20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
03.03.12 / Viele offene Baustellen / Gesundheitsexperte: Milliardenüberschüsse im System dürften Reformen nicht blockieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-12 vom 03. März 2012

Viele offene Baustellen
Gesundheitsexperte: Milliardenüberschüsse im System dürften Reformen nicht blockieren

Jürgen Wasem hat seit 2003 den Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen inne. Hier befasst er sich an der Schnittstelle von Wirtschaftswissenschaften und Medizin mit Fragen des Managements, der Steuerung und der Finanzierung des Gesundheitssystems. Im Gespräch mit der PAZ-Redakteurin Rebecca Bellano rückt er aktuelle Meldungen ins richtige Licht.

PAZ: Laut „Spiegel“-Bericht sind viele Privatversicherte nicht mehr zufrieden mit ihrer Versicherung und versuchen in die gesetzlichen Kassen zu wechseln. Was treibt sie fort?

Wasem: Da möchte ich erst einmal die Daten sehen, ob das viele Versicherte sind, die weg wollen, ohne weg zu müssen. Häufig werden Menschen ja wieder pflichtversichert, die können dann gar nicht anders als zurück zur gesetzlichen Krankenversicherung. Aber richtig ist: Für Teile der Privatversicherten sind die Beiträge erheblich angestiegen. Zudem: Wenn ich früher keine Kinder hatte und jetzt Kinder zu versichern sind, ist die private Versicherung plötzlich nicht mehr preiswerter, sondern teurer für mich.

PAZ: Im Sommer 2011 verkündete die Krankenversicherung Central, sie glaube nicht mehr an den Fortbestand des Systems. Was ist an dieser Aussage dran?

Wasem: Das sehen die Privatversicherungen ganz unterschiedlich. Die meisten verdienen noch gut an der Vollversicherung, die über 70 Prozent des Umsatzes im Vergleich zu den Zusatzversicherungen, die gesetzlich Versicherte bei ihnen abschließen, ausmacht. Bei einzelnen Unternehmen mögen auch falsche Entscheidungen in der Vergangenheit, etwa bei der Aufnahmepolitik oder der Ausgestaltung von Tarifen, eine Rolle gespielt haben, dass sie heute keine Freude mehr an der Krankenvollversicherung haben.

PAZ: Hat die schwarz-gelbe Bundesregierung aus Ihrer Sicht seit Regierungsantritt bereits einige wichtige Baustellen im Gesundheitswesen erfolgreich bearbeitet?

Wasem: Das Arzneimittelreformgesetz finde ich gut – Pharmahersteller können für neue Arzneimittel ihre Preise jetzt nicht mehr frei festsetzen, sondern müssen sie mit den Krankenkassen aushandeln. Beim Landarztmangel hat man versucht, ein paar Akzente zu setzen, ist leider aber nicht gleichzeitig wirkungsvoll gegen die Überversorgung in den Ballungszentren angetreten.

PAZ: Wo sehen Sie derzeit den größten Handlungsbedarf für die Politik?

Wasem: Auf der Finanzierungsseite haben wir zwar jetzt Milliardenüberschüsse, aber das ist nur eine Momentaufnahme. Die gesetzliche Krankenversicherung leidet an einer grundsätzlichen Schwäche der Einnahmebasis. Deswegen muss die Debatte zur Finanzierung, also Bürgerversicherung, Prämie und ähnliches leider weitergehen – auch wenn die Leute sie nicht mehr hören können. Wir brauchen eine Finanzreform im Gesundheitswesen.

PAZ: Es heißt, der FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr pflege seine Parteiklientel, sprich Ärzte und Apotheker. Inwieweit bewerten Sie diese Aussage als Polemik aus der Opposition?

Wasem: Für die Apotheker gilt das gewiss nicht – die haben unter Daniel Bahr Geld verloren. Und ob Bahr gegenüber den Ärzten großzügiger ist als vorher Ulla Schmidt, weiß ich auch nicht – den größten Zuwachs bei den Honoraren gab es von 2008 nach 2009, da war Bahr noch Oppositionspolitiker und Schmidt Gesundheitsministerin.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren