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11.02.12 / Ikone des Widerstands gegen das NS-Regime / Alexander Schmorell, Mitglied der »Weißen Rose«, in München heiliggesprochen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-12 vom 11. Februar 2012

Ikone des Widerstands gegen das NS-Regime
Alexander Schmorell, Mitglied der »Weißen Rose«, in München heiliggesprochen

Zu den Neumärtyrern der russisch-orthodoxen Kirche zählten bisher nur Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts, die unter den Sowjets ihr Leben ließen. Die russisch-orthodoxe Kirche hat nun am Wochen­ende in München mit Alexander Schmorell (1917–1943) ein Mitglied der studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, fast 69 Jahre nach seiner Hinrichtung, heiliggesprochen. Schmorell habe sich zum orthodoxen Glauben bekannt und sich dem „gottfeindlichen, antichristlichen Naziregime“ entgegengestellt, heißt es in einer Erklärung der Kirche.

Die russischen Christen in der bayerischen Landeshauptstadt halten Schmorells Andenken schon lange in Ehren. In dessen 50. Todesjahr 1993 geschahen kurz hintereinander Dinge, die Erzpriester Nikolai Artemoff heute als göttliche Fügung ansieht: Ein Halbbruder Schmorells übergab damals der Gemeinde unbekannte Dokumen­te und Briefe; in einem Mos­kauer Geheimarchiv tauch­ten Schmorells verschollene Prozessakten auf; nach mehreren erfolglosen Versuchen fand sich in München endlich ein Grundstück zum Bau einer eigenen Kirche – nur wenige hundert Meter entfernt von Schmorells Grab auf dem Friedhof am Perlacher Forst und der Stätte seines Todes. Auch wenn für eine Heiligsprechung in der russisch-orthodoxen Kirche keine Wunder verlangt werden, wie in der katholischen Kirche, so können diese Vorgänge als solche gelten. Erzpriester Artemoff betrieb mit dem russisch-orthodoxen Erzbischof von Berlin und Deutschland, Mark, die Verherrlichung Schmorells als Neumärtyrer. Das Bischofskonzil der gesamten russischen Auslandskirche hatte dem Antrag der deutschen Exilkirche zugestimmt.

Alexander Schmorell spielte eine Schlüsselrolle bei den Aktionen der Gruppe „Weiße Rose“ gegen die Nationalsozialisten. Der Weißen Rose gehörten neben den Geschwistern Hans und Sophie Scholl auch die Freunde Christoph Probst und Willi Graf aus Saarbrücken sowie der Philosophieprofessor Kurt Huber an. Ab 1942 hatten sie in insgesamt sechs Flugblättern die menschenverachtende Politik Adolf Hitlers angeprangert und zum Widerstand gegen sein Terror-Regime aufgerufen. Ihre Schriften wurden in Deutschland und später auch im Ausland tausendfach verbreitet.

Schmorell war zusammen mit Hans Scholl führender Kopf der Gruppe. Die beiden schrieben 1942 die ersten vier Flugblätter, Schmorell besorgte Schreibmaschine und Vervielfältigungsapparat. Auf Schmorell ging eine wichtige Passage im zweiten Flugblatt zurück, das den hunderttausendfachen Judenmord in Polen als „das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen“ anprangerte. Zum ersten Mal machten NS-Gegner in Deutschland damit den Holocaust öffentlich. 1943 flogen die couragierten Widerständler in München auf und wurden hingerichtet. Nach der Festnahme der Scholls am 18. Fe­bruar 1943 versuchte sich Schmorell noch nach Österreich abzusetzen, aber die Flucht misslang durch Denunziation.

Schmorell stammte aus Orenburg im Süd-Ural. Seine Mutter war die Tochter eines russischen Priesters, sie starb an Typhus, als „Schurik“, wie der Junge genannt wurde, kaum zwei Jahre alt war. 1921 floh die Familie vor den Revolutionswirren nach München. Sein Vater, ein Arzt mit ostpreußischen Wurzeln, eröffnete dort eine Praxis. Alexander wurde deutscher Staatsbürger. Schmorells Gewissen wurde stark durch seine religiöse Erziehung und die Erfahrungen in der Kirche geprägt. Seine religiöse Einstellung brachte der Medizinstudent auch in den Flugblättern zum Ausdruck, deren Mitverfasser er war. „Hat Dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen?“, heißt es etwa im vierten Flugblatt, das im Sommer 1942 verschickt wurde.

Erst vor einem halben Jahr hat die Münchner Historikerin Christiane Moll 158 Briefe von Schmorell wissenschaftlich ediert und die bisher einzige biografische Abhandlung in deutscher Sprache über ihn verfast. Moll zeichnet darin das Porträt eines expressiven Charakters mit melancholischen Zügen, mit einer großen Sehnsucht nach seiner russischen Heimat. „Im Angesicht des Todes hat er sein Schicksal angenommen, im Gefühl, eine Mission erfüllt und der Wahrheit gedient zu haben“, sagt Moll. Nach einem Schauprozess vor dem Volksgerichtshof starb der 25-Jährige zusammen mit Huber am 13. Juli 1943 unter dem Fallbeil in Stadelheim. Schmorell ging seinem Tod gefasst entgegen, lassen seine letzten Briefe vermuten. Sein Abschiedsbrief an seine Verwandten endet mit den Zeilen: „In wenigen Stunden werde ich im besseren Leben sein, bei meiner Mutter, und ich werde Euch nicht vergessen, werde bei Gott um Trost und Ruhe für Euch bitten. Und werde auf Euch warten! Eins vor allem lege ich Euch ans Herz: Vergesst Gott nicht!!!“ Kurz vor seiner Enthauptung bestellte er einen russischen Priester in die Todeszelle, um zu beichten.

Bislang gilt die Heiligsprechung Alexander Schmorells nur in der deutschen Diözese der russischen Auslandskirche. Doch auch im sonstigen Europa, in Russland und in den USA könnte der russisch-orthodox getaufte Schmorell bald heiliggesprochen werden, sagte Erzpriester Artemoff von der Kathedrale der Heiligen Neumärtyrer und Bekenner Russlands.

Die Ikone des Neumärtyrers wurde bei der Vigil am Abend des Sonnabend feierlich in die Mitte der Kirche getragen und mit Lobeshymnen und Gebeten verherrlicht. Am Ende des mehr als drei Stunden langen Gottesdienstes am Sonntag, der „Göttlichen Liturgie“, erwiesen an die dreihundert Gläubige der kostbar mit Gold verzierten Ikone mit dem Bildnis Schmorells die Ehre. Schmorells Gedenktag im Heiligenkalender ist künftig der 13. Juli, der Tag seiner Hinrichtung. Bodo Bost


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