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25.02.12 / Weißrussland im Würgegriff von Moskau?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-12 vom 25. Februar 2012

Gastbeitrag
Weißrussland im Würgegriff von Moskau?
von Klaus Rose

Das Jahr 2012 bringt einige Sorgen aus dem Osten. Keine der ehemaligen Sowjetrepubliken, mit Ausnahme von Estland, Lettland und Litauen, hat den unumkehrbaren Schritt zur Demokratie vollzogen, auch Russland nicht. Hat wenigstens Wladimir Putin die richtigen Lehren aus der letzten Parlamentswahl gezogen? Erkennt er an, dass sein russisches Volk zwar einen „starken Mann“ wünscht, dass dieser aber gerecht sein muss? Hat er nur dann eine Chance bei der Präsidentenwahl im März, wenn er Fehler zugibt? Oder muss er gar ein außenpolitisches Spektakel organisieren, um im Inneren als Held dazustehen? Etwa Weißrussland noch abhängiger machen?

Anders als in Deutschland haben in Russland die politischen Führer für ihre Machtkämpfe mehr oder weniger brutale Methoden erlernt. Was sich bei der Parlamentswahl und in den Wochen danach abgespielt hat, versteht niemand außer „lupenreine Demokraten“. In Gesprächen in Moskau mit einer Reihe unterschiedlicher Parteiführer spürte man jene Mischung aus Angst, Drohungen, Existenzvernichtung, Selbstbewusstsein und Zukunftshoffnung, wie sie nur in autoritären Systemen anzutreffen ist. Wer einen Tiefschlag erhält, steht wieder auf. Wer den Todesstoß versetzt, versucht diesen immer wieder – denn nur so bleibt er an der Macht. In Russland wird man verhaftet, weggesperrt, materiell und seelisch misshandelt. Wahr ist aber auch: Der materielle Wohlstand ist nicht mehr nur auf die Nomenklatura beschränkt. Armselig wie in Sowjetzeiten lebt man in Russlands Großstädten weitgehend nicht mehr.

Wladimir Putin, der jetzige Ministerpräsident und selbsterklärte künftige Staatspräsident Russlands, gibt seine Macht nicht ab. Darauf kann man wetten. Wie er die anstehenden Präsidentenwahlen lenkt oder manipuliert, kann man sich jetzt schon ausmalen. Ob er „Wahlgeschenke“ im Köcher hat oder Drohungen nach innen und nach außen, das wird sich zeigen. Wahrscheinlich verabreicht er Zuckerbrot und Peitsche. Außenpolitische Aktivitäten könnten die Welt in Atem halten. Dazu zählt auch der Ausbau der „Eurasischen Union“, von der Putin schon oft sprach. Ihr Zentrum wird wieder Moskau sein und ihr Ziel wird die Wiedererweckung einer geopolitischen Großmacht darstellen. Da die Ukraine nicht so leicht zu integrieren ist, bleibt Weißrussland das Hauptobjekt der Begierde. Mit wirtschaftlichem Druck, vor allem bei den überlebenswichtigen Gas- und Öllieferungen, kennt sich Mos­kau bestens aus. Es besteht schon lange eine Zoll- und Verteidigungsgemeinschaft zwischen den Machthabern in Minsk und in Moskau – und dreimal darf man raten, wer der Stärkere sein wird.

Kaum eine ehemalige Sowjetrepublik bietet ein so gespenstisches Bild wie Weißrussland. Selbst Putin ist ein Waisenknabe gegen den seit über 17 Jahren herrschenden Diktator Alexander Lukaschenko. Dabei hatte die Republik Weißrussland nach 1991 die gleichen Chancen wie zum Beispiel die baltischen Staaten oder die Ukraine. Es wurde zum besonderen Symbol, dass ausgerechnet in der weißrussischen Staatsresidenz Wiskulin an der polnischen Grenze am 8. Dezember 1991 das Ende der Sowjetunion besiegelt wurde. Dort hatten sich der Präsident der weißrussischen Sowjetrepublik, Stanislau Schuschkiewitsch, der Präsident der ukrainischen Sowjetrepublik, Leonid Krawtschuk, und der erste frei gewählte Präsident der russischen Republik, Boris Jelzin, zu Wirtschaftsberatungen getroffen. Bei einem Saunabesuch mit viel Wodka tauchte der Satz auf, dass es „die Sowjetunion eigentlich nicht mehr gibt“. Denn deren Präsident und KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow hatte nur noch auf dem Papier Macht. So musste dieser einen Telefonanruf von Schuschkiewitsch entgegennehmen, dass man die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als beendet ansehe und dass man US-Präsident George Bush informiert habe.

Gleich dachte der erste Staatschef des nun unabhängigen Weißrussland, dass die Chance zur Wiedergeburt der eigenen Geschichte auch die Chance zu eigener wirtschaftlicher Größe und Demokratie beinhaltete. Ab dem Jahr 1386 gehörte Weißrussland (Belarus) zum Großreich Polen-Litauen. 400 Jahre später, als die Erste Polnische Teilung erfolgte, verleibte sich Moskau Weißrussland ein und gab es nicht mehr heraus. Nur zu Beginn der Sowjetunion, also um 1920, hatten sich Hoffnungen auf einen eigenen Staat ergeben, die aber in militärischen Kämpfen und unter Beteiligung deutscher Freikorps untergingen. Das Jahr 1991 ermöglichte also das Ende der 200-jährigen Beherrschung durch Moskau. Am 20. März 1992 erfolgte die Gründung der Streitkräfte Weißrusslands. In zähen Verhandlungen wurden alle sowjetischen Atomwaffen aus Weißrussland abgezogen. Doch Schuschkiewitsch hielt sich nicht lange. 1994 etablierte sich Alexander Lukaschenko als Nachfolger, anfangs vom We-sten genauso gefördert wie der Vorgänger.

Dazu zählten auch die Unterstützung in militärischen Fragen und das Angebot der Zusammenarbeit mit der Nato. Der damalige Vorsitzende des deutschen Verteidigungsausschusses war im Frühsommer 1995 mit einer kleinen Delegation über Kiew und Moskau nach Minsk gekommen. In Gesprächen mit Politikern und Militärs und natürlich mit der Deutschen Botschaft sowie mit Medienvertretern lotete man die Chancen einer gutnachbarlichen Beziehung aus. Der Besuch in weißrussischen Garnisonen erbrachte zwar einen ernüchternden Eindruck, die Gastfreundschaft der Gesprächspartner verleitete aber zur Hoffnung. So bekam der deutsche Botschafter den Auftrag, diesen „Anfang einer künftigen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit militärischem Austausch“ intensiv weiter zu betreiben. Ähnliches fand später in den baltischen Nachbarrepubliken statt.

Heute ist Weißrussland wieder isoliert. Mit der Russischen Föderation pflegt es zwar eine Zoll- und Verteidigungsgemeinschaft. Doch diese beinhaltet die Erlaubnis für Moskau, bei Baranawitschy, also auf weißrussischem Gebiet, eine Radarstation zur gemeinsamen Luftabwehr zu unterhalten. Es gibt seit dem 19. Dezember 1997 auch ein „Abkommen über die gemeinsame Gewährleistung regionaler Sicherheit im Militärbereich“. Das heißt nichts anderes, als dass die Verteidigung Russlands wie eh und je an den Grenzen des „befreundeten Auslands“ stattfindet. Mit der Europäischen Union oder der Nato lebt Minsk fast auf Kriegsfuß, doch mit den Volksrepubliken China und Nordkorea, mit den Linksdiktaturen Kuba und Venezuela sowie mit dem Säbelrassler-Staat Iran unterhält Lukaschenko enge Kontakte. Er als ehemaliger Sowchos-Direktor, also Chef einer landwirtschaftlichen Zwangseinheit, weiß „alte Kameraden“ zu schätzen. Sein Vorgänger an der Staatsspitze bezeichnete ihn, laut „Stern“ vom 19. Dezember 2011, als „Diktator, brutal und kaum gebildet“. Ihm komme lediglich zugute, dass die „Sehnsucht nach einem starken Führer“ wieder sehr zugenommen habe, in Russland selbst, aber auch andernorts. Der Westen solle sich also keine Illusionen machen.

Das Jahr 2012 birgt also auch in unserer Nachbarschaft außen- und sicherheitspolitische Risiken. Berlin tut gut daran, nicht bloß auf „Kredit- und Medienaffären“ und auch nicht bloß auf die Euro-Krise zu reagieren. „Im Osten“ droht Ungemach.

Der CSU-Politiker Dr. Klaus Rose, geboren 1941, gehörte dem Bayerischen Landtag und von 1977 bis 2005 dem Bundestag an. In den Jahren 1997/98 war er Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium.


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