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25.02.12 / Aliens als Notlösung / Schwangere sucht Ausweg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-12 vom 25. Februar 2012

Aliens als Notlösung
Schwangere sucht Ausweg

Die verrücktesten Geschichten schreibt das Leben selbst. Wie die der polnischen Mutter, die auf Schadensersatz klagte, weil ihre 13-jährige Tochter schwanger aus dem Ägypten-Urlaub nach Hause kam. Schuld sei ihrer Ansicht nach ein mit Spermien verunreinigter Hotel-Pool gewesen. Noch abstruser klingt der Plot von Anthony McCartens „Liebe am Ende der Welt“. Der Roman spielt in der Heimat des Autors, Neuseeland, genauer im heruntergekommenen Provinzstädtchen Opunake. Die 16-jährige Delia Chapman jobbt neben der Schule in einer Fleischfabrik. Tagaus, tagein steht sie am Fließband und verpackt frische Rinderherzen: „Vor einigen Jahren war einmal die Produktion einer ganzen Saison beschlagnahmt worden, weil sich Kopfläuse in der Ware gefunden hatten. In diesem Schlachthaus mussten die Mädchen so reinlich wie japanische Geishas sein, und jede packte 120 Herzen pro Stunde in Pappschachteln für den Versand.“ Die Teenagerin lebt bei ihrem Vater, einem Blumenzüchter und Rugbyfan. Ihre Mutter hat Selbstmord begangen.

Eines Tages sagt sie auf der Polizeiwache aus, an einem Sonnabend zehn Außerirdischen in silbernen Anzügen und Edelstahlstiefeln begegnet zu sein. Diese hätten sie für eine halbe Stunde in ihr ultramodernes Raumschiff entführt und seien dann verschwunden. Seitdem ist Delia in anderen Umständen. Als die Geschichte die Runde im Dorf macht, behaupten auch zwei Freundinnen, von den Außerirdischen schwanger zu sein.

Plötzlich wird aus dem verschlafenen Provinznest ein selbsterklärtes Betlehem – die Nachbarn, der Pfarrer und ein Skandaljournalist fragen sich, wie die drei Jungfrauen zum Kinde gekommen sind. Ist das Alien-Baby, das Delia erwartet, ein zweiter Jesus, ein Retter der Region und das Heilige Land die grünen Viehweiden von Neuseeland? Während der Bürgermeister hofft, durch das „Wunder“ mehr Touristen in die Gegend zu locken, fürchtet der Ortspolizist, die Sensation ziehe vermehrt Diebesgesindel an.

McCarten ist hierzulande durch seine Romane „Englischer Harem“, „Superhero“ und „Hand aufs Herz“ bekannt geworden. „Liebe am Ende der Welt“ ist eigentlich sein literarisches Debüt, das bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt worden war. Mit viel Wort- und Dialogwitz, aber auch Tiefsinn und Feingefühl deckt der Schriftsteller und Filmemacher die vielschichtigen Beziehungen in der Gemeinde auf: etwa die Spannungen zwischen Delia und ihrem jähzornigen Vater, der eine Abtreibung fordert, die Sorge des schüchternen Bibliothekars Philipp Sullivans um die werdende Mutter oder die Freundschaft der drei Mädchen, die durch die plötzliche mediale Präsenz auf eine harte Probe gestellt wird.

Skurrile Szenen wie der Fund einer plattgewalzten Kuh im Kornfeld wechseln sich ab mit tragischen Momenten wie der Aufdeckung des wahren Grundes für Delias Schwangerschaft. Gesellschaftskritisch und mit scharfer Beobachtungsgabe skizziert McCarten die Sensationsgier und Perspektivlosigkeit einer Dorfgemeinschaft, wie man sie überall und nicht nur am Ende der Welt findet. Doch bei allem Ernst vergisst der Autor die Ironie nicht. Sophia E. Gerber

Anthony McCarten: „Liebe am Ende der Welt“, Diogenes Verlag, Zürich 2011, 360 Seiten, 22,90 Euro


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