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21.01.12 / Die Großzügigen vom Schuldenberg / Prunkbibliothek: Berlins CDU knickt für Wowereits Prestige-Projekt ein

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Die Großzügigen vom Schuldenberg
Prunkbibliothek: Berlins CDU knickt für Wowereits Prestige-Projekt ein

Das hochverschuldete Berlin leistet sich eine gigantische neue Bibliothek weit außerhalb der Innenstadt. Dabei steht ein zentralerer und kostengünstigerer Standort längst in Aussicht – im „Humboldt-Forum“.

Ein 270 Millionen Euro teures Prestigeprojekt, der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), ist Teil der Koalitionsvereinbarung zwischen der Berliner SPD und der CDU geworden. Das Vorhaben ist schon seit längerem eines der Lieblingsprojekte des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD). Für die Finanzen Berlins und für die Kultureinrichtungen der Stadt könnte die nun getroffene Entscheidung allerdings folgenschwer sein: „Sinnlos und überteuert“ – so klang die Einschätzung der Berliner CDU in der Vergangenheit, wenn es um den Bau einer neuen Zentral- und Landesbibliothek auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhofs ging. Zumindest bis zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit der SPD blieb die Berliner CDU bei dieser äußerst kritischen Haltung. Auf wundersame Weise hat sich die Partei während der Verhandlungen jedoch davon überzeugen lassen, dass Berlin mit einem Neubau günstiger führe als mit einer Sanierung und „Ertüchtigung“ der bisherigen Bibliotheksstandorte.

Doch was zunächst nach sparsamer Haushaltsführung klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als das genaue Gegenteil. Denn die Sanierungskosten für die Alt-Standorte werden nicht etwa eingespart, sie werden zusätzlich zu den Kosten für den Bibliotheksneubau anfallen. Ein Verkauf der bisher genutzten Gebäude der „Amerika Gedenkbibliothek“ am Halleschen Tor und der Berliner Stadtbibliothek in der Breiten Straße ist nämlich nicht vorgesehen.

Auch künftig sollen beide Standorte für kulturelle Zwecke durch das Land Berlin genutzt – und finanziert – werden. Und dieses Vorhaben dürfte nicht billig werden, denn die 1954 fertiggestellte „Amerika Gedenkbibliothek“ am Halleschen Tor steht als Bau der Nachkriegsmoderne unter Denkmalschutz. In die Sanierung beider Gebäude sind bereits mehrere Millionen Euro Landes- und Bundesmittel geflossen.

Noch unverständlicher wird der nun verkündete Bibliotheksneubau mit Blick auf die bisherigen Senatsentscheidungen in Bezug auf den Wiederaufbau des Berliner Schlosses und das dort geplante Humboldt-Forum. Der Berliner Senat hat sich dort bereits mit einer finanziellen Beteiligung von 32 Millionen Euro eine Fläche von 4000 Quadratmetern für die Berliner Landesbibliothek gesichert. Detail am Rande: Ausgerechnet die Linkspartei, entschieden gegen den Schloss-Wiederaufbau, wollte die für die Bibliothek reservierten Flächen im Humboldt-Forum während ihrer Koalitionszeit mit der SPD sogar dreimal so groß haben. Nach Angaben der Generaldirektorin der Zentral- und Landesbibliothek, Claudia Lux, hätte das Vorhaben „unsere Probleme für die nächsten 20 oder 30 Jahre gelöst“.

Zudem wäre die finanzielle Belastung für Berlin wesentlich geringer ausgefallen als mit dem nun beschlossenen Neubauprojekt. Quasi als Nebeneffekt wäre der Wiederaufbau des Berliner Schlosses auf eine breitere finanzielle Basis gestellt worden. Gescheitert ist der damalige Vorschlag an eben jener SPD, die nun der Öffentlichkeit den Bibliotheksneubau als kostengünstige Lösung präsentiert.

Bis zum Jahr 2020 soll auf dem Tempelhofer Feld der Bau mit 60000 Quadratmetern und Platz für 3,4 Millionen Medien entstehen. Die im Vergleich zum Humboldt-Forum etwas „periphere Lage“ des Tempelhofer Standortes ist sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Architektenkreisen ein weiterer Kritikpunkt.

Kaum diskutiert werden bislang allerdings andere wichtige Fragen: Wie zeitgemäß ist ein Bibliotheksneubau in der geplanten Dimension überhaupt noch? Würden die Berliner nicht mit einer gut ausgestatteten dezentralen Bibliotheksstruktur in den Stadtteilen besser fahren? Geht die Entwicklung, auch bei den Bibliotheken, nicht immer stärker vom gedruckten Buch zum digitalen Medium?

Längst bietet die Zentral- und Landesbibliothek mit ihrem Angebot „voebb24.de“ elektronische Bücher, Hörbücher und Videos zur Nutzung per Internet an. Die Auswahl ist zwar noch begrenzt, doch gilt diese Form der digitalen Medienbereitstellung als Modell der Zukunft. Was Berlin nun stattdessen erhält, ist eine kostspielige Variante der Bibliothek von gestern. Statt des Neubaus wären völlig andere Investitionen nötig: leistungsfähige Rechentechnik, Lizenzerwerbe für Neuerscheinungen und die Digitalisierung der Altbestände. Nicht nur, dass Berlin mit einer „digitalen“ Landesbibliothek unter den deutschen Bibliotheken den großen Wurf landen würde, auch der Kreis der gebührenzahlenden Benutzer ließe sich so erweitern.

Der nun geplante, erst ab 2020 nutzbare Prestigebau auf der grünen Wiese wird absehbar solche und andere Investitionen unmöglich machen. Dass neben dem beschlossenen Neubau auf dem Tempelhofer Feld noch ausreichende Mittel zur Modernisierung des Medienbestands, zur Sanierung der bisher genutzten Gebäude und für die 87 chronisch unterfinanzierten Berliner Stadtteilbibliotheken aufgebracht werden, ist nämlich kaum vorstellbar. Weder bei der SPD noch bei der auf Wowereit-Linie eingeschwenkten CDU scheint der auf etwa 63 Milliarden Euro angewachsene Schuldenberg Berlins ein ausreichender Anlass zu sein, die 270-Millionen-Lieblingsidee des „Regierenden“ nochmals zu überdenken. Norman Hanert


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