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25.02.12 / Von Utopien enttäuscht / Im Glauben an den »Neuen Menschen« unsicher geworden: »Müde Helden« in der Hamburger Kunsthalle

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-12 vom 25. Februar 2012

Von Utopien enttäuscht
Im Glauben an den »Neuen Menschen« unsicher geworden: »Müde Helden« in der Hamburger Kunsthalle

Unter der Überschrift „Müde Helden“ präsentiert die Hamburger Kunsthalle in ihrer Galerie der Gegenwart seit vergangenem Wochenende Gemälde und Grafik dreier Künstler der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit, deren Menschenbild von Zuversicht, aber auch von Ernüchterung und Desillusionierung zeugt. Jugendstil, alternativer Realismus des frühen 20. Jahrhunderts und postmoderner Surrealismus sind repräsentiert durch die Werke des Schweizers Ferdinand Hodler (1853–1918), des Russen Alexandr Dejneka (1899–1966) und des international bekannten Dresdner Malers Neo Rauch, geboren 1960, aufgewachsen und ausgebildet in der damaligen DDR. Vermutlich angeregt durch den Titel des deutsch-französischen Spielfims „Die Helden sind müde“ von 1955 mit Yves Montand und Curd Jürgens in den Rollen von Kriegsveteranen, entwickelte der Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner das Projekt gemeinsam mit den Kuratoren Daniel Koep und Markus Bertsch. Ihr Anliegen war es, das Ideal vom Neuen Menschen bei Hodler, dem Lebensreformer, und Dejneka, dem politischen Künstler, neben die Sicht von Neo Rauch zu stellen. Somit hätte man zwei Ausstellungen in einer, erklärte Hubertus Gaßner in seiner Eröffnungsrede.

Allen Künstlern gemeinsam ist der Hang zum Monumentalen. Gezeigt werden rund 90 überwiegend großformatige Gemälde, dazu Vorzeichnungen Hodlers zu einigen seiner Gemälde und Agitationsplakate von Dejneka. Die Exponate entstammen dem Zeit­raum von etwa 1890 bis Mitte der 1930er Jahre sowie den letzten beiden Jahrzehnten. Dazwischen klafft eine zeitliche Lücke, in welcher der Sozialistische Realismus bis zum Fall des Eisernen Vorhangs staatlich verordneter Kunststil im Ostblock war, wenn auch schließlich mit Auflösungserscheinungen; die „Helden des Sozialismus“ waren in der Tat müde geworden.

An diese Richtung erinnern noch manche der Vielfigurenbilder von Neo Rauch, die sich aber einer Deutung entziehen und letztlich nur auf sich selbst verweisen. Gemäß dem Konzept der Ausstellung werden die Werke der drei Maler immer aufs Neue miteinander verglichen. Wirklich finden sich erstaunlich viele Schnittstellen hinsichtlich der Formverwandtschaft zwischen Hodler und Dejneka sowie zwischen Dejneka und Neo Rauch, während die seelischen Verwandtschaften eher durch die Biografien der Künstler zu erschließen sind. So bezog sich der junge Dejneka 1927 mit seinem Gemälde „Die Verteidigung von Petrograd“ deutlich auf Hodlers „Auszug der Jenaer Studenten in den Freiheitskrieg 1813“, von dem eine Vorzeichnung ausgestellt ist. Von den gleichsam schwebenden Gestalten Hodlers mit ihren harmonisch bewegten Linien bis zu den anscheinend sinnlos agierenden Figuren der verrätselten Kompositionen Neo Rauchs ist es allerdings ein langer Weg. Man benötigt bestimmte Einzelwerke, um die beiden Künstlern gemeinsame Ablehnung von Vermassung und Industrialisierung zu belegen; auf ihr beruhte die Gesellschaftskritik der Lebensreformer im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Diese allerdings hatten einen Gegenentwurf; sie strebten eine Art Naturzustand an und glaubten an eine Höherentwicklung des Menschen durch Naturheilkunde, Reformkleidung und Vegetarismus. Doch hätten die großfigurigen männlichen und weiblichen Gestalten Hodlers „bereits die Anzeichen des Artifiziellen und Dekorativen an sich – was sie ebenfalls zu ‚müden Helden‘ macht“, heißt es im Handzettel zur Ausstellung.

Im Westen wird das höchst reizvolle Frühwerk des Malers, Illustrators und Bildhauers Alexandr Dejneka gerade erst entdeckt, während in Russland seit einigen Jahren sein gesamtes Schaffen in mehreren Retrospektiven gewürdigt wird. In Hamburg ist er jetzt mit sämtlichen wichtigen Bildern der zwanziger und dreißiger Jahre vertreten. Mitte der Dreißiger kam es zu einem Bruch in Dejnekas künstlerischer Ausrichtung, da er sich als überzeugter Kommunist dem 1932 vom Sowjetregime erlassenen Diktat des Sozialistischen Realismus unterwarf, als dessen bedeutendster Vertreter er heute gilt. Mittlerweile scheut man in Russland vor dieser Stilrichtung nicht mehr zurück, anders als hierzulande.

Ursprünglich gehörte der junge Alexandr Dejneka zur künstlerischen Bohème. In den ersten Jahren nach der russischen Revolution entdeckte er Ferdinand Hodlers Werk wieder. Wie dieser sympathisierte er mit den Idealen der Lebensreform und ließ sich ebenfalls durch den Ausdruckstanz inspirieren, den er 1921 kennenlernte, als die berühmte amerikanische Tänzerin Isadora Duncan in Moskau gastierte. Davon zeugen die beschwingten, fast tänzerischen Bewegungen mancher seiner Fabrikarbeiterinnen, Sportler und Sportlerinnen, wodurch Aufbruchsstimmung signalisiert und ein neues Zeitalter der Menschheitsentwicklung angekündigt wird. Statt einer aufblühenden Natur bildete Dejneka Ausschnitte der im Aufbau befindlichen Industrieanlagen ab. Einige der jungen Arbeiterinnen sind ansteckend fröhlich, manche aber halten inne und starren wie verloren ins Leere. Ganz offensichtlich wollte der Maler die Ermattung der „Helden der Arbeit“ nicht aussparen, was bald darauf jedoch nicht mehr geduldet war.

Die Exponate sind aus privaten und staatlichen Sammlungen und Museen entliehen, unter anderem aus der Staatlichen Dejneka-Galerie in Alexandr Dejnekas Geburtsort Kursk, aus Moskau, St. Petersburg, Zürich, Basel, London, Leipzig, Kiel und Baden-Baden. Dagmar Jestrzemski


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