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03.03.12 / Rentner an die Werkbänke und ins Büro / Während früher eine zu 44,5 Prozent arbeitende Bevölkerung ausreichte, müssen heute mehr Menschen ran

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-12 vom 03. März 2012

Rentner an die Werkbänke und ins Büro
Während früher eine zu 44,5 Prozent arbeitende Bevölkerung ausreichte, müssen heute mehr Menschen ran

Die deutsche Wirtschaft läuft rund und im Vergleich zu anderen EU-Ländern spricht man neuerdings sogar von einem Wirtschaftswunder. Doch sehr dunkle Wolken zeigen sich bereits am Horizont, meinen die Ökonomen der OECD. Hauptsächlich Frauen und Senioren sollen in Zukunft mehr und länger arbeiten.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hörte das Lob aus dem Munde von Angel Gurría, dem Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), gerne: „Deutschland ist sicher durch die Finanz- und Wirtschaftskrise manövriert“, meinte der Mexikaner bei der Vorlage des „Wirtschaftsberichts Deutschland 2012“. Nach dem Lob kam jedoch eine giftige Warnung. Ein dramatischer Wohlstandsverlust stehe Deutschland bis 2030 bevor, wenn nicht energisch gegengesteuert würde.

Die prognostizierten Fakten klingen tatsächlich beunruhigend. Während heute noch die Rekordzahl von 41 Millionen Menschen (49 Prozent der Bevölkerung) als „Erwerbstätige“ im Wirtschafsleben stehen, soll diese Zahl nach Berechnungen der OECD bis 2030 auf rund 27 Millionen Menschen fallen. Dann wären 74 Prozent der Bevölkerung nicht mehr oder noch nicht erwerbstätig und 27 Millionen Erwerbstätige müssten die gesamte Steuerlast und die Sozialabgaben schultern. 14 Millionen Arbeitsplätze würden also verloren gehen. Um dem drohenden Wohlstandsverlust vorzubeugen, empfiehlt die OECD eine erhebliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit, eine stärkere „Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt“ sowie die Überprüfung des Ehegatten-Splittings und der kostenlosen Mitversicherung von nicht-arbeitenden Ehepartnern; auch die Bewertung der letzten Berufsjahre bei der Rente soll auf den Prüfstand.

Zweifel sind jedoch angesichts des Zahlenwerks der OECD angebracht. Zum einen dürfte die Entwicklung nicht so schnell gehen, wie eine Berechnung der EU-Kommission aus Brüssel zeigt, welche die Lage nicht ganz so pessimistisch wie die OECD sieht. Demnach werden erst im Jahr 2060 zwei Beschäftigte einen Rentner und zusätzlich einen Unter-15-Jährigen finanzieren müssen.

Zum anderen zeigt ein Rück-blick in die letzten 50 Jahre der Bundesrepublik, dass die Zahl der Erwerbstätigen stetig gestiegen ist. 1970 waren 26,6 Millionen Menschen erwerbstätig und damit rund 44,5 Prozent der Bevölkerung der damaligen Bundesrepublik – und dies bei einer relativ fast doppelt so hohen Zahl von Kindern wie heute. Die Frage entsteht also, warum Deutschland nicht auch eine leicht fallende Quote von Erwerbstätigen vertragen kann? Was 1970 möglich war, müsste theoretisch auch 2030 – bei gestiegener Produktivität der Wirtschaft – praktizier- und finanzierbar sein.

Das ist jedoch kaum der Fall, weil neben einem massiv ausgeweiteten Staatsengagement die längere Lebenserwartung einen Strich durch die Rechnung macht. Als Otto von Bismarck 1889 die Alters- und Invaliditätsversicherung in Deutschland einführte, setzte er das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre fest. Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer lag bei zwei Jahren. Heute dürfen sich Männer an ihrem 65. Geburtstag (statistisch) noch auf weitere 17,8 und Frauen sogar auf 20,9 Jahre freuen. Französinnen überleben ihren Renteneintritt (mit 60) sogar um 28,2 Jahre. In der Wirklichkeit sind diese Zeit-räume teilweise jedoch weitaus länger, da 2010 in Deutschland nur 57 Prozent der Menschen zwischen 55 und 64 Jahren erwerbstätig waren. In Österreich lag diese Quote bei 42,4 und in Italien sogar bei nur 36,6 Prozent.

Der Blick auf die europäischen Nachbarn zeigt, wo die deutsche „Solidarität“ in Zukunft noch weit mehr als bisher gefordert wird. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Frankreich gab es wütende und gewalttätige Proteste, wenn die Rentenbezugsdauer verkürzt werden musste. Soll die Rente bei schrumpfender Bevölkerung und wachsender Lebenserwartung nicht halbiert werden, müsse länger gearbeitet werden, fordern die Brüsseler Bürokraten. Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) stößt in ein ähnliches Horn und hat jüngst einen „Rentendialog“ mit Verbänden, Arbeitgebern und Gewerkschaften begonnen.

Die Ministerin schlägt vor, dass Rentner ab 63 Jahren ein Einkommen aus Rente und Hinzuverdienst in der Höhe des letzten Brutto-Einkommens erzielen dürfen. „Kombirente“ nennt von der Leyen dieses Modell, das auch von vielen mittelständischen Unternehmen favorisiert wird, die nicht auf die Erfahrung von Älteren in den Betrieben verzichten wollen. Eine Umfrage hat ergeben, dass rund 40 Prozent der Rentner zwischen 65 und 70 Jahren noch gerne arbeiten würden. Für sie soll die „Di-Mi-Do-Regel“, also die Beschäftigung an nur drei Tagen der Woche mit beispielsweise vier Stunden pro Tag, gelten. Den meisten arbeitenden Rentnern, so die Erhebung, geht es bei diesen Tätigkeiten teils um das Geldverdienen und teils um die Freude an der Beschäftigung und die erworbene Anerkennung. Die Wirtschaft hofft auf diese Weise dem absehbaren Fachkräfte-Mangel, jedenfalls teilweise, entgegensteuern zu können. Hinrich E. Bues


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