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28.01.12 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-12 vom 28. Januar 2012

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

die Fischer von Alt Passarge haben einen reichen Fang eingebracht, wie Ihr aus unserem Extra-Beitrag erseht. Da aber Frau Eichler auch gefragt hatte, ob noch Fischer aus weiteren Orten am Frischen Haff vor über 100 Jahren ihre Heimatorte verließen, um einen anderen Hafen anzusteuern, blieb zunächst diese Frage unbeantwortet – bis wir das Schreiben von Frau Gertrud Gott-hard aus Hamburg erhielten. Auch ihre Familiengeschichte hat mit dem Frischen Haff zu tun, denn ihre Großeltern stammten aus Heide Maulen/Haffstrom. Diese Orte lagen allerdings an der Nordost-Spitze des Haffes, schon dicht vor Königsberg, und damit hat diese Geschichte auch nichts mit den Alt Passarger Fischern zu tun. Sie führt auch nicht an die Nordsee, sondern an die Ostseeküste Schleswig-Holsteins, nach Arnis. Diese kleinste Stadt der Bundesrepublik kennt man aus der ZDF-Serie „Der Landarzt“, dort heißt sie allerdings Dekelsen und ist für jede idyllische Szene gut. Als Frau Gotthards Großvater nach Arnis ging, hatten weder Fernsehen noch Tourismus diesen beschaulichen Fischerort an der Schleimündung entdeckt. Für ihn aber bot er Lohn und Brot – doch lassen wir Frau Gottschalk selber erzählen:

„Mein Großvater mütterlicherseits Richard Grohnert (*1868) und seine sieben Jahre jüngere Frau Elisabeth lebten bis 1907 in Heide-Maulen. Sie hatten bis dahin schon sieben Kinder, leider verstarben vier von ihnen schon sehr früh, darunter auch der einzige Sohn. Wahrscheinlich lag es an der wirtschaftlichen Lage, dass sich Richard Grohnert entschloss, mit einem 15 Jahre jüngeren Fischerfreund nach Arnis zu gehen. Ein Bekannter hatte dort einen Verwandten besucht, auch ein Fischer, und der hatte von den vielen Fischen in der Schlei erzählt. Mein Großvater und sein Freund konnten in Arnis gleich auf einem Kutter mitfahren, sie verdienten so gut, dass sich nach zwei Jahren schon jeder ein Haus kaufen konnte. Mein Großvater hatte ein kleines Fischergehöft mit Vorder- und Hinterhaus, Stall und Garten, und einem kleinen Stück Land mit Bootssteg erworben. Der Besitzer war verstorben und die Erben veräußerten es.“

Das war natürlich ein großer Glücksfall für den Fischer Grohnert, denn er konnte jetzt seine Familie nachholen. Mit Frau und den beiden jüngsten Töchtern – die älteste blieb bei einer Schwester der Großmutter, damit es diese beim Einleben in Arnis etwas leichter hatte – ging es an den neuen Wohnort an der Schlei. „Meine Großmutter hat zuerst sehr unter Heimweh gelitten“, berichtet Frau Gotthard weiter. „Aber 1910 wurde dann meine Mutter geboren und im Jahr darauf ging es zur Hochzeit ihrer Schwester zurück nach Heide Maulen“. Diese 14 Tage waren für Großmuter Gottschalk die letzten in der Heimat, denn das Leben nahm sie hart in den Griff. Ihr Mann ertrank 1921 in der Schlei, er war nach einem Herzanfall über Bord gefallen und wurde erst einige Tage später an der Schleibrücke bei Lindaunis gefunden. Nun fehlte der Ernährer, aber die Fischerfreunde halfen sehr viel, eine Tochter verdiente schon, das Hinterhaus wurde vermietet, Gartenfrüchte, Geflügel und natürlich Fisch trugen zur Ernährung bei. Nur zu einer Reise in die Heimat langte es wohl nicht mehr für die Witwe, die bereits mit 57 Jahren verstarb. Dafür ging 1926 ihre 16-jährige Tochter – Mutter von Frau Gotthard – zur Berufsausbildung nach Königsberg, heiratete dort und blieb auch mit ihren drei Töchtern in Ostpreußen − bis zur Flucht. Die führte dann von Gutenfeld bei Königsberg aus nach Pillau, genau am 28. Januar vor 64 Jahren, aber sie ging nicht in das Ungewisse, wie bei den meisten Flüchtlingen, denn es gab ja Arnis. Dort an der Schlei wuchs dann auch ihre 1940 geborene Tochter Gertrud mit ihren Schwestern auf. Und so konnte sie jetzt mit ihrer eigenen Familiengeschichte das Thema „Fischer vom Frischen Haff“ bereichern und das dürfte nicht nur Frau Eichler interessieren.

