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21.01.12 / Ein Pausenapfel als Lehrmaterial / Ein geplanter Jungenstreich ging gründlich daneben − Lehrer bluffte gekonnt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Ein Pausenapfel als Lehrmaterial
Ein geplanter Jungenstreich ging gründlich daneben − Lehrer bluffte gekonnt

Herr Baumann, unser Klassenlehrer, war ein Mann mit vielseitigen Fähigkeiten und nie versiegendem Humor. Er liebte die schönen Künste, konnte den „Faust“ und „Die Räuber“ auswendig hersagen und spielte bei allen feierlichen Anlässen das große Harmonium in der Aula der Schule – aber er machte uns auch am Reck die Riesenwelle vor. Wir Schüler bewunderten ihn. Dennoch artete unsere Hochachtung niemals in unterwürfige Verehrung aus. Im Gegenteil. Wir setzten geradezu unseren Ehrgeiz darein, Herrn Baumann durch einen gelungenen Streich zu imponieren. Zwar zogen wir zumeist den Kürzeren dabei – doch das spornte uns immer wieder zu neuen Taten an.

Hatte Herr Baumann jemand bei einem mehr oder weniger geistreichen Schabernack ertappt, dann hielt er ihm belustigt vor der ganzen Klasse eine gehörige Standpauke. Sie endete oft mit einem passenden Dichterwort, gipfelte jedoch stets in der Erkenntnis, dass es keinesfalls verboten war, einem anderen einen harmlosen Streich zu spielen – man durfte sich nur nicht dabei erwischen lassen! Und dann verdonnerte er den Missetäter zu einer literarischen Strafarbeit, die darin bestand, Schillers „Lied von der Glocke“ auswendig zu lernen.

Neben den zahlreichen Talenten und seinem oft verblüffenden Witz besaß Herr Baumann noch eine besondere Vorliebe für Obst. Vor allem Äpfel hatten es ihm angetan. So legte er jeden Morgen zu seinem Frühstücksbrot auch einen Apfel in die Schublade des Katheders. Er erhielt von uns den Namen „Pausenapfel“, weil Herr Baumann ihn stets in der großen Pause zu verzehren pflegte.

Um diese Äpfel bildeten sich mit der Zeit wahre Legenden, denn die Reihe der rotwangigen Prachtexemplare riss nicht ab. Schließlich lief sogar unserem Musterschüler das Wasser im Mund zusammen, wenn der Klassenlehrer wieder einmal einen Apfel aus seiner Aktentasche hervorholte, der augenscheinlich noch saftiger, noch rotbäckiger und womöglich noch größer war als der vom Tag zuvor.

Die einen behaupteten, Herr Baumann habe einen eigenen Obstgarten, andere wollten wissen, dass er die geheimnisvollen Äpfel noch grün kaufte, um sie dann nach einem ganz besonderen Verfahren ausreifen zu lassen. Kurz gesagt, uns gingen die Äpfel nicht mehr aus dem Kopf. Und es gab niemand in der Klasse, der nicht den geheimen Wunsch hatte, in einen solchen Pausenapfel hineinzubeißen.Doch keiner traute sich, das zu unternehmen.

Ich hatte lange mit mir gekämpft. Eigentlich konnte doch gar nichts schiefgehen. Wenn ich mich nicht selbst verriet, würde es niemals herauskommen, wer den Apfel aus der Schublade des Katheders genommen hatte. Ich musste nur auf eine günstige Gelegenheit warten.. Sie kam schneller, als ich es ahnte. Herr Baumann wurde am Vormittag zum Direktor gerufen. Die Klassen begaben sich auf den Schulhof. Ich ging mit den anderen hinaus, sonderte mich unauffällig von ihnen ab und kehrte unbemerkt ins Klassenzimmer zurück.

