräftige 67-Jährige. Portugal spart. Die neue Regierung hat dem Land ein gnadenloses Sparprogramm verordnet, die Mehrwertsteuer erhöht und die Gehälter im öffentlichen Dienst gekürzt. Viele Wohnungen in der Altstadt von Guimarães stehen zum Verkauf. Dabei geht es der Stadt verglichen mit dem restlichen Land noch relativ gut.

2001 hatten die Vereinten Nationen die komplette Altstadt in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen: zwei- und dreistöckige Fassaden aus Granitstein, oft mit filigranen steinernen Figuren oder Kacheln verziert, an denen hölzerne und schmiedeeiserne Balkone kleben; arkadengesäumte, gepflasterte Plätze, romanische und gotische Kirchen. Kein Neubau stört das Ambiente aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Autos müssen draußen bleiben: Die meisten Gassen sind zu schmal.

In den zahlreichen Altstadtbars, Straßencafés und Restaurants sitzen vor allem Einheimische. Die vielen kleinen Geschäfte, Tante-Emma-Läden und Konditoreien haben die Sanierung überstanden. Andenkenläden und Filialen großer Ketten gibt es kaum.

Auch dank der beiden Hochschulen zählt sich das Städtchen zu den jüngsten Gemeinden Europas. Jeder Zweite ist unter 30. Viele Absolventen der Kunsthochschule und der Musikakademie machen sich als Grafiker, Musiker oder Künstler selbstständig.

Fatinha zum Beispiel, eine feingliedrige, schlanke Frau Mitte 50, schlägt sich als Schauspielerin und Künstlerin durchs Leben. Ihre Mission: Sie will den Künstlern in der Stadt Gehör, Stimme und einen Markt verschaffen. Auf die Stadtverwaltung ist Fatinha nicht gut zu sprechen. „Die wissen gar nicht, was diese Stadt an Talenten hat“, schimpft sie.

Fatinha hat auf dem beliebtesten Platz, dem Largo da Oliveira, einen kleinen Künstlermarkt organisiert. An drei, vier Tischen, die zwei Straßencafés den jungen Leuten überlassen haben, bieten sie selbstgemachten Schmuck an: mit bunten Federn dekorierte Ohrringe, Broschen und anderes Kunsthandwerk. Der Verkauf läuft schleppend. Trotz Erlaubnis des Bürgermeisters hätten Polizisten versucht, die jungen Leute zu verscheuchen. Schließlich durften sie doch bleiben.

So schnell gibt Fatinha nicht auf. Mit sieben Künstlern aus Guimarães hat sie den Verein Arteprenha gegründet, über den sich junge Künstler gemeinsam vermarkten. Sie organisieren Ausstellungen und Konzerte. Das Potenzial ist groß, vor allem in der Musik. Kaum eine Stadt dieser Größe hat so viele Sänger und Musikgruppen aller Richtungen.

Zum Proben und für den kreativen Austausch treffen sich viele junge Künstler im Circulo de Arte y Recreio, dem „Kreis für Kunst und Erholung“. In einem bald 200 Jahre alten, schon etwas baufälligen Bürgerhaus proben und spielen Bands.

Wie die meisten Künstler freut sich der Schlagzeuger Mario Goncalves, ein junger Mann mit gestutztem Bart und Piratentuch auf dem Kopf, auf das Kulturhauptstadtjahr, bleibt aber skeptisch: „Ich weiß auch nicht, was nach dem Kulturhauptstadtjahr von alldem bleiben wird.“

„Sehr viel“, verspricht die städtische Kulturreferentin Francisca Abreu. Die Stadt werde 2013 eine andere sein. Tatsächlich wird überall in der Stadt gebaut, Plätze und Straßen werden saniert, in einer alten Fabrik entsteht das Kultur- und Architekturzentrum CAAA mit Ateliers, Werkstätten und Probenräumen. Investieren will Abreu „in die Menschen“, die in der Kulturhauptstadt „Fähigkeiten und Visionen für ihre Zukunft entwickeln sollen“. Schmied Gaspar Pintu do Correira will auch nach dem Kulturhauptstadtjahr weiterarbeiten, so lange „Gott und die Gesundheit“ ihn lassen. Einen Nachfolger hat er nicht. „Ich arbeite hier noch richtig mit den Händen“, sagt er und zeigt seine Pranken, „nicht wie ihr alle nur am Computer.“ Robert B. Fishman


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