Und jetzt zu den Fischern vom Kurischen Haff. In Sache „Keitelkahn“ hat sich einiges angebahnt, aber es ist noch zu früh, darüber zu sprechen, es ist ja eben kein leicht zu lösendes Problem, das Aurelijus Armonavicius aus Nidden an uns herangetragen hat: Es geht um einen Ersatz für den geklauten Motor des nachgebauten Kurenkahns KURSIS. Ich hoffe, in einer der nächsten Folgen schon etwas Konkretes darüber sagen zu können.

In einem so langen Leben wie das meine, dazu in der Heimat tief verwurzelt und immer für und über sie geschrieben und gesprochen, ist es durchaus nicht erstaunlich, dass ich in den Briefen an die Ostpreußische Familie sehr oft bekannte Namen entdecke, die fast längst Vergangenes in die Gegenwart rücken. Und plötzlich ist man dann mitten drin in dem Geschehen und fühlt sich als Zeitzeugin gefordert. So muss ich noch auf eine besondere Stelle in den Ausführungen von Frau Schemmerling de Claret eingehen, die jene Alt Passarger Fischer betrafen, die nach Hamburg oder Bremen zur Hochseefischerei gegangen waren. Darunter auch der Sohn des Schiffszimmerers August Kahlhorn, der einzige, der von seinen vier Söhnen leben blieb, drei Brüder waren im Ersten Weltkrieg gefallen. Dieser Sohn – auch ein August Kahlhorn – wurde Seefischer in Finkenwerder und heiratete die Schwester der Brüder Kinau, beide bekannte Schriftsteller. Johann ging unter dem Pseudonym „Gorch Fock“ in die deutsche Literaturgeschichte ein, Rudolf Kinau bereicherte mit seinen plattdeutschen Geschichten die niederdeutsche Dichtung. Rudolf Kinau hat, wie ich nun aus dem Bericht erfuhr, in späteren Jahren der Heimat seines Schwagers einen Besuch abgestattet. Was er in Alt-Passarge erlebte, soll er literarisch behandelt haben – aber in welcher Geschichte? Ich kenne die Arbeiten von Rudolf Kinau sehr gut, habe einige Bücher von ihm, denn wir waren gut befreundet, seit wir 1936 gemeinsam in Wuppertal um den „Goldenen Spatz“, den damals einzigen niederdeutschen Literaturpreis, gekämpft hatten. Zusammen mit 30 anderen Schriftstellern aus plattdeutsch sprechenden Regionen – und natürlich gewann „Rudel“! Er hat mich einige Jahre später in Königsberg besucht und es muss jene Ostpreußenreise gewesen sein, auf der er in Alt-Passarge war. Es wäre schon interessant, diese Kinau-Geschichte zu finden. Wer kann einen Hinweis geben, wo und wann sie erschienen ist?

Problemloser ging dagegen die Suche nach dem Roman „Das Taubenhaus“ von Erminia von Olfers-Batocki über die Bühne, den wir für Herrn Knut Walter Perkuhn suchten. Und wieder konnte er einen umfassenden Erfolg melden: Eine Leserin, die wegen eines Umzugs ihren Hausstand reduzieren musste, überließ ihm ihr Exemplar des historischen Romans, indem auch die eigene Familiengeschichte der Schriftstellerin eine Rolle spielt. Da die Batockis wie auch der Onkel von Herrn Perkuhn zeitweilige Besitzer des Gutes Ratshof waren, interessierte ihn das Buch sehr. Nun hat er es und freut sich und dankt allen, die ihm ebenfalls helfen wollten, auch mit Hinweisen, in welchen Antiquariaten man „Das Taubenhaus“ noch finden kann. Er ist gerne bereit, an Interessenten diese Adressen weiter zu geben. Übrigens hat er sofort ein zweites Exemplar bestellt – als passendes Geschenk zu einem runden Geburtstag. (Knut Walter Perkuhn, Bergstr. 25 in 29565 Wriedel/Brockhöfe, Telefon: 05829/1668)

