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04.02.12 / »Genau so war es« / Ausstellung in Hamburg erinnert an die verheerende Sturmflut vor 50 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-12 vom 04. Februar 2012

»Genau so war es«
Ausstellung in Hamburg erinnert an die verheerende Sturmflut vor 50 Jahren

Drei Katastrophen haben die Freie und Hansestadt Hamburg nachhaltig erschüttert: Der Große Brand von 1842, der den Stadtkern in Schutt und Asche legte, die Feuersturmnächte mit Zehntausenden von Toten im Sommer 1943 und die Sturmflut, die die Hansestadt im Februar vor 50 Jahren heimsuchte. An das letzte Ereignis erinnert eine eindringliche Ausstellung im Hamburger Auswanderermuseum BallinStadt.

Ausgelöst wurde die Sturmflut vom Orkan „Vincinette“, der vom Nordpolarmeer über Island in Richtung Deutsche Bucht raste und die tiefgelegenen südlichen Stadtteile der Hansestadt in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 mit voller Wucht traf. Insgesamt 340 Menschen ertranken in den sintflutartigen Wassermassen. Unter dem Titel „Die Flut Hamburg 1962“ erinnert das Auswanderermuseum BallinStadt auf der Hamburger Veddel mit einer Ausstellung an dieses tragische Ereignis, das als „Jahrhundertflut“ in die Annalen der Hansestadt einging.

Im Haus 1 der BallinStadt, einem schlichten roten Backsteingebäude der originalgetreu wieder aufgebauten Auswandererhallen der HAPAG-Reederei, hat sich bereits am frühen Morgen eine Schulklasse aus Harburg eingefunden. Mit Verwunderung betrachten die 16-Jährigen die im typischen Stil der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eingerichtete Zimmerecke ge­gen­über dem Eingang. Neben zwei plüschigen Cocktailsesseln in rosa und hellblauen Bonbonfarben erweckt ein klobiges Radio ihr Interesse, aus dem gerade das Schluchzen einer Frau zu hören ist, die von den furchtbaren Ereignissen der vergangenen Nacht berichtet, unterbrochen von den schrillen Sirenentönen der Einsatzwagen und einer Warnung der Polizei, auf etwaige Plünderer würde ohne Vorwarnung geschossen. Eine Reportage im Originalton aus jenen Tagen, als Hamburg in den eiskalten Fluten der Elbe versank. Die Schüler schauen ihren Lehrer betroffen an, der die Sturmflut mit dem Tsunami in Südostasien vergleicht, an den sich alle noch erinnern können.

An den Wänden prangen riesige Schwarz-Weiß-Fotos, die das Drama in chronologischer Folge dokumentieren: Während ein Bild in schwere Decken gehüllte Menschen mit vor Angst verzerrten Gesichtern in einem Schlauchboot zeigt, ist auf dem nächsten ein Haus zu sehen, von dem nur noch das obere Stock­werk aus den dunklen Fluten ragt. Ergänzt wird das Schreckens­szenario durch eine Reihe von Gegenständen aus jener Zeit, die bei der Bekämpfung der Katastrophe eingesetzt wurden – Rettungswagen, altertümlich anmutende Wasserpumpen, hoch aufgetürmte Sandsäcke, Schlauchboote und medizinisches Gerät. Audio- und Video­einspielungen runden das Bild der dramatischen Ereignisse ab.

Im angrenzenden Raum melden sich Zeitzeugen auf großflächigen Tafeln zu Wort. Erschütternd ist der Bericht des seinerzeit 29-jährigen Harry Braun, der seit 1960 bei der Feuerwehr tätig war. Eindringlich schildert er, wie er und seine Kollegen versuchten, Frau und Kinder des Neßsander Vogelwarts zu retten. Doch der Sturm hatte das Wasser so aufgewühlt, dass ihr Schlauchboot die Insel nicht erreichen konnte. Die Helfer mussten tatenlos zusehen, wie das Haus der Familie in den Fluten versank. Ein traumatisches Erlebnis, das Harry Braun bis heute nicht vergessen hat. Weitere Einsätze folgten, bei denen der junge Mann sein Leben erneut aufs Spiel setzte. Er war auch unter den 100000 Menschen, die zehn Tage später an der Trauerfeier auf dem Rathausmarkt teilnahmen. Eine Auszeichnung für seinen Einsatz aber lehnte er ab: Hanseaten nehmen keine Orden an. Lisa Hoffmann, eine Bewohnerin der Veddel, dem neben Wilhelmsburg am heftigsten betroffenen Stadtteil, erinnert sich ebenfalls mit Grauen an die schrecklichen Tage, als die Flut ihr Viertel gänzlich unter Wasser setzte.

Vollgelaufene Keller und Autos, die wie Streichholzschachteln auf dem Wasser trieben, waren vielleicht noch das kleinere Übel, verglichen mit den Toten und jenen Menschen, deren ganzes Hab und Gut von den Wassermassen verschlungen wurde.

Ein alter Herr aus Wilhelmsburg zeigt sich tief bewegt von der Ausstellung: „Genau so war es“, sagt er. „Manche Menschen haben in den elbnahen Vororten und Dörfern auf den Dächern ihrer Häuser gestanden und auf Rettung durch einen Hubschrauber gehofft.“ Ihr Mann, so berichtet eine Frau in einer Rundfunkaufzeichnung, habe seine Unterhose an einem Besenstiel befestigt und diesen hin- und hergeschwenkt, um auf sich und die Seinen aufmerksam zu machen. Sämtliche Zeitzeugen aber sind sich in einem einig: Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sei überwältigend gewesen, viele Bürger hätten Flutopfer freiwillig in ihren Häusern und Wohnungen aufgenommen und versorgt, um schon einmal die schlimmste Not zu lindern. Plünderungen habe es äußerst selten gegeben. „Und einem typischen Hanseaten sind wohl alle, die dabei waren, bis heute dankbar“, nimmt der Wilhelmsburger den Faden wieder auf. „Wenn unser damaliger Innensenator und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht so beherzt und unbürokratisch eingegriffen hätte“, sagt er zum Abschied, „wäre alles mit Sicherheit noch viel schlimmer gekommen.“ Uta Buhr

Die Ausstellung „Die Flut Hamburg 1962“ in der BallinStadt in Hamburg-Veddel läuft bis zum 29. Februar und ist täglich von 10 bis 16.30 Uhr geöffnet. Der Eintrittspreis beträgt für Erwachsene 12 Euro. BallinStadt, Veddeler Bogen 2, Telefon (040) 3197916-0, E-Mail: info@ballinstadt.de


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