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21.01.12 / Wie Ruth S. ihren Lebensretter wiederfand / Nach der Flucht schickte der Matrose ihr ein selbstverfasstes Gedicht – Die innerdeutsche Grenze trennte die beiden über Jahrzehnte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Wie Ruth S. ihren Lebensretter wiederfand
Nach der Flucht schickte der Matrose ihr ein selbstverfasstes Gedicht – Die innerdeutsche Grenze trennte die beiden über Jahrzehnte

Erinnerungen werden durch unsere Familie immer wieder geweckt und dann werden auch die eigenen lebendig. So erging es einer nach Thüringen verschlagenen Königsbergerin, der ihr letztes Erlebnis auf ostpreußischem Boden keine Ruhe ließ. Ruth S. beschrieb es so in ihrem ersten Brief an uns:

„Ich stand mit meinen Eltern in einer eiskalten Nacht – es war der 28. Januar 1945 – ziemlich verlassen und hilflos im Hafen von Pillau. Soweit hatten wir es schon geschafft mithilfe eines Kohlenschleppers, aber wie sollte es weitergehen? Ringsum wimmelte es von Flüchtlingen. In dieser Situation sprach ich einen jungen Matrosen an mit der Bitte, uns doch zu helfen, auf ein Schiff zu kommen.“ Und er schaffte es, uns an Bord der „Lappland“ zu bugsieren. Ich musste an der Strick­leiter der Außenwand des Schiffes hochklettern, was ich auch ohne zu zögern tat. In so einer Lage wachsen einem wohl besondere Kräfte zu! Irgendwie blieb noch so viel Zeit, dass ich unserem jungen Lebensretter die Anschrift unseres Zielortes geben konnte: Weimar. Mit seiner Hilfe glückte uns die Flucht über See.“

Ein erstes Lebenszeichen kam von dem Lebensretter im Dezember 1945. Er sandte ein Foto von sich als Matrose und legte ein selbstverfasstes Gedicht bei:

„Denk’ oft an jene schwere Stunde,

wo Du verlassen, was Du als Kind geliebt.

Wo Du als Freund mich hast gefunden,

dem Gott die Kraft zur Hilfe gibt.

Mein Lebensweg, es war kein guter,

als Du mich sahst in jener Nacht.

Sieh Du in mir den eigenen Bruder

Und frag’ mich nie, was ich vordem gemacht.

Der Krieg, er machte mich zum Soldaten,

als dieser tat ich meine Pflicht.

Du weißt es, Schwester, was wir taten,

verurteil’ Du mich bitte nicht!“

Es waren Zeilen, die irgendwie von Schuld sprachen, unter der damals nach dem furchtbaren Krieg so manch ein junger Mensch zu leiden glaubte, weil sie ihm zudiktiert wurde. Aber, was ihn auch immer zu diesen Zeilen veranlasst hatte: Er war für Ruth aus Königsberg zum Retter geworden. Das Gedicht an jene Nacht in Pillau hatte sie aufgehoben sowie seine Anschrift in Frankfurt-Schwanheim.

Nach dem Mauerfall – zuvor hatte es keine Verbindung mehr gegeben – war es der Schreiberin ein großes Bedürfnis, diesem Mann und allen namenlosen Helfern zu danken, die uns Flüchtlingen in jenen schweren Stunden beigestanden hatten. Oft hatte sie sich gefragt, ob und wo Bernd H. noch leben mochte. Mit dieser Frage wandte sie sich nun an uns.

Wie sollten wir diese über unsere Ostpreußische Familie vermitteln? Der Gesuchte stammte ja nicht aus unserer Heimat, er war Hesse. Der einzige Anhaltspunkt war die alte Anschrift in Frankfurt. Ich bat deshalb unsere Leserinnen und Leser aus diesem Raum, nach dem Mann zu forschen. Vielleicht ergaben sich ja noch andere Fingerzeige.

Die Antwort von Frau S. kam schon zwei Wochen später:

„Mir ist es ein großes Bedürfnis, Ihnen von ganzem Herzen zu danken. Es stellten sich nämlich Reaktionen ein, mit denen ich nie gerechnet hatte. Vier Frankfurter Leserinnen des Ostpreußenblattes suchten sofort und fanden die neue Adresse des Gesuchten. Sie benachrichtigten ihn, schickten ihm sogar den Zeitungsausschnitt und gaben auch mir Nachricht.

Wenige Tage später traf ein Brief von dem total Überraschten bei mir ein. Er schrieb sehr nett und liebenswürdig, auch ein Stück seiner Lebensgeschichte. Und mein altes Herz klopfte wie verrückt. Inzwischen hat er auch einen langen, dankbaren Brief von mir erhalten.“

Und es ergab sich noch mehr für die glückliche Frau. Eine ehemalige Mitschülerin schrieb ihr, dass sie sich gut an sie erinnere und nannte auch weitere Namen aus der Schulzeit. „Leider muss ich gestehen, dass über diese Zeit die meisten weißen Flecken in meiner Erinnerung entstanden sind. In den vergangenen Jahrzehnten hat doch hier niemand nach mir gefragt und mit wem sollte ich sprechen? Ich hoffe, jetzt noch aus meiner Vergangenheit herauszufinden, was mich seit langem bewegt und beschäftigt.“ Ja, das war die Geschichte von Ruth S. und ihrem Lebensretter. Ich bin froh, sie hier so ausführlich erzählen zu können. Denn aus ihr spricht ja der Dank an alle unsere Retter auf See.

Auch der meine. Denn auch ich stand mit meiner Mutter in jener Nacht am Kai in Pillau zwischen Zehntausenden von Schicksalsgefährten. Und auch ich hatte Retter, denen ich nie danken konnte, weil sie namenlos geblieben sind. R.G.


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