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11.02.12 / Das Ende der Legende von der »Fistelstimme« / Tonaufnahme aus dem Jahre 1889 beweist, dass Reichskanzler Otto von Bismarck kein schwaches Organ hatte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-12 vom 11. Februar 2012

Das Ende der Legende von der »Fistelstimme«
Tonaufnahme aus dem Jahre 1889 beweist, dass Reichskanzler Otto von Bismarck kein schwaches Organ hatte

Generationen von Schülern muss­ten es lernen: Otto von Bismarck hatte eine „Fistelstimme“ oder ein schwaches Organ. Nun widerlegt die Entdeckung einer Tonaufnahme die lange geglaubte Schulbuch-Weisheit. Auf einem der weltweit frühesten Tondokumente aus dem Jahr 1889 ist der sonore Bass des „Eisernen Kanzlers“ zu hören. Wie aber kam die Legende von der Fistelstimme in die Schulbücher?

Das Dokument mit Bismarcks Stimme wurde vor 123 Jahren in Friedrichsruh bei Hamburg aufgenommen. Man wusste aus zeitgenössischen Presseberichten von der Aufnahme, aber konnte sie bisher nicht hörbar machen. Erst der Fund des lange verschollen geglaubten „Phonographen“ im alten Laboratorium des Telefon-Erfinders Thomas Edison in West Orange, New Jersey bei New York, machte nun das Dokument hörbar.

Viel ist allerdings nicht zu hören, da die Aufnahme sehr stark rauscht. Forscher zeigten sich wegen des Auffindens dieser historischen Quelle dennoch begeistert. Bismarck gibt hier unvermutete Kostproben seines weiten Geistes. Zu hören sind auf der Tonaufnahme nicht etwa salbungsvolle Sätze über die deutsche Politik, sondern Bismarck singt auf Englisch das amerikanische Lied „In Good Old Colony Times“ in den Phonographen. Es folgen ein paar Zeilen aus dem Gedicht „Als Kaiser Rotbart lobesam“ von Ludwig Uhland, bevor der alte Burschenschaftler das Studentenlied „Gaudeamus igitur“ anstimmt. Schließlich gibt der Kanzler auch den „Rat eines Vaters an den Sohn“ zum Besten und empfiehlt Maßhalten bei Arbeit, Essen und Trinken – wohl aus eigener misslicher Erfahrung.

Dass der Mann, unter dessen Führung 1871 Frankreich besiegt wurde, ausgerechnet die „Marseillaise“, die französische Nationalhymne, anstimmt, überrascht dann doch viele Hörer – wegen des fließenden Französisch und dem pikanten Hintergrund. Wer sich mit Bismarcks Biografie genauer beschäftigt hat, weiß natürlich, wie sprachgewandt der als Diplomat Weitgereiste war, auch wenn die Schulbücher wiederum diese wichtige Seite verschweigen mögen. Sein Biograf Jonathan Steinberg nennt Bismarck daher einen „sehr, sehr geistreichen Mann“. Dass er ausgerechnet die Hymne Frankreichs zitiert habe, müsse ihn selbst großartig amüsiert haben, kommentierte die „New York Times“ die Entdeckung. Die zeitgenössische Presse hat die Passage mit der Marseillaise wohlweislich verschwiegen, weil dies kaum dem Geschmack der Verehrer des Kanzlers entsprochen hätte, da dieser zur Zeit der Aufnahme am 7. Oktober 1889 noch als Kanzler regierte.

Eine zweite Überraschung bieten die nun aufgefundenen Tondokumente, weil auch der militärisch Verantwortliche für die Eini­gungskriege in den Jahren 1864 bis 1871 zu hören ist. Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke (1800–1891), der Mecklenburger in preußischen Diensten, zitiert aus Goethes „Faust“. Diese Aufnahme ist besser als die von Bismarck zu verstehen. Laut Edison-Archiv ist Moltke der am frühesten geborene Mensch, von dem es weltweit eine Tonaufnahme gibt.

Ulrich Lappenküper, Chef der Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh, suchte zusammen mit seinen Mitarbeitern seit 2005 nach der Hörbarmachung der Tondokumente. Bereits 1957 waren die Rollen entdeckt worden, aber erst im letzten Jahr gelang die oben beschriebene Wiederauffindung des ursprünglichen Apparates von Edison. Dass Otto von Bismarck sich im Jahr 1889 die Zeit nahm, der Anregung seiner Gattin Johanna folgend, Adelbert Wangemann, einen Mitarbeiter Edisons, zu empfangen, mag oberflächlich gesehen verwundern. Aber sie zeigt eine Seite des Kanzlers mit der bislang längsten Regierungszeit in Deutschland, die ebenfalls oft unerwähnt bleibt: die ausgesprochene Offenheit für alles Neue, technische Erfindungen insbesondere. Die Förderung junger Unternehmer, der Techniker und Ingenieure, lag ihm zeitlebens am Herzen. Von diesem Aufschwung in der „Gründerzeit“, wo Weltfirmen wie Mercedes-Benz, Bosch, Linde oder zahlreiche Maschinenbauer entstanden, profitiert Deutschland noch heute.

Bleibt die Frage, wie die Legende von einem „fast grauenhaft schwachen“ Organ oder eben der „Fistelstimme“ in die Schulbücher kam? Eigentlich ist diese Frage kaum erklärlich, weil es schließlich aus über 50 Jahren politischen Wirkens genügend Zeitzeugen gab. Diese Personen müssten eigentlich protestiert haben, wenn sie von der Legende seiner vermeintlich schwachen Stimme gehört hätten. Anders wäre dies, wenn die Legende erst etwa 50 Jahre später entstanden wäre, in einer Zeit, wo viele dieser Zeitzeugen bereits gestorben waren.

Damit befindet man sich am Ende des Zweiten Weltkrieges, wo die allgemeine Verachtung alles Preußischen und Militärischen modern wurde. Erfanden in dieser Zeit findige und zeitgeistgetreue Pädagogen die Legende von der vermeintlich schwachen Stimme? Das wäre eine ausgesprochene Diskriminierung aus ideologischen Gründen.

Gefragt sind daher jetzt die Historiker, die eigentlich die Zeitzeugen und Originalquellen hätten kennen müssen. Eberhard Kolb (78), emeritierter Professor für Geschichte an der Universität Köln und Autor einer Bismarck-Biografie meint dazu abwiegelnd: „Die Sache gehört für mich eher in den Bereich der Groteske.“ Das sei nur „eine Masche, um die Geschichte zu verkaufen“. Aus mehr als 50 Jahren politischer Reden wisse man, dass der Kanzler eine hohe Stimme gehabt habe, besonders für einen „sehr großen, erst schlanken, später beleibten Mann“. Aber von einer abnormen Fistelstimme sei nie berichtet worden; das sei „fälschlich behauptet worden“, gibt Kolb nun zu. Hinrich E. Bues


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