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18.02.12 / Loyalität statt Charisma / Generalinspekteur Ulrich de Maizière sah sich stets »in der Pflicht«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-12 vom 18. Februar 2012

Loyalität statt Charisma
Generalinspekteur Ulrich de Maizière sah sich stets »in der Pflicht«

Pflichtbewusstsein wurde ihm in die Wiege gelegt, und mit „In der Pflicht“ hat Ulrich de Maizière, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, treffend seine 1989 erschienenen Lebenserinnerungen betitelt.

Die Wurzeln seiner protestantischen Hugenottenfamilie aus dem Raum Metz lassen sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Als Glaubensflüchtlinge Ende des 17. Jahrhunderts nach Brandenburg emigriert, dienten die de Maizières fortan dem preußischen und deutschen Staat als Beamte und Soldaten. So war es nur folgerichtig, dass auch bei dem am 24. Februar 1912 im preußischen Stade geborenen Ulrich de Maizière die Passion hinter die Pflicht zu­rück­trat. Obwohl der vielversprechende Pianist viel lieber Musiker geworden wäre, entschied er sich nach dem Abitur 1930 für den Soldatenberuf und trat als Offizieranwärter in das Infanterieregiment 5 der Reichswehr ein.

Schon auf der Kriegsschule erkannten seine Vorgesetzten, unter ihnen die späteren Generalfeldmarschälle Erwin Rommel und Ferdinand Schörner, dass hier kein charismatischer Troupier, sondern ein taktisch hochbegabter, feinsinniger, fähiger und gewissenhafter Stabsarbeiter heranwuchs. So beschränkten sich de Maizières Truppenverwendungen auf die üblichen Pflichtstationen, bevor er nach dem Polenfeldzug, den er als Regimentsadjutant mitmachte, eine verkürzte Generalstabsausbildung durchlief. Anschließend diente er als Erster Ordonnanzoffizier im Stab der Heeresgruppe C. Anfang 1941 wurde Hauptmann de Maizière als Zweiter Generalstabsoffizier zur 18. Infanteriedivision versetzt, wo er für die Versorgung zuständig war. Während des Vorstoßes auf Leningrad und der Stellungskämpfe in den unwirtlichen Sümpfen des Wolchow bewies er sein hohes Organisations- und Improvisationstalent. In Anerkennung seiner Leistungen wurde er im Oktober 1941 unter Verbleiben in der bisherigen Verwendung in den Generalstab versetzt. Fleißig, bescheiden und unauffällig, verkörperte er das Idealbild des Generalstäblers, der stets selbstlos im Schatten seines Vorgesetzten agiert und „mehr zu sein als zu scheinen“ hat. Da die körperlichen und seelischen Belastungen des harten Winterkrieges auch an de Maizière nicht spurlos vorübergegangen waren, wurde er Ende Januar 1942 in den Generalstab im Oberkommando des Heeres versetzt.

Hier, im Lager „Mauerwald“ unweit von Angerburg in Ostpreußen, war er als Referent in der Organisationsabteilung mit der Aufstellung, Gliederung, Bewaffnung und der personellen Auffrischung der Divisionen des Feldheeres befasst. Doch schon nach einem Jahr kehrte er als Erster Generalstabsoffizier der 10. Panzergrenadierdivision an die Ostfront zurück, um während der ununterbrochenen Rückzugskämpfe die Arbeit des Divisionsstabes zu leiten. Ihm war es im Wesentlichen zu verdanken, dass nach dem Zusammenbruch der Front in Rumänien große Teile der Division über die Donau nach Bulgarien zurückgeführt werden konnten.

Durch einen Granatsplitter verwundet und mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse ausgezeichnet, wurde der mittlerweile zum Oberstleutnant beförderte de Maizière Anfang Februar 1945 in die Operationsabteilung des Generalstabes des Heeres versetzt, deren kommissarische Leitung ihm nach kurzer Zeit übertragen wurde. In dieser Funktion nahm de Maizière regelmäßig an den Lagebesprechungen im Führerbunker teil, wobei er wiederholt Hitler unmittelbar vorzutragen hatte. Am 8. Mai flog er nach Kurland, um der dort eingeschlossenen Heeresgruppe den Kapitulationsbefehl und letzte Grüße aus der Heimat zu überbringen. Tief bewegt trat er den Rückflug ins vergleichsweise sichere Flensburg an, wohl wissend, welch schweres Schicksal seine Kameraden erwartete. Diese Mission hat er, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, als den „menschlich schwersten Auftrag seines Lebens“ empfunden. Nicht erst in dieser Situation hätte de Maizière am liebsten den Gehorsam verweigert. Doch er habe sich nun einmal, wie er schreibt, zu der ihm anerzogenen und überlieferten Pflichterfüllung entschieden. Geprägt von Begriffen der Vaterlandsliebe und des Gemeinwohls, habe er wie so viele geglaubt, inmitten eines Krieges nicht „aussteigen“ zu dürfen und sich der Pflicht nicht entziehen zu können.