Hastig trat ich ans Katheder und öffnete die Schublade. Da lag der Apfel! Rotwangig und verführerisch. Ich zögerte. Dann griff ich zu, verbarg den Apfel in meiner Hosentasche und schlich ins Kartenzimmer hinüber. Das aufgerollte, in Öl gemalte Panorama der bayerischen Alpen schützte mich vor unliebsamer Überraschung. Krachend biss ich in den Apfel. Eigentlich war es eine kleine Enttäuschung – denn diese von allen Mitschülern begehrte Frucht schmeckte genaugenommen wie jede andere der gleichen Sorte. Doch die drohende Gefahr der Entdeckung und die außergewöhnliche Situation ließen mir den Apel als nie gekannte Köstlichkeit erscheinen. Während der nächsten Unterrichtsstunde geschah nichts. Dann läutete die Glocke zur großen Pause. Die Zeit auf dem Schulhof dehnte sich endlos für mich aus. Es fiel mir schwer, mein Geheimnis für mich zu behalten. Denn, offen gestanden, war ich natürlich stolz auf das gelungene Wagnis. Die Spannung wuchs, als wir wieder in die Klasse zurückgekehrt waren. Ich unterhielt mich angelegentlich mit meinem Banknachbarn, blickte dabei aber unverwandt zur Tür.

Endlich kam Herr Baumann herein, legte schwungvoll die Bücher für den Biologieunterricht aufs Katheder und setzte sich. Ich beobachtete ihn genau. Er schien bester Laune zu sein und begann die Stunde mit einer scherzhaften Bemerkung. Ich stutzte. Hatte Herr Baumann noch gar nicht festgestellt, dass sein Apfel vor der Pause aus der Schublade verschwunden war? Oder tat er nur so, um denjenigen zu verunsichern, der ihm den Streich gespielt hatte?

Ich saß wie auf glühenden Kohlen. Allmählich jedoch beruhigte ich mich. Was sollte mir schon passieren? Niemand hatte bemerkt, dass ich vorhin noch einmal ins Klassenzimmer zurückgegangen war. Herr Baumann, dem sonst nichts verborgen blieb, würde niemals erfahren, wer seinen Pausenapfel stibitzt hatte. Durch diese Überlegungen war ich vom Biologieunterricht völlig abgelenkt worden. Ich hörte erst wieder zu, als Herr Baumann von den häufig falsch angewandten, umweltschädlichen Mitteln zur Parasitenbekämpfung im Obstanbau sprach.

„Eigentlich wollte ich euch an einem deutlichen Beispiel zeigen, welche ungeahnten Auswirkungen dieses Verhalten für die Früchte und den Menschen selbst hervorruft“. erklärte unser Lehrer gerade. „Ich hatte deshalb einen Apfel mit einem dieser hochkonzentrierten Gifte präpariert, um ein Experiment anzustellen. Aber ich konnte ihn leider nicht mehr finden.“ Herr Baumann schloss mit einer bedauernden Handbewegung. „– na ja, wahrscheinlich habe ich den Apfel zu Hause vergessen.“

Seine Worte dröhnten wie Paukenschläge in meinen Ohren. Ich wurde kreidebleich und verspürte plötzlich eine heftige Übelkeit in mir aufsteigen. Vor meinen Augen begann sich alles zu drehen. Das erste, was ich wieder deutlich sah, war Herr Baumann, der neben mir stand. Er strahlte!

„Na also – da haben wir ja unseren Pfiffikus“, sagte er und fügte schnell hinzu: „Keine Sorge, mein Lieber. Die Geschichte mit dem Pflanzengift war natürlich nur ein kleiner Trick von mir, um herauszufinden, wer denn nun meinen Pausenapfel verzehrt hat.“ Lachen und Beifall bestätigten Herrn Baumann, dass er wieder einmal schlauer als einer von uns gewesen war. „Du weißt ja, dass ich gegen einen besonders gut ausgedachten Streich nicht das geringste einzuwenden habe“, meinte er und zwinkerte mir bedeutungsvoll zu. „Nur darf man sich dabei nicht erwischen lassen“, vollendete ich kleinlaut. „So ist es, mein Freund“, nickte Herr Baumann. Und danach sprach er die für diesen Fall bemessene Strafarbeit aus. Ich kann heute noch, ohne auch nur einmal zu stocken, Schillers „Lied von der Glocke“ auswendig hersagen. Albert Loesnau


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