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28.01.12 / Der Mutter entrissen / Betroffene berichtet von ihrer Zwangsadoption in der DDR

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-12 vom 28. Januar 2012

Der Mutter entrissen
Betroffene berichtet von ihrer Zwangsadoption in der DDR

Viele Jahre haderte Kathrin Behr, ihre Lebensgeschichte der Öffentlichkeit preiszugeben. Erst durch ihre Arbeit als Beraterin für den Fachbereich DDR-Zwangsadoptionen beim Dachverband der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft erkannte sie, dass sie mit ihrem Schicksal nicht allein dastand. In ihrem Buch „Entrissen. Der Tag, als die DDR mir meine Mutter nahm“ berichtet die 44-Jährige gemeinsam mit dem Fernsehjournalisten Peter Hartl über eines der dunkelsten Kapitel der SED-Diktatur, das auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung die Gemüter bewegt: Zwangsadoptionen.

In den 1970er Jahren entriss der Staat Regimekritikern und Republikflüchtigen ihre Kinder und steckte sie in Heime oder Pflegefamilien. Bereits 1975 schrieb der „Spiegel“ über die perfiden Praktiken der Staatssicherheit von der Zuweisung einer verschimmelten Wohnung bis hin zum Berufsverbot, um den Dissidenten das Sorgerecht zu entziehen.

Nach der Wende gründete Behr in ihrer Heimatstadt Gera den Verein „Hilfe für Opfer von DDR-Zwangsadoptionen“, um Betroffenen dabei zu helfen, Familienangehörige wiederzufinden und seelische Qualen zu verarbeiten. Sie selbst gehört zu den Opfern. „Im Morgengrauen zerrten die Männer meine Mutter fort“, erinnert sich Behr. Das Jugendamt steckte die vierjährige Katrin und ihren jüngeren Bruder Mirko ins Heim. Das Mädchen wurde in einige Pflegefamilien vermittelt, riss aber immer wieder aus. Als es ins Heim zurückkam, war Mirko plötzlich verschwunden. „Die alte Familie gibt es nicht mehr. Such dir eine neue“, erklärte die Großmutter unverblümt. Bei der nächsten Pflegefamilie blieb Katrin. Ihre neuen Eltern – beide linientreue Parteimitglieder – adoptierten sie. Die dominante Pflegemutter betraute die Adoptivtochter mit dem Haushalt und der Betreuung ihres Stiefbruders. Nur der Pflegevater gab Geborgenheit. Sie machte eine Ausbildung zur Krankenschwester, trat in die SED ein und heiratete mit 19 Jahren einen Polit-Offizier.

Die Ehe scheiterte, Behr wurde arbeitslos und brachte sich und ihre beiden Kinder gerade so durch. Nach einer schweren Krankheit begann sie, in einer Psychotherapie ihre traumatische Vergangenheit aufzuarbeiten. Jahrelang hatte sie sich aus Loyalität zu ihren Adoptiveltern nicht getraut, nach ihrer leiblichen Mutter zu suchen. „Da sitzt man als Kind zwischen zwei Stühlen.“ Als sie ihre Mutter endlich findet, erfährt sie, dass diese ihre Kinder nicht freiwillig zur Adoption weggegeben hatte. Nach dem Asozialen-Paragrafen 249 war sie damals zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden und saß im Gefängnis „Roter Ochse“ in Halle ein.

Erschütternd und informativ zugleich schildert die Autorin ihr Schicksal und deckt ein bis heute totgeschwiegenes Stück Zeitgeschichte auf. Tatsächlich gehen Experten nur von wenigen politisch motivierten Zwangsadoptionen aus. „Fallzahlen von 1000 und mehr entbehren jeglicher Grundlage“, resümiert die Juristin Marie-Luise Warnecke. Die Verfasserin einer Studie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur fand zudem keine Hinweise darauf, dass die damalige Ministerin für Volksbildung, Margot Honecker, direkte Anordnungen für solche Sanktionen gegeben hat. Grundlage für Zwangsadoptionen war das Familiengesetzbuch der DDR. Es erlaubte den Entzug des Erziehungsrechts bei „schwerer schuldhafter Verletzung der elterlichen Pflichten“. Eltern waren dazu verpflichtet, ihre Kinder „zur Einhaltung der Regeln des sozialistischen Zusammenlebens“ und „zum sozialistischen Patriotismus“ zu erziehen. Nach Warnecke sei es schwierig nachzuweisen, bei wem das Verschulden lag. In vielen Fällen wären den Eltern aufgrund von Unvermögen und Versagen auch nach den Gesetzen der Bundesrepublik die Kinder wahrscheinlich weggenommen worden. Sophia E. Gerber

Katrin Behr, Peter Hartl: „Entrissen. Der Tag, als die DDR mir meine Mutter nahm“, Droemer, München 2011, geb., 304 Seiten, 16,99 Euro


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