Die Pflicht war es dann auch, die ihn nach der Kriegsgefangenschaft und einem beruflichen Neuanfang als Buch- und Musikalienhändler Anfang 1951 dem Ruf ins Amt Blank, Vorläufer des Bundesverteidigungsministeriums, folgen ließ. Es erschien sinnvoll, als Militärberater der deutschen Delegation bei den Beratungen zur Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft einen ehemaligen Generalstabsoffizier mit französischem Namen und französischen Vorfahren, der zudem nie an der Westfront gekämpft hatte, auszuwählen, um französischen Ressentiments zu begegnen. Nachdem er diesen schwierigen Auftrag erfolgreich ausgeführt hatte, beschäftigte sich de Maizière in der Militärischen Abteilung des Amtes mit Verteidigungsfragen im internationalen Bereich und der Kontaktpflege zu den in Bonn akkreditierten Militärmissionen. Gemeinsam mit den ehemaligen Generalstabsoffizieren Johann Adolf Graf von Kielmannsegg und Wolf Graf von Baudissin schuf er das Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“ und konzipierte die Innere Führung als wesensbestimmendes Merkmal der zukünftigen westdeutschen Streitkräfte.

Mit Gründung der Bundeswehr wurde er im Mai 1955 als Oberst reaktiviert und als Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium mit der Bearbeitung von Führungsfragen der Landesverteidigung betraut. Erst als Brigadegeneral erhielt de Maizière Anfang 1958 sein erstes Truppenkommando überhaupt. Nachdem er mit seiner Kampfgruppe A in der Lehr- und Versuchsübung des Heeres erfolgreich das neu konzipierte Brigademodell erprobt hatte, wurde er zum stellvertretenden Divisionskommandeur ernannt. Daran schloss sich eine Kommandeurzeit bei der Schule für Innere Führung in Koblenz an, wo er sich der Fortentwicklung einer zeitgemäßen Menschenführung widmete. Als Kommandeur der Führungsakademie in Hamburg setzte er sich ab April 1962 für eine Abkehr von der teilstreitkraftbezogenen Lehre hin zu einer bundeswehrgemeinsamen Ausbildung ein.

Obwohl es ihn nicht nach einer Spitzenverwendung drängte, wurde de Maizière am 1. Oktober 1964 bei gleichzeitiger Beförderung zum Generalleutnant zum Inspekteur des Heeres ernannt. In dieser Funktion richtete er sein Augenmerk auf den inneren Zustand der Truppe, ein Attraktivitätssteigerungsprogramm zur Nachwuchsgewinnung und die Verbesserung der technischen Ausstattung seiner Teilstreitkraft. Als ihn sein oberster Dienstherr am 25. August 1966 aus dem Urlaub zurückbeorderte, um ihn überraschend zum Generalinspekteur zu ernennen, war es wieder die Pflicht, die ihn diese Berufung ohne Widerspruch hinnehmen ließ. Der Posten war vakant geworden, nachdem die Meinungsverschiedenheiten zwischen der militärischen und der zivilen Führung der Streitkräfte im Rücktritt des Generalinspekteurs gegipfelt hatten. Die Generalität verübelte de Maizière die schnelle und bedingungslose Amtsübernahme als übertriebene Nachgiebigkeit gegenüber der politischen Führung.

Im neuen Amt erwies er sich als konservativer, aber loyaler Reformer, der gehorsam darauf verzichtete, vom Minister mehr Teilhabe an der Führungsverantwortung einzufordern. Seine Amtszeit war geprägt von einer Unterfinanzierung der Streitkräfte, den gesellschaftlichen Umbrüchen Ende der 1960er Jahre, der Verschärfung des Kalten Krieges und der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die sozial-liberale Koalition. Auch wenn er oft als pedantisch, humorlos, schulmeisterlich und zögerlich daherkam, hat er die Bundeswehr vor allem wegen seiner Fähigkeit zur unbedingten Unterordnung unter das Primat der Politik und sein diplomatisches Geschick erfolgreich durch diese schwierigen Jahre geführt. Daran konnte auch der Versuch der DDR-Propaganda, ihn zu diskreditieren, indem sie erfolglos bemüht war, ihm eine NS-Vergangenheit anzudichten, nichts ändern. In dieser Hinsicht hatte de Maizière eine absolut weiße Weste. Heute ist bekannt, dass sein eigener Bruder Clemens, Vater des letzten Ministerpräsidenten der DDR Lothar de Maizière, zu dem er immer in Verbindung gestanden hat, als „Parteisekretär mit besonderem Auftrag“ und Stasi-Mitarbeiter an der perfiden Kampagne mitgewirkt und ihn zudem systematisch ausgespäht hat. Es spricht für die Integrität Ulrich de Maizières, dass seine enge Verbindung zu Bürgern der DDR seiner Karriere in der Bundeswehr nie geschadet hat.

Am 31. März 1972 ging de Maizière nach der mit fünfeinhalb Jahren bis dahin längsten Dienstzeit eines Generalinspekteurs in Pension. Im Ruhestand widmete er sich nicht nur seinem geliebten Klavierspiel, sondern er stand mehreren Bundeswehrkommissionen vor und führte von 1976 bis 1982 die Clausewitz-Gesellschaft. Nachdem er schon während seiner aktiven Dienstzeit unter dem Pseudonym „Cornelius“ regelmäßig für verschiedene Zeitungen militärpolitische Artikel verfasst hatte, machte er sich jetzt auch als Autor mehrerer Bücher zu sicherheitspolitischen Themen einen Namen. General a.D. Ulrich de Maizière starb am 26. August 2006 in Bonn. Jan Heitmann


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