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21.01.12 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

diese Ausgabe trägt ein Datum, das sich in vielen unserer älteren Leserinnen und Leser eingegraben hat und in jedem Jahr wieder auflebt. Es ist der 21./22. Januar, und an diesen eiskalten Wintertagen vor nunmehr 67 Jahren begann die große Odyssee, die uns zum Verlassen der Heimat führte – ohne Heimkehr, wie wir nun bitter feststellen müssen. Trotz der langen Zeitspanne, trotz Neubeginn, trotz bewältigter Lebenskrisen blieben diese Tage unvergessen. Das besagen die Briefe, in denen viele Landsleute ihre Flucht schildern und Fragen stellen, denn die meisten waren damals noch im Kindesalter und Erinnerung und Berichte passen manchmal nicht zusammen. Mit einer kleinen Gedächtnisstütze wollen wir deshalb beginnen, die nicht nur für die Erlebnisgeneration hilfreich ist. Auch für Nachgeborene werden die hier aufgeworfenen Fragen somit transparenter.

Am 13. Januar 1945 beginnt der Großangriff der Russen mit sieben Armeen auf Ostpreußen, Stoßrichtung Königsberg, zwei Tage später Vorstoß an der linken Flanke auf Elbing/Weich­sel­mün­dung. Beginn der Flucht aus frontnahen Gebieten, der Aufbruch erreicht zwischen dem 20. und 30. Januar seinen Höhepunkt. Allgemeine Fluchtrichtung: Weichselübergänge. Im nördlichen Teil erreicht die Flüchtlingswelle Pillau, am 25. beginnen die Seetransporte. Am 27. Januar erreichen die sowjetischen Angriffsspitzen das Frische Haff bei Tolkemit, Ostpreußen ist abgeriegelt, die Fluchtwege über die Weichsel sind versperrt. Der letzte Fluchtweg über Land führt über das Haff und die Frische Nehrung nach Danzig/Gotenhafen, wo die Seetrans­porte beginnen. Als am 27. Januar Königsberg unter Artilleriebeschuss der Sowjets gerät, flieht, wer kann, in Richtung Pillau, wo sich am Kai die Menschenmassen stauen.

Wie es damals bei der größten maritimen Rettungsaktion aller Zeiten zuging, berichtet eine Leserin in einer kaum glaubhaften Geschichte, die zu der schönsten unserer Ostpreußischen Familie gehört. Obgleich sie schon vor einigen Jahren aufgeschrieben wurde, hat sie nicht an Dokumentationswert verloren, im Gegenteil, denn gerade den nachfolgenden Generationen vermittelt sie einen intensiven Einblick in das damalige Geschehen, wie kein Geschichts­text es je könnte. Er zeigt, wie nicht nur das Leben der Flüchtlinge, sondern auch das der jungen Helfer eine Zäsur erfuhren, deren Schnittfläche selbst nach Jahrzehnten noch nicht vernarbt ist. Leiten wir mit dieser Extra-Geschichte die Zeit der Erinnerungen an diesen bitterkalten Winter 1945 ein, die unsere nächsten Familienseiten mitbestimmen werden. (Siehe Beitrag unten.)

Genau auf den 21. Januar 1945 bezieht sich die Frage von Herrn Hartmut Krause aus Oyten. Im Rahmen seiner Aktivitäten für die Kreisgemeinschaft Mohrungen und durch Schriftwechsel mit dem Autor des Buches „Letzte Flüchtlingszüge aus Ostpreußen“, Herrn Heinz Timmreck, ist er auf eine Lücke in seiner eigenen Biografie gestoßen und sucht daher Zeitzeugen. Seiner Erinnerung nach hat er als Sechsjähriger mit seiner Mutter am Abend des 21. Januar mit einem Zug Mohrungen verlassen. Mutter und Sohn waren von der Veitstraße zum nahen Bahnhof gelaufen, und als sie dort einen Zug aus offenen Loren und einigen geschlossenen Wagen sahen, sind sie auf eine der Loren geklettert und haben sich dort bei eisiger Kälte von -17 Grad auf den Boden gekauert. „Es ist ja nicht weit bis Marienburg“, hat die Mutter ihren Jungen getröstet, dem sich diese Fahrt so tief in die Erinnerung eingegraben hat, dass ihm noch heute die vielen unerklärlichen Halts auf der Strecke und die Rufe „Feuer aus, Licht aus!“ gegenwärtig sind. In dem erwähnten Buch erklären nun verschiedene Zeitzeugen, dass am Sonntag, dem 21. Januar 1945, kein Zug von Mohrungen abgefahren sei. Es wird jedoch von Flüchtlingszügen und einem Lazarettzug berichtet, die am folgenden Tag, dem 22. Januar, Mohrungen verlassen hätten und die in ein Zug­unglück, das bei Grünhagen geschah, verstrickt gewesen seien.

