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28.01.12 / Mit Autobomben an die Macht / »Westliche Bildung ist verboten«: Islamisten versuchen Nigeria zu übernehmen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-12 vom 28. Januar 2012

Mit Autobomben an die Macht
»Westliche Bildung ist verboten«: Islamisten versuchen Nigeria zu übernehmen

Die islamistische Sekte der Boko Haram nutzt die schwierige soziale Lage im Norden Nigerias, um einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Mit Hilfe von Al Kaida professionalisiert sich ihr Terror, aber ihre Verankerung im Volk sinkt.

Der jüngste Gewaltausbruch zur Jahreswende im Namen der Religion in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, ist der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Reihe von gewaltsamen Konflikten, die das Land seit Jahren erschüttern. Seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahr 1999 sind in Nigeria über 15000 Menschen bei Konflikten zwischen den Religionsgemeinschaften umgekommen. Die islamistische Sekte Boko Haram, was so viel heißt wie „westliche Bildung ist verboten“, steht hinter der interreligiösen Gewalt in dieser Region. Boko Haram sieht sich als Verfechter des wahren Islam, sie ist 2002 von dem Prediger Mohammed Yusuf gegründet worden, der 2009 im Polizeigewahrsam getötet wurde. Obwohl seit 1999 die zwölf nördlichen Bundesstaaten Nigerias das Scharia-Strafrecht eingeführt haben, geht Boko Haram die Islamisierung des Landes nicht weit genug. Man will einen islamischen Gottesstaat.

Über Boko Haram liegen kaum verlässliche Informationen vor, weder die Zahl ihrer Mitglieder noch ihre Struktur sind bekannt. Die Anhänger der radikalen Islamisten sind nicht nur in Nigeria zu finden, sondern auch in den Nachbarländern Kamerun und Niger. Der Einflussbereich der Sekte

deckt sich mit den Grenzen des historischen Kalifats von Sokoto, dessen staatliche Strukturen nach dem Einmarsch der britischen Kolonialtruppen im Jahr 1903 aufhörten, zu existieren. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass das Oberhaupt aller nigerianischen Muslime, der Emir von Sokoto, Muhammad Sa’ad Abubakar (55), sich bis heute nicht deutlich gegen Boko Haram ausgesprochen hat, obwohl er bei gemeinsamen Stellungnahmen mit dem Erzbischof von Abuja die brutale Gewalt der Mitglieder von Boko Haram aufs Schärfste verurteilt hat.

Angefangen hatte alles 2002, als es infolge von Demonstrationen gegen die geplanten „Miss-World-Wahlen“, die in Nigeria stattfinden sollten, eine Gewaltwelle in der Stadt Kaduna gab, in deren Verlauf Hunderte von Menschen ihr Leben verloren. Im Februar 2006 kam es in Maiduguri zu gewaltsamen Übergriffen auf Christen mit mehreren Hundert Toten und zahlreiche zerstörten Kirchen. Während Boko Haram früher gezielte Morde an Polizisten, Richtern und Kirchenvertretern vom Rücksitz eines vorbeifahrenden Motorrades aus verübte, baut die Sekte jetzt mit Vorliebe Autobomben. Im Mai 2010 explodierten zur Amtseinführung von Präsident Goodluck Jonathan sowohl in mehreren nördlichen Bundesstaaten als auch in der Hauptstadt Abuja Autobomben. Einen Monat später, im Juni, flog das Hauptquartier der Polizei in Abuja in die Luft, im August traf es das Hauptquartier der Vereinten Nationen ebenfalls in Abuja. Höhepunkt der Terrorsaison ist jedes Jahr das Weihnachtsfest, als 2010 und 2011 ein halbes Dutzend Sprengsätze vor Kirchen explodierten mit Dutzenden von Toten. Die Sekte, die in Nigeria selbst bereits den Namen Al Kaida hat, unterhält Kontakte zur nordafrikanischen Al-Kaida-Filiale im Islamischen Maghreb (Aqim). Auch zu Islamisten in Afghanistan, Pakistan, Jemen oder Somalia bestehen Kontakte. Vor zwei Jahren wurden in Maiduguri, wo Boko Haram ihren Ursprung hat, zwei pakistanische Wanderprediger festgenommen, die in den Moscheen zum Heiligen Krieg aufgerufen hatten. Die Männer waren aus Somalia gekommen. Osama Bin Ladin wird im Norden Nigerias als Held und Märtyrer verehrt. Es ist Mode geworden, einen Jungen nach dem toten Al-Kaida-Führer zu benennen, und T-Shirts mit seinem Konterfei werden überall auf den Straßen zum Kauf angeboten. Mit ihrer Radikalisierung hat Boko Haram allerdings auch einen guten Teil ihres Rückhaltes in der lokalen Bevölkerung verloren.

Die Terrorwellen im Norden Nigerias haben unmittelbar mit dem Zustand des Landes zu tun, mit der Korruption und der Unfähigkeit des Staates, seinen Bürgern adäquate Lebensbedingungen zu sichern. Dieses System der allumfassenden Korruption hat in den Augen der Muslime direkt mit der aus dem Westen importierten Verwaltungsstruktur zu tun und damit mit dem Christentum. Boko Haram hat seine soziale Grundlage in einem Netz von Koranschulen, die den Armen ein Mindestmaß an Bildung sichern wollen. Da diese Schulen keiner staatlichen Aufsicht unterstehen, können Kinder und Jugendliche der Koranschulen von radikalen Islamisten um Boko Haram für ihre eigenen Zwecke leicht instrumentalisiert werden.

Obwohl Nigeria immense Einnahmen aus der Erdölproduktion hat, kommen diese ausschließlich den herrschenden Eliten zugute. Eine Besserung der Situation der Bevölkerung, insbesondere im Norden, aber auch im Niger-Delta, wo sich die riesigen Ölvorkommen befinden, ist nicht festzustellen.

Radikale Formen von Islamismus haben in Nigeria eine lange Tradition. Bereits im 18. Jahrhundert führte Usman dan Fodio einen Dschihad gegen volkstümliche Formen des Islam, der infolge des islamischen Sklavenhandels bereits im 11. Jahrhundert nach Nord-Nigeria gekommen war. Auf sein Vorbild geht das Kalifat von Sokoto zurück, das jetzt wieder hinter der Sekte Boko Haram steht. Das von den Briten 1960 in die Unabhängigkeit entlasse Nigeria ist ein Kunstgebilde, das keine eigene Identität besitzt, der christliche Süden scheiterte 1970 im Biafrakrieg mit einer Sezession, der Norden versuchte zwischen 1970 bis 1985 in dem sogenannten Maitatsine-Aufstand eine Abspaltung. Beide Kriege forderten Zehntausende von Toten. Nigeria ist mit 150 Millionen Einwohnern das mit Abstand größte und mit seinen Erdölvorkommen eines der reichsten Länder Schwarzafrikas. Mit seiner etwa zur Hälfte muslimischen und christlichen Bevölkerung ist Nigeria ein Beispiel eines religiösen Machtkampfes, der vielen Ländern bevorsteht, in dem der Islam mit seinem politischen Anspruch sich stark genug fühlt, eine Gesellschaft zu majorisieren. Bodo Bost


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