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21.01.12 / Verbrecherische Clique schützen? / Kriegsreporter kritisiert den Unsinn des Afghanistan-Einsatzes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Verbrecherische Clique schützen?
Kriegsreporter kritisiert den Unsinn des Afghanistan-Einsatzes

Vor zehn Jahren begann der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Im Dezember 2001 hatte der Deutsche Bundestag für die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan im Rahmen der internationalen Schutztruppe Isaf gestimmt. Der Einsatz hatte einen humanitären Charakter und diente der Stabilisierung der Regierung von Präsident Hamid Karsai. Von Afghanistan soll keine terroristische Bedrohung mehr ausgehen. Nach und nach wurde die Bundeswehr in einen Krieg gegen die Aufstandsbewegung hineingezogen, ohne über die entsprechende Ausrüstung zu verfügen, ohne mental darauf vorbereitet zu sein. Was das in der Realität bedeutet, schildert der Journalist Marco Seliger in seinem Buch „Sterben für Kabul. Aufzeichnungen über einen verdrängten Krieg“ in drastischen, mitunter schockierenden Reportagen.

Seliger ist Reservist und war selbst in Afghanistan stationiert. Seit zehn Jahren berichtet der 39-Jährige für das Magazin „loyal“ und die „FAZ“ aus Afghanistan. Mehrmals hat er vor Ort recherchiert. Sein Anliegen ist es, dass die Menschen in Deutschland erfahren, was die eigenen Mitbürger in 5500 Kilometer Entfernung durchleben. Er beklagt, dass der Krieg gegen die im Volk verwurzelten Aufständischen in der Bundesrepublik von Anfang an tendenziell verharmlost und verdrängt worden sei, ebenso wie die Befürchtung, dass der verlustreiche und teure Militäreinsatz zu scheitern droht, weil im Völkerkessel Afghanistan Demokratie noch nicht gewollt sei und weil die Besatzungstruppen in vielen Gegenden nicht präsent sind. Luftschläge sind nach wie vor das taktische Mittel der multinationalen Streitkräfte, um der Gefahr zu begegnen.

Die wieder erstarkten Taliban operieren aus dem Hinterhalt heraus und verminen Straßen, stellen sich als menschliche Bombe grinsend vor ihre ahnungslosen Opfer. Mit dem Bewusstsein, dass jeder Einheimische ein potenzieller Angreifer sein kann, müssen die deutschen Männer und Frauen im Einsatzgebiet der Bundeswehr im Norden Afghanistans täglich ihren Dienst ausüben. Zudem falle es aufgrund der deutschen Geschichte den meisten schwer zu akzeptieren, dass es zu den Aufgaben von Soldaten gehört, Menschen zu töten, meint der Autor.

Immer wieder stellt er die Frage nach dem Sinn: „Warum müssen junge Männer ihre Gesundheit in einem fernen, ihnen vollkommen fremden Land riskieren?“ Diese Frage treibt auch die Soldaten um. Einer von ihnen sagt: „Die afghanische Gesellschaft gleicht einem Sumpf. Es gibt wenige, auf die man sich verlassen kann. Wir fragen uns, wofür wir hier unser Leben einsetzen.“ Längst habe die Bundesregierung keine schlüssigen und vor allem glaubwürdigen Antworten mehr. Dessen ungeachtet werde der Einsatz fortgesetzt, so der Vorwurf des Autors.

Aufschlussreich sind seine Kommentare zur Entwicklung des innerafghanischen Konflikts. Im Zentrum stehen jedoch die Schick-sale der getöteten, verwundeten, verstümmelten und zu psychischen Wracks geschossenen Soldaten. 53 deutsche Soldaten sind bis Ende August 2011 gestorben, die meisten durch Selbstmordattentate. Ihr Tod ist sinnlos aus Sicht ihrer Angehörigen, auch weil sich, wie hier behauptet wird, in ihrem Heimatland kaum jemand für ihr Schicksal interessiere. Sie starben, so das harte Urteil des Autors, damit sich in Kabul eine teilweise verbrecherische Clique bereichern und an der Macht halten kann. Bereits 2004 waren einige der ehemaligen Kriegsherren, die Seliger als „Afghanistans Totengräber“ bezeichnet, durch gefälschte Wahlen wieder ins Parlament gelangt. Inzwischen ist die größte terroristische Bedrohung in Pakistan zu verorten, der Atommacht. Dem Land müsse in Zukunft das Augenmerk der Staatenwelt in gleicher Weise wie Afghanistan gelten, mahnt Seliger. Der Westen müsse weiterhin Milliarden für den Unterhalt der afghanischen Sicherheitskräfte aufbringen, um zu verhindern, dass diese sich bald nach dem Abzug der Isaf Ende 2014 auflösen. Ansonsten sei zu befürchten, dass das Land im Chaos des Bürgerkriegs versinkt. Dagmar Jestrzemski

Marco Seliger: „Sterben für Kabul. Aufzeichnungen über einen verdrängten Krieg“, Mittler & Sohn, Hamburg 2011, broschiert, 224 Seiten, 19,95 Euro


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