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14.01.12 / Ein frühverstorbener ganz Großer / Expressionist aus Schlesien – Zum 100. Todestag von Georg Heym

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-12 vom 14. Januar 2012

Ein frühverstorbener ganz Großer
Expressionist aus Schlesien – Zum 100. Todestag von Georg Heym

Georg Heym war einer der talentiertesten, vielleicht sogar der begabteste Dichter der expressionistischen Generation. Er starb am 16. Januar 1912, erst 24 Jahre alt, hinterließ aber ein Werk von enormem Umfang. Zeitgenossen und Nachfolgende rühmten ihn als Genie von seltener Größe.

Der schlesische Dichter Georg Heym (1887–1912), dessen 100. Todestag am 16. Januar gedacht wird, war, neben Gottfried Benn (1886–1956), Georg Trakl (1887–1914) und Ernst Stadler (1883–1914), der begabteste Dichter des lyrischen Frühexpressionismus vor dem Ersten Weltkrieg. Während der Arzt Gottfried Benn beide Weltkriege überlebte und nach dem verlorenen Krieg 1945, nachdem die Bände „Statische Gedichte“ (1948) und „Trunkene Flut“ (1949) erschienen waren, beispiellosen Ruhm ernten konnte, starben die drei anderen Dichter bevor ihr lyrisches Werk ausgereift war.

Der im elsässischen Kolmar geborene Ernst Stadler fiel zu Beginn des Ersten Weltkriegs bei Ypern in Flandern, der aus dem katholischen Salzburg stammende Protestant Georg Trakl, der an der Front in Galizien als Militär­apotheker eingesetzt war, nahm sich, weil er die Schreie der Verwundeten, denen er nicht helfen konnte, nicht mehr ertrug, in Krakau das Leben. Georg Heym aber erlitt einen Unfalltod: Er ertrank am 16. Januar 1912 beim Schlittschuhlaufen auf dem Berliner Wannsee, als er seinen eingebrochenen und ertrinkenden Dichterfreund Ernst Balcke retten wollte.

Georg Heym wurde am 30. Ok­tober 1887 in Hirschberg am Riesengebirge, wo sein Vater Hermann Heym (1850–1920) Staatsanwalt war, geboren. Er hatte eine jüngere Schwester Gertrud (1889–1920), die auch früh verstarb. Die Mutter Jenny lebte bis 1923. Über den Vater, der als Militärstaatsanwalt öfters versetzt wurde, schrieb Rudolf Balcke, der Bruder Ernst Balckes, am 3. September 1946: „Vater Heym war sehr schwermütig, stark religiös eingestellt, aktiv in der Inneren Mission tätig.“

Georg Heym besuchte ab 1893 die Volksschule, später das Gymnasium in der alten Bischofsstadt Gnesen und 1899/1900 das Gymnasium in Posen. Beide Städte lagen in der preußischen Provinz Posen, wohin der Vater von Hirschberg in Schlesien versetzt worden war.

Im Oktober 1900 wechselte Georg Heym an das Joachimthalsche Gymnasium in Berlin-Wilmersdorf, wo er allerdings nicht in die Oberprima versetzt wurde. Das Abitur machte er dann am 20. März 1907 am Fried­rich-Wilhelm-Gymnasium in Neuruppin/Mark, dem Geburtsort Theodor Fontanes 1819. In Würzburg, wo er 1907 das Jura-Studium aufnahm, trat er dem Corps Rhenania bei, wo sein Vater „Alter Herr“ war. Im Jahr darauf, im November 1908, wechselte er, nach dem Austritt aus dem Corps, wiederum nach Berlin an die Friedrich-Wilhelm-Universität und bestand dort 1911 die Erste Juristische Staatsprüfung. Seine juristische Hausarbeit trug den Titel „Die Reform der Städteordnung durch den Freiherrn von Stein 1808“. Im selben Jahr erschien sein erster Gedichtband „Der ewige Tag“.

Zwei Versuche, den juristischen Vorbereitungsdienst in Lichterfelde bei Berlin und in Wusterhausen an der Dosse/Prignitz aufzunehmen, scheiterten; seine an der Universität Würzburg eingereich­te Dissertation wurde am 7. Ok­tober 1911 als unzureichend verworfen.

Sein Wunsch, die Offizierslaufbahn einzuschlagen und ins Elsässische Infanterieregiment in Metz einzutreten, wurde durch seinen jähen Unfalltod verhindert. Im bürgerlichen Leben jedenfalls war er gescheitert. Schon am 29. November 1910 hatte er in seinem Tagebuch vermerkt: „Meine Natur sitzt wie in der Zwangsjacke. Ich platze schon in allen Gehirnnähten … Und nun muss ich mich vollstopfen wie eine alte Sau auf der Mast mit der Juristerei, es ist zum Kotzen.“

Dass der gescheiterte Jurist Georg Heym auch noch eine zweite Existenz als Dichter führte, war nur wenigen Freunden bekannt wie Ernst Balcke, mit dem ihn eine Dichterfreundschaft verband, und den Mitgliedern des 1909 in Berlin von Ernst Hiller (1885–1972) gegründeten „Neuen Clubs“, wie Ernst Blass (1890–1939), der als Jude verarmt im Jahr des Kriegsausbruchs in Berlin sterben sollte, und Jakob van Hoddis (1887–1942), der im Vernichtungslager Sobibór vergast wurde. Georg Heym war im Winter 1909/10 zu diesem Kreis gleichgesinnter Autoren gestoßen, die ihn zu düsteren Gedichten wie „Der Gott der Stadt“ (1910) und „Der Krieg“ (1911) anregten:

„Aufgestanden ist er, welcher lange schlief, aufgestanden unten aus Gewölben tief. In der Dämmrung steht er, groß und unbekannt, und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.“

Gedichte wie diese, welche die unheilschwangere Atmosphäre jener Jahre vor dem Ersten Weltkrieg in apokalyptischen Bildern einfangen, erschütterten seine lesenden Zeitgenossen ungemein.

Heym schrieb aber auch Liebesgedichte wie jenes berühmte „Deine Wimpern, die langen“, das er seiner Freundin Hildegard Krohn widmete. Sie war Jüdin und kam 1942 in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager um.

Der Frühverstorbene hinterließ 2000 Seiten Lyrik, Dramatik, Prosa und Tagebuchaufzeichnungen. Erzählungen sind im Nachlassband „Der Dieb“ (1913) gesammelt. Gleichfalls im Leipziger Rowohlt-Verlag waren schon 1912 die nachgelassenen Gedichte „Umbra vitae“ (Schatten des Lebens) erschienen.

Heyms Grab auf dem Friedhof der Luisengemeinde in Berlin-Charlottenburg wurde 1942, nach Ablauf der 30-jährigen Ruhefrist, eingeebnet. Im Januar 2009 jedoch wurde die Grabstelle neu gestaltet. Auf dem Kalkstein steht, dem Wunsch des Dichters entsprechend, nur das altgriechische Wort „Keitei“ (Er schläft).

Eine von Karl Ludwig Schneider erarbeitete Werkausgabe „Dichtungen und Schriften“ (1986) wurde 2005 im Verlag Zweitausend­eins, damals Frankfurt, nachgedruckt. Gunnar Deckers biografischer Essay „Georg Heym“ (176 Seiten) erschien 2011 in Berlin.

Der für das Anlegen unbarmherziger Maßstäbe bekannte Kritiker Marcel Reich-Ranicki urteilte, Heym wäre vielleicht einer der größten deutschen Dichter geworden, jedenfalls des 20. Jahrhunderts. Jörg Bernhard Bilke


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