Aber in unserer Familie wird nicht nur gesucht, sondern auch gefunden. Vor allem haben wir wache Augen, wenn wir in die Heimat reisen, denn es lassen sich immer wieder Spuren der deutschen Vergangenheit entdecken. So wurde auch Herr Dr. Gert Kaiser fündig, als er die Elchniederung bereiste. Er fand einen merkwürdigen Gegenstand aus Metall, der wie der Deckel einer verzierten Fahrradklingel aussieht, aber das ist nur eine Vermutung. Mir erscheint er dafür zu schwer und wuchtig, es könnte eher der Verschluss eines größeren Gerätes sein, vielleicht einer landwirtschaftlichen Maschine. Jedenfalls ist erkennbar, wo dieser Gegenstand produziert oder vertrieben wurde oder wer der Besitzer des dazu gehörenden Gerätes war: Carl Petschull – Gr. Friedrichsdorf Ostpr. Es muss vor dem Ersten Weltkrieg angefertigt worden sein, denn es zeigt einen gekrönten Adler mit einem Wappenschild. Ein interessanter Fund, der weit in die Vergangenheit zurückführt. (Dr. med. G. Kaiser, Karl-Engelhard-Str. 7 in 34286 Spannenberg)

Ein Rätsel aber haben wir nun gelöst, nämlich das der „kahlen Mäuse“! Nach diesem Rezept aus der Treuburger Gegend war gefragt worden, und eine Treuburgerin hat es tatsächlich gewusst: Waltraut Schmidt aus Hamburg erinnert sich gerne an dieses heimatliche Gericht mit dem nicht sehr appetitlichen Namen, das aber geschmeckt hat, wenn ihre Mutter es auf den Abendbrottisch brachte. Es handelt sich, wie schon vermutet, um Klöße, oder auf gut ostpreußisch „Keilchen“. Und so hat Frau Schmidt das Rezept für uns aufgeschrieben: „Rohe, geriebene Kartoffeln durch ein Tuch drücken. Die feste Masse mit Salz, etwas Mehl und eventuell einem Ei verkneten und mit einem Teelöffel Klöße ausstechen, die man in kochender Milch ziehen lässt. Mit Salz und evtl. mit Zucker abschmecken. Dazu wurden Zwieback, Brötchen oder Schwarzbrot mit Butter gegessen“. So bekam Mutter Spey in Treuburg fünf hungrige Kindermäuler gestopft. Vielen Dank, liebe Frau Schmidt, für das uns unbekannte Rezept und auch für die lobenden Worte für „unsere wunderbare Heimatzeitung“.

Das flutscht runter – wie „kahle Mäuse“ durch die Kehle!

Aber ein neues Wort gibt Rätsel auf. Zwar bin ich recht gut in unserm Ostpreußen-Vokabular bewandert, aber dieses Wort kenne ich nicht: ponatschen! Eine Leserin aus Reutlingen fragt danach, denn sie hat es noch aus ihrer Kindheit in Erinnerung. Ihr Vater, der aus Schippenbeil bzw. Bartenstein stammte, hat es oft gebraucht, wenn seine Kinder dummes Zeug redeten oder alle durcheinander sprachen. Dann hieß es: „Ponatscht nicht“! Es muss also soviel wie „Quatscht nicht soviel, haltet den Mund!“ bedeuten. Es gibt dafür auch andere Ausdrücke in ostpreußischer Mundart wie „schabbern“ oder „babbeln“ und wenn es sehr lautstark zugeht, „braaschen“, unser Wortschatz ist da reich bestückt, aber ich kann nicht ähnlich klingende Bezeichnungen finden. Die Herkunft des Wortes, nach der die Leserin fragt, dürfte allerdings feststehen: Es hat mit Sicherheit prussische Wurzeln. Wer kennt das Wort noch aus der Heimat oder dem Sprachschatz der Eltern oder Großeltern?

Eure Ruth Geede


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