26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.02.12 / Angst vor Abgrenzung / Die in Tunesien regierende islamistische Ennahda-Partei toleriert Gewalttaten durch Islamisten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-12 vom 11. Februar 2012

Angst vor Abgrenzung
Die in Tunesien regierende islamistische Ennahda-Partei toleriert Gewalttaten durch Islamisten

In Tunesien greifen Salafisten unverschleierte Frauen und säkulare Intellektuelle als „Feinde Gottes“ an, in einer Stadt riefen sie ein Emirat aus. Die Angst vor den Radikalen und ihren Hintermännern im neugewählten Parlament wächst.

Bei den Wahlen im Oktober haben die Salafisten in Tunesien, anders als ihre ägyptischen Gesinnungsgenossen einen Monat später, nur wenige Stimmen erhalten, da sie noch nicht genügend organisiert waren. Das Ziel der Salafisten ist eine Rückkehr zum Ur-Islam. Da sie im neuen tunesischen Parlament nicht vertreten sind, nutzen sie jetzt die Straßen, um ihre Ideen sowie Angst und Schrecken zu verbreiten, und werden von der jetzt herrschenden Ennahda-Regierung geduldet. Blogger erhalten Morddrohungen, ein Fernsehsender wird attackiert und eine Universität lahmgelegt. Salafisten wollen jetzt auch die Polygamie wieder einführen, die seit 150 Jahren in Tunesien verboten ist. Der private Fernsehsender Nessma TV, der den Film „Persepolis“ einer iranischstämmigen Regisseurin gezeigt hatte, der angeblich gotteslästerliche Bilder enthält, wurde von radikalen Islamisten gestürmt. Der Journalist Zied Krichen und der Politologe Hamadi Rdissi wurden zu „Feinden Gottes“ erklärt und vor einem Gerichtsgebäude geschlagen, weil sie gegen die Übergriffe der Salafisten während des Films „Persepolis“ als Zeugen aussagen wollten. Eine Radiodirektorin musste ihren Job verlassen, weil sie eine Frau ist.

Noch nie, so Amel Grami, Professorin für Gleichberechtigung und interkulturelle Studien an der tunesischen Universität in Manouba, seien die Frauen in Tunesien so sehr erniedrigt und an den Rand gedrängt worden wie heute. Rufe nach einer Geschlechtertrennung in allen Bereichen werden immer lauter. Immer häufiger kommt es in Tunesien zu Zwischenfällen mit Islamisten.

Auch die Tageszeitung „Le Maghreb“ erhielt Drohungen, nachdem sie über ein salafistisches Emirat im nordtunesischen Sejnane berichtet hatte. Dort hatte Anfang Januar eine Gruppe von 250 jugendlichen Salafisten, die sich zu Milizen zusammengeschlossen haben, eine ganze Kleinstadt zum Emirat erklärt und dort, unbelästigt von den staatlichen Autoritäten, die Scharia eingeführt. Die Folge waren Mord, Anarchie und Gewalt. Erst nach zwei Wochen wurde dem Spuk, der auch von der regierenden Ennahda-Partei, den angeblich gemäßigten Muslimbrüdern, gutgeheißen wurde, Einhalt geboten.

Bereits im Oktober noch vor den Wahlen hatten Anhänger der salafistischen Glaubensrichtung eine Universität in Sousse gestürmt. Die Hochschule soll einer vollverschleierten Frau die Einschreibung verweigert haben, lautete damals der Vorwurf der religiös motivierten Demonstranten. An tunesischen Hochschulen ist das Tragen von Kopftüchern erlaubt, die Vollverschleierung mit einer Nikab allerdings verboten. Der Name der Bloggerin Lina Ben Mhenni, die für den Friedensnobelpreis nominiert war, tauchte auf einer Todesliste von Salafisten auf. Seitdem wird sie als Hure oder Zionistin beschimpft. Die Islamisten sind sehr aggressiv und werden sofort gewalttätig, wenn man sie kritisiert.

Tausende Tunesier, darunter viele Blogger, Professoren und Künstler sind verärgert über die zunehmende Bedeutung der ultra-konservativen Islamisten in einem Land, das sich erst kürzlich von der diktatorischen Herrschaft befreit hat. Die Kinder der tunesischen Elite waren es, die auf den zentralen Plätzen des Landes mit ihren Protesten großen Anteil am Sturz der Ben-Ali-Diktatur hatten und jetzt wegen der erstarkenden religiösen Gruppen um ihre erkämpften Freiheiten fürchten. Erst jetzt, nach drei Monaten Ennahda-Regierung, regt sich der Volkswiderstand. In Tunis haben Zehntausende gegen die zunehmende Willkür der Salafisten demonstriert.

Erste Stimmen werden auch innerhalb der Partei Ennahda laut, die Scharia wieder einzuführen und diese dann auch gegen Protestierer anzuwenden, die das Erbe der Revolution verwalten wollen. Auch Pläne zur Einführung einer Sittenpolizei, ähnlich wie in Saudi-Arabien, wurden jetzt bekannt. Bedenklich sind vor allem der nur geringe Widerstand der Polizei und Behörden gegen den neuen islamistischen Terror, ein Zeichen, dass diese Einrichtungen bereits von Islamisten infiltriert sind. Möglich ist auch, dass Anhänger des alten Regimes, die bei den letzten Wahlen nicht antreten durften, sich jetzt Bärte wachsen lassen, sich als Islamisten ausgeben, versuchen, das noch schwache Regime zu destabilisieren, und so die Rufe nach einer starken Hand wieder verstärken lassen. Ein ähnliches Szenario hatte Algerien bereits Anfang der 1990er Jahre durchlebt, als die islamistische Partei FIS die Wahlen gewonnen hatte und die dadurch erzeugte Anarchie für die Militärs der Vorwand war, die Macht zu übernehmen.

Die Ennahda muss sich in diesem Zusammenhang viele Vorwürfe gefallen lassen. Die Partei-Führung hat zwar einige Gewaltakte verurteilt, aber ignoriert die meisten. Die Parteiführung ist zerrissen zwischen Zugeständnissen an den demokratischen Prozess in Tunesien, aus dem sie als Gewinner hervorgegangen ist, und einer Basis, der die Einführung eines Gottesstaates nicht schnell genug geht. Die Ennahda-Führung hat zwar die Freiheit der Meinungsäußerung verteidigt, aber nichts getan, um Überbegriffe ihrer Anhänger gegen Kinos, in denen der Film „Persepolis“ gezeigt wurde, zu verhindern. Diskussionen und Polemiken um die Schleierfrage, Frauenarbeit, Geschlechtertrennung und die Stellung der französischen Sprache werden immer dominanter im politischen Diskurs Tunesiens und lähmen die dringend nötigen Reformen zur Ankurbelung der Wirtschaft. Es besteht der Verdacht, dass Saudi-Arabien die Salafisten in Tunesien wie diejenigen in Ägypten finanziert. Bodo Bost


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren