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25.02.12 / Berlins historische Mitte versteppt / Senat nimmt Abstand von Plänen, das Zentrum neu zu beleben – Protest wird lauter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-12 vom 25. Februar 2012

Berlins historische Mitte versteppt
Senat nimmt Abstand von Plänen, das Zentrum neu zu beleben – Protest wird lauter

Berlins SPD-CDU-Senat verschiebt die Entwicklung des Stadtzentrums auf unbestimmte Zeit – und hebt sie damit faktisch auf. Statt sensibler Rekonstruktion und Neubelebung historischer Räume regiere Kurzsichtigkeit und Prestigedenken, so Kritiker.

Der Neubau einer Landesbibliothek ist Berlins rot-schwarzer Koalition wichtiger als die Gestaltung des Zentrums. Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) nennt die Bibliothek einen „großen kulturpolitischen Erfolg“ des Senats. Der Haken: Mit diesem „kräftigen Schluck aus der Pulle“, 270 Millionen Euro soll das Vorhaben kosten, seien andere Bauten bestenfalls „zeitlich verzögert“ umsetzbar.

Im Klartext droht eine Absage an alle Pläne zur Entwicklung von Berlins Kern, die seit den umfangreichen archäologischen Funden beim Bau der U-Bahnlinie 5 auf der Tagesordnung stehen. Schmitz ging noch weiter: Als „zu keiner Zeit beschlossen“ bezeichnete er nun Konzepte für einen archäologischen Garten im Herzen der Stadt vor dem Roten Rathaus. Hier sollten Besucher in einer Art Freifläche umfangreich erhaltene Grundmauern und Fassaden des mittelalterlichen Berlin bestaunen. Zumindest die SPD sagt sich in den von ihr geführten Ressorts davon sowie von der Gestaltung des Rathausumfelds los, entsprechend handelt die Stadtentwicklungsbehörde.

Trotz Antrag auf EU-Mittel könne Berlin nicht alle Anträge einreichen, begründete die SPD ihr plötzliches Nein. Mit Blick auf das Rathausforum will der Staatssekretär für Stadtentwicklung, Ephraim Gothe (SPD), „eine gut strukturierte Debatte führen, bevor man einen Wettbewerb auslobt“.

„Es ist nicht fassbar – für eine Einsparung in der Höhe von 1,5 Millionen Euro verabschiedet sich der Senat von einem geradezu vorbildlich zeitgemäßen Museumskonzept“, klagt hingegen die Initiative „Petriplatz, wo Berlin begann“ und fordert: „Der Petriplatz muss, wie in der Koalitionsvereinbarung zugesagt, ein Zukunftsort in der Berliner Innenstadt werden.“ Befürworter eines attraktiven Zentrums erbost besonders, dass Berlin mit rund zehn Prozent nur einen Bruchteil zur Finanzierung des archäologischen Zentrums beitragen müsste und trotzdem die Geldfrage nun den Ausschlag gibt.

Die Wiege Berlins mit der Spreeinsel droht so eine unterentwickelte Brache zu bleiben, wenn mit der Fertigstellung des Schlosses weitere Touristen ins historische Zentrum der Stadt strömen. Denn auch in puncto Wiederaufbau der Bauakademie zeigt der Senat keinen Einsatz. Dabei hatte die CDU das „Desinteresse“ der abgewählten rot-roten Koalition an dem Schmuckbau Karl Friedrich Schinkels attackiert und mehr Anstrengungen zu dessen Wiedererrichtung gefordert. Noch im November verkündete die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU, die „Gestaltung des Rathausforums ist eine große Chance, das Areal zwischen Alexanderplatz und Humboldt-Forum nachhaltig zu beleben“.

Und vor gut einem Jahr hatte der damalige Senat seine Unterstützung für das mit 15 Millionen Euro veranschlagte siebengeschossige archäologische Zentrum am Petriplatz signalisiert. Pfade sollten von dort ausgehen und Fenster zu Ausgrabungsorten wie der gotischen Tuchhalle öffnen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz war einbezogen, das meiste Geld sollte die EU beisteuern.

Die CDU-Fraktion im Stadtparlament bekennt sich auch jetzt noch zum Projekt des archäologischen Zentrums und beschwichtigt: Die neuen Vorgaben der SPD seien „nicht in Stein gemeißelt“. Das klingt indes wenig nach kämpferischer Leidenschaft. So fällt der SPD vorerst die Rolle zu, die für die CDU peinliche Langzeitvertagung zu verkünden. Allerdings bahnt sich wegen der Gestaltung der Mitte ein Konflikt zwischen den Koalitionären an.

Zeitgleich bietet der landeseigene Liegenschaftsfonds bereits Grundstücke im Herzen der Stadt an. Die Gertraudenstraße 1 bis 7 steht beispielsweise zum Verkauf. Das Filetstück liegt direkt am Nikolaiviertel, dem letzten noch zu DDR-Zeiten für Touristen hergerichteten Gelände, in dem Teile von Berlins historischer Substanz für etwas Atmosphäre sorgen. Problem: Das Grundstücksangebot greift einer möglichen Gesamtplanung vor. Gut 8000 Quadratmeter umbaute Fläche kann ein Investor mit Geschäften und Wohnungen errichten.

Auch das Nikolaiviertel hat eine Renovierung nötig, doch der Blick fürs Ganze fehlt der Politik nach Meinung von Kritikern. Bereits bei Planung und Bau der Rathausbrücke bewies der Senat wenig Gespür für historisch begründete Räume. Das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten findet am Neubau keinen Platz. Eine hohe Rampe am Nikolaiviertel ist stattdessen beschlossene Sache. Kritiker bemängeln, die in diesem Frühjahr fertigwerdende neue Brücke richte sich mit ihrer enormen Durchfahrtshöhe zu sehr nach den Bedürfnissen von Binnenschiffen.

Im Deutschen Architektur-Forum im Internet öffnet sich eines der vielen Ventile für den Ärger über die politische Kurzsichtigkeit: „Was kümmert’s den Senat, dass die Gewerbemieter der Kolonnaden des Nikolaiviertels künftig im Dunkeln sitzen und die Autos in Stehhöhe vorbeirauschen.“

Die Gesellschaft Historisches Berlin e.V. beklagt, zum wiederaufzubauenden Schloss passe die Brücke ebenfalls nicht. Berlins Politik bleibt also weiter ohne Plan, während der Liegenschaftsfonds seine schon im Bezug auf die Bauakademie kritisierte profitorientierte Linie fortsetzt, als habe es keinen Koalitionswechsel gegeben.  Sverre Gutschmidt


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