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18.02.12 / Nur ein paar Worte entfernt / Ehe droht an der Behinderung eines Kindes zu zerbrechen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-12 vom 18. Februar 2012

Nur ein paar Worte entfernt
Ehe droht an der Behinderung eines Kindes zu zerbrechen

Gefühlvoll, nachdenklich stimmend, nah am Leben, einfach menschlich. So in etwa würde es lauten, wenn man den neuen Roman „Das stille Kind“ der Bestsellerautorin Asta Scheib in nur wenigen Worten beschreiben müsste. Zum Glück ist an dieser Stelle etwas mehr Platz dafür.

Paulina ist 30 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann Lukas und ihren drei Kindern in München in einer eigentlich viel zu kleinen Wohnung. Ihre älteste Tochter Cosima ist sechs Jahre alt, Mavie noch kein ganzes Jahr und David drei Jahre. Doch David ist so ganz anders als andere Kinder.

Bisher hatte Paulina noch die Augen davor verschließen können und stets Entschuldigungen für seine Eigenheiten gefunden. Als er nun jedoch alt genug ist, um in den Kindergarten zu gehen, lässt sich Davids Anderssein nicht länger verbergen. Das Bewusstsein wächst in den Eltern, dass ihnen keine Wahl bleibt, als einen Facharzt aufzusuchen. „Und wenn der Arzt ihn falsch einschätzt? Wenn er unser Kind als psychotisch diagnostiziert oder gar als schizo-phren oder als was weiß ich? Wenn David dann völlig falsch behandelt wird? Wenn er Medikamente kriegt, die ihn vielleicht noch kränker machen?“ Viele berechtigte Fragen, die jedoch nichts an den Tatsachen ändern.

Während Paulina anfängt, sich mit diesem Gedanken anzufreunden, und den chaotischen Alltag mit ihren drei Kindern bewältigt, macht Lukas in seinem Job als angestellter Landschaftsgärtner bei der Stadt Überstunden. Das bringt die Ehe zusätzlich in Gefahr, zumal Paulina den netten, älteren Pierre kennenlernt und Lukas Ex-Freundin auf der Bildfläche erscheint.

Paulina und Lukas entfernen sich Kapitel um Kapitel immer weiter von einander. Zwar wohnen sie noch zusammen, die einzige gemeinsame Sorge gilt jedoch dem Wohl der drei Kinder. Weder Lukas noch Paulina erzählen dem jeweils anderen, was in ihnen vorgeht, welche weiteren Sorgen und Ängste sie quälen.

Der Leser wünscht sich immer wieder, dass er die Macht hätte, das Schweigen zwischen Paulina und Lukas zu brechen. Paulina rätselt selbst noch über die Tiefe ihrer Gefühle, welche sie für Pierre hegt, und Lukas schafft es nicht, Paulina seinen One-night-stand mit seiner Ex-Freundin zu beichten. Die Situation scheint völlig verfahren und von der Sorge um David überschattet.

Asta Scheib schildert die Gefühle und Nöte zweier Menschen kurz vor der Trennung, obwohl sie sich eigentlich lieben. Seelisch überlastet mit den Sorgen des Alltags, der Sorge um David, den Schuldgefühlen, dem kranken Kind möglicherweise eine Scheidung zumuten zu müssen, ohne zu wissen, ob man diese selber will. Eine scheinbar ausweglose Situation, entstanden, weil beiden irgendwann die Kontrolle entglitten ist und sie die Orientierung verloren haben. Der Gedanke, einander Halt zu geben und gemeinsam einen neuen Kurs einzuschlagen, ist nur ein paar Worte entfernt und doch könnte er nicht weiter weg sein.

„Das stille Kind“ ist ein sehr überzeugender Roman, bei dem das autistische Kind David zwar immer präsent ist, aber nie wirklich im Vordergrund steht. Unaufdringlich schildert Asta Scheib sein Anderssein im Vergleich zum Rest der Familie, integriert im chaotischen Alltag, und unterstreicht damit die Schwere der Bürde, einem autistischen Kind, seinen Ansprüchen, Sorgen und Nöten gerecht zu werden. Vanessa Ney

Asta Scheib: „Das stille Kind“, DVA, München 2011, kartoniert, 288 Seiten, 14,90 Euro


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