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21.01.12 / Bildung: Weniger deutsch, dafür Schema F

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Gastkommentar:
Bildung: Weniger deutsch, dafür Schema F
von Josef Kraus

Wohin man schaut, Deutschland schafft sich ab: demografisch, indem es viel zu wenig Kinder in die Welt setzt; sprachlich, indem es die deutsche Sprache zu einem denglischen Kauderwelsch verkommen lässt; staatsrechtlich und politisch, indem es immer mehr legislative, exekutive und judikative Kompetenzen in Richtung EU schiebt. Bei so viel aktiver deutscher Selbstverleugnung will die hohe Bildungspolitik nicht beiseite stehen. Bildungsstrukturen und Bildungsabschlüsse, um die man die Deutschen beneidet, werden sukzessive über Bord geworfen und auf dem Altar Europas beziehungsweise eines Internationalismus geopfert. Deutschland, das Land der Dichter, Denker und einstmals großen Pädagogen, ist zu einem Land geworden, das es auch bildungspolitisch lieber nicht mehr deutsch, sondern gerne nach Schema F und innerhalb dieser Schemata möglichst egalitär hätte.

Beginnen wir mit den Hochschulen: Sie stecken mitten in der radikalsten Umgestaltung seit 200 Jahren. „Bologna“ heißt das Motto. Fälschlicherweise, denn eigentlich ist das Ganze eine EU-Inszenierung. Hier wird mit der ganz großen Abrissbirne gearbeitet. Im Ergebnis wird damit Wilhelm von Humboldt mit seiner Idee der freien Bildung durch Wissenschaft beerdigt. Dabei ist „Bologna“ nicht etwa ein zwischen Staaten geschlossener völkerrechtlicher Vertrag, sondern nur eine politische Absichtserklärung ohne jede Bindung. Umso protziger ist das verbale Gehabe um „Bologna“: Das Studium verkommt zum „workload“, für den es in „je 30 Einheiten 1 credit point“ gibt. Für die Verrechnung gibt es ein „European Credit Transfer System (ECTS)“, und damit alles seine vermeintliche Richtigkeit hat, braucht man Akkreditierungsräte und

-agenturen noch und nöcher. Die Ziele des Bologna-Prozesses dürfen selbstredend nicht hinterfragt werden. Es geht um Mobilität, Modularisierung, welt- und europaweite Kompatibilität, Steigerung der „Akademiker“-Quote. Fast grotesk ist die Art und Weise, wie die Deutschen „Bologna“ umsetzen. Obwohl das Bologna-Kommuniqué beziehungsweise die Nachfolge-Kommuniqués ein Konsekutivmodell für ein Studium vorschlagen, ist dort mit keinem Wort von Bachelor und Master die Rede. Die Deutschen freilich setzen auf Bachelor- und auf Master-Abschlüsse. Das weltweit höchst anerkannte Diplom und die hochangesehenen Staatsexamina der Ärzte, Juristen und Lehrer gehen damit den Bach hinunter.

Der Bologna-Prozess ist noch gar nicht abgeschlossen, da gibt es schon reichlich Nachrichten von riesigen Bologna-Flops: Die Studienzeit hat sich mitnichten verkürzt, die Abbrecherquote wurde mitnichten gesenkt, die Mobilität der Studenten hat sich mitnichten verbessert, sondern eher verschlechtert. Etikettierungen wie „Studium light“, „Discount-Abschluss“ und Bachelor-„Berufsattrappen“ machen die Runde. Im günstigen Fall erinnert sich jemand an Friedrich Schillers „Brotgelehrte“. Auf ein weises Wort von Karl Jaspers, niedergeschrieben 1930 in seinem Bändchen „Die geistige Situation der Zeit“, werden sich die Reformer wohl kaum besinnen: „Das Massendasein an Hochschulen hat die Tendenz, Wissenschaft als Wissenschaft zu vernichten. Diese soll sich der Menge anpassen, welche nur ihr praktisches Ziel will, ein Examen und die damit verknüpfte Berechtigung …“

