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03.03.12 / Berlin läuft die Zeit davon / Nach 1990 blieb die Stadt in alten Strukturen kleben – Nun droht der finanzielle Kollaps

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-12 vom 03. März 2012

Berlin läuft die Zeit davon
Nach 1990 blieb die Stadt in alten Strukturen kleben – Nun droht der finanzielle Kollaps

Berlin ist ein Magnet für Zuwanderer aus dem In- und Ausland, es strahlt aus in alle Welt. Ein Vergleich mit Leipzig jedoch zeigt: Die Hauptstadt bleibt weit unter ihren Möglichkeiten. Und sie läuft in eine Falle.

„Ungehörig“ findet Berlins Zoo-Chef Bernhard Blaszkiewitz die Werbung des Leipziger Zoos, die neuerdings im Berliner Stadtbild auftaucht. Indes: Was der langjähriger Zoo-Chef als Wildern im fremden Revier anprangert, ist für Berliner immer öfter Anlass für einen Abstecher nach Leipzig. Dank neuer Konzepte ist dort ein Zoo entstanden, der für Aufsehen sorgt. Ablesbar war das im Vorjahr an weltweit 25835 Zeitungsartikeln über Leipzigs Zoo und auswärtigen Zoobesuchern, die über 110 Millionen Euro in der Stadt gelassen haben.

Der Streit zwischen dem Berliner Zoo-Chef, der sehr traditionelle Vorstellungen davon hat, wie ein Zoo aussehen soll, und seinem Leipziger Kollegen, hat fast Symbolkraft: Selbst wenn man in Berlin bereit wäre, Neues auszuprobieren, ist kaum noch finanzieller Spielraum zur Umsetzung vorhanden. Innerhalb von 20 Jahren hat sich Berlin in eine finanzielle Sackgasse manövriert, während Leipzig mit der Ansiedlung von Unternehmen wie BMW, Porsche und DHL zunehmend erfolgreicher wird.

Dabei war die Ausgangslage beider Städte vor 20 Jahren nicht einmal unähnlich, ebenso die erhaltenen Transferleistungen. Bereits Berlins Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Hauptstadt Anfang der 90er Jahre umgerechnet nur etwa acht Milliarden Euro Schulden hatte. Damit lag die Stadt etwa auf dem damaligen Schuldenstand Bayerns.

Doch bereits 1996, als der Versuch einer Länderfusion mit Brandenburg scheiterte, waren die Schulden auf 26,91 Milliarden Euro angewachsen. Mittlerweile sind 63 Milliarden erreicht, obwohl Berlin mehr Geld aus dem Länderfinanzausgleich erhält als alle anderen neuen Bundesländer zusammen und – gern übersehen – auch zweitgrößter Empfänger des Solidarpakts II ist. Trotz des Geldstroms kam auf jeden Berliner Ende 2010 eine öffentliche Verschuldung von 17381 Euro – auf jeden Leipziger 1380 Euro.

Selbst die aus Berliner Sicht traumhaft niedrige Verschuldung hat Leipzigs Stadtkämmerer übrigens nicht daran gehindert, eine Haushaltssperre zu verhängen. Die Grundlagen für diese Entwicklung wurden bereits Anfang der 90er Jahre gelegt. Sachsens damaliger Rückgriff auf auswärtige Führungskräfte hat sich als Glücksfall erwiesen.

Nicht so in Berlin: Nicht nur das etablierte, subventionsverwöhnte Politikpersonal blieb in verschiedensten Koalitionen am Ruder, übernommen wurden auch die Konzepte der Vergangenheit. Zulange wurde etwa an der uneffektiven Wohnbauförderung nach Berliner Modell festgehalten.

Als strukturelles Dauerproblem haben sich die Kosten für den öffentlichen Dienst herausgestellt. Nach der Vereinigung eingeräumte Sonderregelungen wurden nicht genutzt, um den massiven Personalüberhang abzubauen. Die Ost-West-Lohnangleichung hätte hier erst nach radikalem Personalabbau erfolgen dürfen. Das Debakel um die Bankgesellschaft Berlin (Sarrazin: „Kollektiv-Wahnsinn“) und die missratene Olympia-Bewerbung für die Spiele von 2000 taten ein Übriges.

Ebenso wie die Ausgaben für Sozialhilfe: 2010 erhielten 16,9 Prozent der Berliner Hartz IV, bundesweit Spitze, ebenso wie die Höhe der Leistungen: durchschnittlich 391 Euro, gegenüber 255 Euro bundesweit. Wie eng inzwischen die Spielräume geworden sind, zeigt die aktuelle Haushaltsplanung. Die Baumittelliste für Stadtentwicklung für 2012 und 2013 weist für Infrastrukturprojekte knapp eine Milliarde Euro aus.

Schaut man genauer hin, wird deutlich, dass über 80 Prozent der Summe als „Restkosten“ deklariert wurden. Bereitgestellt werden sollen die 820 Millionen Euro „Restkosten“ ab 2016, wenn Berlin erstmals auf neue Kredite verzichten will („Schuldenbremse“). Unklar ist, ob der Senat daran tatsächlich glaubt, oder ob es sich um bloße Taktik handelt. Denkbar ist folgende Kalkulation: Möglichst viele Projekte beginnen, ehe Berlin der Geldhahn abgedreht wird. Später können die halbfertigen Bauprojekte als Begründung für einen letzten Schluck aus der Schuldenpulle herhalten.

Offen ist allerdings, wie lange Berlin für derartige Spiele überhaupt noch Handlungsfreiheit hat. Im Raum steht nicht nur eine angedrohte Verfassungsklage des Geberlandes Bayern, sondern auch die Möglichkeit, dass der Bund-Länder-Stabilitätsrat Berlin Auflagen erteilt. Selbst wenn beides abgewendet werden kann, wird der Spielraum langfristig immer enger. Ab 2019 laufen die Mittel aus dem Solidarfonds II aus, ab 2020 greift das Schuldenverbot per Grundgesetz.

Erstaunlich ist, dass trotz der weitgehend miserablen Finanz- und Wirtschaftspolitik seit 1990 Berlin immer noch Anziehungskraft auf Unternehmen ausübt. Einen Hinweis, was die Stadt für Unternehmer attraktiv macht, gibt der „Kultur- und Kreativwirtschaftsindex 2011“ der Industrie- und Handelskammer. Genannt wird dort als positiver Standortfaktor die Dichte und Vielfalt des kulturellen Angebots. Ähnlich gut wird die touristische Attraktivität der Region und das internationale Image von Berlin bewertet. Weniger schmeichelhaft, vor allem für die Berliner Politik, sind die oft genannten Negativ-Punkte: mangelnde Unterstützung durch die öffentliche Verwaltung und der Mangel an öffentlichen Förderprogrammen. Norman Hanert


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