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14.01.12 / Verliebt im Zug / Mann reist Angebeteten nach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-12 vom 14. Januar 2012

Verliebt im Zug
Mann reist Angebeteten nach

Straßenbahnen haben es Fabio Volo angetan. Der 39-jährige Erfolgsautor wählte bereits in seinem Roman „Einfach losfahren“ die Metapher des Straßenbahnfahrers, der in seinem Leben nur bremsen und beschleunigen könne, während die Gleise die Richtung vorgeben: „Gymnasium, Uni, Arbeit, Heirat, Kinder, Endstation! Am Ende bestimmen wir nur, wie viel Zeit wir dafür brauchen.“

In einer ähnlich festgefahrenen Situation befindet sich der Protagonist aus Volos neuem Buch „Noch ein Tag und eine Nacht“. Wenn Giacomo nicht gerade seinem Bürojob nachgeht, im Fitness-Studio trainiert oder mit Pizza vor dem Fernseher sitzt, dann hangelt er sich von einer kurzweiligen Beziehung zur nächsten und muss so manchem Schlag der Männer seiner Geliebten ausweichen. Alles ändert sich, als der Mittdreißiger auf dem Weg zur Arbeit der Frau seiner Träume begegnet. Über Monate beobachtet er die unbekannte Schöne morgens in der Straßenbahn, ohne sie anzusprechen. Eines Tages ergreift sie die Initiative: „Hast Du Lust auf einen Kaffee? … Ich heiße übrigens Michela.“ Das schwindelerregende Glücksgefühl währt jedoch nur kurz. Bei einem gemeinsamen Espresso in einer Bar eröffnet Michela, sie werde bereits am nächsten Tag beruflich nach New York gehen.

Giacomo bleibt verwirrt zurück. Nachdem er auch nicht durch seine Ex-Freundinnen auf andere Gedanken kommt, packt er seine Koffer und reist seiner Bahnbekanntschaft nach. In New York verleben die beiden einige Tage voller Glück und Nähe.

Leider steht die Verbindung unter keinem guten Stern. Giacomo muss einen Tag früher als geplant nach Italien zurückkehren, denn seine Großmutter liegt im Sterben. Vor seiner Abreise schlägt Michela ihm eine ungewöhnliche Wette vor: „Sehen wir mal, ob wir fähig sind, uns wenigstens für eine bestimmte Zeit aufrichtig zu lieben.“ In drei Monaten wollen sich beide in Paris treffen, um noch einmal einen Tag und eine Nacht zusammen zu verbringen.

Die Idee schicksalhafter Begegnungen auf Rädern ist nicht neu. Im Film „Before sunrise“ lernen sich der Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) und die Französin Céline (Julie Delpy) auf einer Zugfahrt von Budapest nach Paris kennen. Während eines Zwischenstopps in Wien kommen sich beide näher und vereinbaren nach einer gemeinsamen Nacht, sich in einem halben Jahr am selben Bahnsteig wiederzusehen. Doch aufgrund der Beerdigung ihrer Großmutter erscheint Céline nicht wie verabredet. Ihre Wege kreuzen sich erst neun Jahre später in der Fortsetzung „Before sunset“ in Paris. Solange muss der Leser bei Volo nicht warten, um zu erfahren, wie es mit Giacomo und Michela weitergeht.

Sensible Momente und berührende Beziehungen wie die von Giacomo zu seinen Eltern oder zu seiner Großmutter prägen den Roman. Dem Autor gelingt die intime Darstellung des Liebes-paars, ohne ins Vulgäre abzugleiten. Bisweilen wirken die Dialoge der beiden jedoch etwas platt und holprig: „Hast du ein Tattoo?“ – „Nein, aber ich will mir eins machen lassen.“ – „Wo?“ – „Vielleicht am Knöchel.“

Für die atmosphärische Untermalung wäre eine genauere Beschreibung der Schauplätze wünschenswert gewesen, etwa der romantischen Kulisse von Manhattan oder Paris. Sophia E. Gerber

Fabio Volo: „Noch ein Tag und eine Nacht“, Diogenes, Zürich 2011, broschiert, 298 Seiten, 9,90 Euro


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