Und nun kommt durch eine Leserzuschrift zu diesem Buch die Aussage einer Frau aus Hohenstein ins Spiel, die ebenfalls von einer Zugfahrt in offenen Loren berichtet. Es soll der Zug von General Andrej Wlassow gewesen sein, der am Morgen des 21. Januar auf dem Bahnhof Horn stand. Als der General die vielen Flüchtlinge sah, zögerte er nicht lange und befahl, dem aus geschlossenen Wagen bestehenden Zug offene Loren anzukoppeln. Am Sonntag, dem 21. Januar, verließ dieser Zug um 10 Uhr den Bahnhof Horn. Die Zeitzeugin erinnert sich, dass die russischen Soldaten deutsche Uniformen trugen, dass nachts kein Licht angemacht werden durfte und dass auch die Flüchtlinge in den Loren ständig Angst hatten, dass die sowjetische Armee den Zug entdecken könnte.

Die konkreten Fragen von Herrn Hartmut Krause an unsere Leser beziehen sich auf den Zug, mit dem er am 21. Januar abends Mohrungen verließ, in der Hoffnung, dass sich auch andere Landsleute an diesen erinnern. Wäre es denkbar, dass es sich um den „Zug Wlassow“ handeln könnte, der von Horn kommend in Mohrungen die Dunkelheit abgewartet hätte, um weiterfahren zu können? Könnte eventuell wegen dieses Zuges am 21. Januar die Strecke von Allenstein über Horn und Mohrungen bis Maldeuten für andere Züge gesperrt worden sein? Wenn der Wlassow-Zug aus geschlossenen Personenwagen wie aus Güterwaggons bestand, wäre es möglich, dass er die berüchtigte Druckerei zur Erstellung von Flugblättern mit sich führte? Eine inzwischen vom Autor beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam gestellte Anfrage ergab lediglich, dass sich dort keine Informationen über eine konkrete Reise General Wlassows in diesem Zug im Januar 1945 befänden. Da für Herrn Krause diese Fragen nicht nur für die eigene Lebensgeschichte, sondern auch für die Dokumentation des Geschehens in seinem Heimatkreis wichtig sind, hofft er sehr auf hinweisende oder klärende Zuschriften. (Hartmut Krause, KG Mohrungen, Elbinger Straße 40 in 28876 Oyten, Telefon 04207/1045.)