Kaum anders ist es mit anderen Bildungsabschlüssen. Alles wird nun in einen Europäischen Qualifikationsrahmen (EQF) mit seinen acht Schubladen gepresst. Zu diesem Zweck werden nationale Qualifikationsrahmen (für Deutschland ist es der DQR) erfunden. Letzterer hat die Aufgabe, eine in Deutschland erworbene Qualifikation mit den Qualifikationen aus anderen Ländern der EU vergleichbar zu machen. Der jüngste Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) vom Herbst 2011, bei der Gestaltung des DQR die verschiedenen Arten der Hochschulreife auf der Stufe 5, die beruflichen Abschlüsse aber überwiegend auf Stufe 4 zu verorten, hat freilich zu Recht manche Verärgerung provoziert. Es ist zwar richtig, dass das deutsche Abitur (als allgemeine Hochschulreife, nicht als fachgebundene oder als Fachhochschulreife) der Stufe 5 zugeordnet wird, denn keine Studierberechtigung der Welt weist diese Breite an Bildung aus. Was etwa Franzosen oder Briten hier zu bieten haben, ist eher eine eng spezialisierte Berechtigung, sich einem Aditur (sic!) – also einer Hochschulzugangsprüfung – zu stellen. Problematisch allerdings wird es, wenn die deutschen Berufsabschlüsse nicht über Stufe 4 hinausgehen sollen. Nehmen wir den Mechatroniker, den Heizungsbauer oder den Bankkaufmann: Solche Abschlüsse und viele weitere, die mit höchster (informations-)technischer, kommunikativer, beziehungsweise kaufmännischer Expertise verbunden sind, gehören auf Stufe 5. Jedenfalls zeugen die bislang bekannt gewordenen Regelungen von Unkenntnis und Arroganz gegenüber der beruflichen Bildung „made in Germany“. Die Gleichwertigkeit von Berufsbildung und Allgemeinbildung – womit keine Gleichartigkeit gemeint ist – darf jedenfalls nicht weiter in Frage gestellt werden; sie muss sich in den Zuordnungen vorurteilslos ausdrücken.

Wir müssen auch endlich weg kommen von der Vorstellung, Deutschland habe im internationalen Vergleich eine zu niedrige Abiturienten- und Studierquote. Mit einem solchen gerade auch von der OECD propagierten Quoten-Wettrüsten verwechselt man nämlich Quantität und Qualität. Außerdem beginnt der Mensch nicht mit dem Abitur oder einem Studium. Man darf mit Fug und Recht annehmen, dass das, was andere Länder als „Abitur“ oder als „Studium“ deklarieren, bei uns nicht einmal einer Fachschulausbildung entspräche. Die Akademiker-Quoten sind schließlich international nicht vergleichbar; in Finnland und in den USA etwa sind auch Krankenschwestern und Kindergartenerzieherinnen „Akademikerinnen“. Viele deutsche Schul- und Berufsabschlüsse unterhalb der formal-akademischen Schwelle haben aber den gleichen Rang wie andernorts Hochschulabschlüsse. Deshalb gilt: Eine formale „Verhochschulung“ unserer Gesellschaft wird der Forderung nach Höherqualifizierung nicht gerecht. Auch in Zukunft werden zwei Drittel der jungen Menschen über die berufliche Bildung den Einstieg in einen Beruf finden. Diese jungen Menschen dürfen nicht als Außenseiter betrachtet und bildungspolitisch vernachlässigt werden. Interessant ist zudem: Dort wo man in Europa die niedrigsten Abiturienten-Quoten hat, hat man zugleich die besten Wirtschaftsdaten: nämlich in Österreich, in der Schweiz sowie in Bayern. Ein wichtiges bildungspolitisches Kriterium wird ebenfalls häufig übersehen, nämlich das Ausmaß an Jugendarbeitslosigkeit. Hier haben oft vermeintliche Pisa-Vorzeigeländer eine Quote von um die 20 Prozent – Finnland etwa. In Ländern mit dualer Berufsbildung dagegen sind es weit unter zehn Prozent: in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz. Auch die angebliche soziale Durchlässigkeit des Bildungswesens anderer Staaten ist oft ein statistisches Artefakt: Wenn in Finnland die Tochter eines Industriearbeiters Krankenschwester wird, dann gilt sie als Paradebeispiel für die soziale Durchlässigkeit des dortigen Bildungswesens. Wenn in Deutschland die Tochter eines Facharbeiters Krankenschwester wird, gilt sie als schreckliches Beispiel für die mangelnde soziale Durchlässigkeit unseres Bildungswesens.

Es muss also Schluss sein mit der Unterordnung anspruchsvoller deutscher Bildungsabschlüsse unter ein Brüsseler Schema F. Der deutschen Politik stünde auch hier gegenüber Brüssel etwas mehr Selbstbewusstsein gut.

 

Josef Kraus, geboren 1949, Oberstudiendirektor an einem Gymnasium in Bayern, Diplom-Psychologe, ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1995 Schattenkultusminister der CDU bei der Wahl zum hessischen Landtag, Mitglied im Beirat für Innere Führung des Bundesministers der Verteidigung, Autor von „Ist die Bildung noch zu retten? Eine Streitschrift“ (2009), „Schluss mit dem Ausverkauf! Vom traurigen Niedergang der Union“ (2011), „Bildung geht nur mit Anstrengung“ (2011).


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