Zeit und Geschehen stimmen fast überein mit der Frage, die Herrn Alfred Schwenke aus Windeck bis heute beschäftigt. Es geht um das bisher ungelöste Schicksal seiner Mutter Johanna Schwenke geborene Sperber aus Insterburg. Die letzten Nachrichten kamen Anfang 1945 aus Marienburg und Greifenberg in Pommern. Sie muss also mit einem der letzten Züge aus Ostpreußen herausgekommen sein und ist dann wahrscheinlich während der letzten Kampfhandlungen verstorben oder einer Krankheit erlegen. Frau Schwenke muss in Greifenberg Unterkunft gefunden haben, denn sie gibt als Adresse an: Johann-Möller-Straße 25, Haus Stenz. Ihr Sohn Alfred war zu jener Zeit als Luftwaffenhelfer eingesetzt und kam in russische Gefangenschaft. Seine damals 62-jährige Mutter versuchte, sich wohl alleine nach Mitteldeutschland durchzuschlagen, denn sie wollte zu ihrem Mann, der bei Verwandten in Tharand bei Dresden lebte und dort arbeitete. Vielleicht ist Frau Schwenke aber auch mit anderen Insterburgern auf die Flucht gegangen, mit Nachbarn – die Familie wohnte Georg-Friedrich-Straße 5 – oder Mitgliedern der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde, der die Familie Schwenke angehörte. Der Sohn wandte sich nun an uns mit der Frage, „ob nicht meine Mutter zur damaligen Zeit in Ihren Büchern steht“. Was er auch immer damit meint, wahrscheinlich Fluchtberichte oder Namenslisten der Transporte – wir können ihm leider nicht helfen und müssen die Frage an unsere Leserinnen und Leser weitergeben. Vor allem an die Flüchtlinge, die in Pommern den Russen in die Hände fielen, als Ende Februar der Hauptangriff der 1. Weißrussischen Front auf dieses Gebiet erfolgte und dort die „Hölle von Kolberg“ begann. Hat Frau Schwenke noch versucht, sich von dem nahe gelegenen Greifenberg westwärts abzusetzen, ist sie in Richtung Küste geflüchtet oder den Russen in die Hände gefallen? Wir haben schon öfters Fragen behandelt, die dieses furchtbare Geschehen in Pommern betrafen, deshalb könnte es möglich sein, dass Herr Schwenke einige Zuschriften erhält. Ob der Name seiner Mutter irgendwo auftaucht, ist allerdings zu bezweifeln, die Zeit fordert eben ihren Tribut! (Alfred Schwenke, Niederhausener Straße 5 in 51570 Windeck, Telefon 02292/1862.)

Unter den Ostpreußen, denen die Flucht nicht mehr gelang, waren viele Frauen, die in russische Gefangenschaft gerieten und verschleppt wurden. Zu ihnen gehörte die 18-jährige Königsbergerin Ruth Schwarz, die – nach dem „Diebstahl“ von fünf Roten Rüben – in sowjetische Straflager in Sibirien kam und erst nach insgesamt zehn Jahren unter russischer Zwangsherrschaft ihre Freiheit erhielt. Die heute in Hamburg lebende Königsbergerin hat unter ihrem späteren Ehenamen Buntkirchen diese Zeit in ihrem Buch „Das gestohlene Jahrzehnt“ so hervorragend geschildert, dass es mehr als eine Biografie ist, sondern durch Einbeziehung weiterer Schicksale einen hohen dokumentarischen Wert besitzt. Zu den Frauen, mit denen sie das gleiche Los teilte, gehörte auch die Königsbergerin Elli Obitz, die als 39-jährige Frau 1947 auf dem Schwarzen Markt in Königsberg verhaftet und zu sieben Jahren Arbeitslager wegen Spe­ku­lantentums verurteilt wurde. Frau Buntkirchen lernte Elli Obitz 1949 in Archangelsk näher kennen, es entwickelte sich eine vertrauensvolle Freundschaft, die bis zur Entlassung der Jüngeren im Juli 1952 gepflegt wurde. Sie teilten gemeinsam die Sorge um ihre Angehörigen, von denen sie jahrelang nichts hörten. Frau Obitz hatte in Königsberg ihren elfjährigen Sohn Erhardt allein zurücklassen müssen, sein ungewisses Schick­sal war ihre größte Sorge, und Ruth Buntkirchen nahm daran regen Anteil. Es beschäftigt sie noch heute, denn sie bat mich nun, über die Ostpreußische Familie nach ihm zu suchen, denn sie möchte ihm den authentischen Bericht zukommen lassen, den sie über die gemeinsame Zeit mit seiner Mutter in den sowjetischen Arbeitslagern geschrieben hat. Erhardt Obitz, *1936 in Königsberg, hat überlebt. Frau Buntkirchen besitzt noch eine Adresse aus den 50er Jahren: Starkenburgring 25 in Offenbach am Main. Sie hat in vielen Richtungen nach ihm gesucht, leider ohne Erfolg, vielleicht stellt er sich jetzt ein. (Ruth Buntkirchen, Uferstraße 28 in 22113 Oststeinbeck, Telefon 040/7122316.)

Eure Ruth Geede


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