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03.03.12 / Der Maler mit der Fotokamera / Edvard Munch: »Der moderne Blick« – Einfluss der technisch reproduzierten Realität auf die Malerei

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-12 vom 03. März 2012

Der Maler mit der Fotokamera
Edvard Munch: »Der moderne Blick« – Einfluss der technisch reproduzierten Realität auf die Malerei

Dem Norweger Edvard Munch (1863–1944) „war sehr wohl bewusst, dass mit den jungen Medien wie Kino, Postkartenindustrie oder illustrierter Presse, die zu seiner Zeit einen rasanten Aufstieg erlebten, neue Formen des Erzählens entstanden“, wie Angela Lampe berichtet. Das veranschaulicht sie in der von ihr erarbeiteten Schau, die in der Frankfurter Schirn Kunsthalle gezeigt wird.

Die Ausstellung, die zuvor in Paris fast 500000 Besucher anzog, präsentiert 60 Gemälde und 20 Grafiken des Wegbereiters des Expressionismus. Dass Munch sich selbst und seine Bilder ablichtete, zeigen 50 seiner Fotografien. Obendrein versuchte er sich als Amateurfilmer. Das erhaltene Filmmaterial mit einer Länge von fünf Minuten und 27 Sekunden zeigt Großstadtszenen und den sich vor das Kameraobjektiv beugenden Munch. Es wird in Endlosschleife abgespielt.

Zu Beginn steht Munchs Faible für die Wiederholung seiner Motive im Blickpunkt. Allerdings in einer irritierenden Inszenierung. Für den aufschlussreichen Bildvergleich wäre es angebracht gewesen, motivgleiche Gemälde nebeneinander zu hängen. Doch in der Schirn werden sie durcheinander präsentiert. So hängt der querformatige „Vampir“ in der Fassung von 1905 an der einen Wand, die hochformatige Version „Vampir im Wald“ von 1916 bis 1918 an der gegenüberliegenden Wand. Gleichbleibend ist das Grundmotiv: Ein Mann beugt sich in die Arme einer Frau, die mit Mund und Nasenspitze seinen Nacken berührt. Im älteren Bild ist das Paar von schwer lastendem schwärzlichem Blau umhüllt, was zu einer bedrückenden Atmosphäre führt. Im jüngeren Bild befindet sich das Paar am hellichten Tag im Freien. Bunte Farben sorgen für eine heitere Stimmung.

Gemeinhin werden Munchs Bilder als Spiegel seines Lebens gedeutet. Und das war nach weit verbreitetem Urteil alles andere als heiter. Er verlor früh seine Mutter und einige Geschwister, ließ sich wiederholt wegen Alkoholsucht und Nervenzusammenbrüchen in Sanatorien behandeln, büßte beim Trennungsstreit von seiner Geliebten durch Pistolenschuss ein Fingerglied ein. Der gleichwohl europaweit erfolgreiche Künstler kehrte nach einem rastlosen Wanderleben 1909 nach Norwegen zurück und führte, von gelegentlichen Reisen unterbrochen, ein friedliches Dasein auf dem Lande. Seine oftmals so ernsten Bildmotive scheint er zumindest in späteren Jahren mit einiger Gelassenheit beurteilt zu haben. Das gilt etwa für das in Fassungen von 1907 und 1925 ausgestellte Gemälde „Das kranke Kind“. Munch: „Ja, das ,kranke Kind‘. Es ist im Grunde putzig.“

Gleichwohl war er bestrebt, die Betrachter seiner Gemälde durch einen gewissen Nervenkitzel zu fesseln. Dem dienten die Themen und die von Pressefotos und Film angeregten Erzählformen. Das „galoppierende Pferd“ (1910–1912) zum Beispiel hält direkt auf einen zu. Und „Der Mörder in einer Allee“ (1919) scheint aus dem Bild zu flüchten: An dessen unterem Rand sind gerade noch sein Kopf und die Schultern zu sehen. So manches Werk wirkt wie dramatische Bildreportagen. Etwa „Die Schlägerei“ (1932). Einer der beiden Kontrahenten scheint rücklings nach rechts aus dem Bild zu stürzen.

Auf anderen Gemälden sind die Akteure, wie in theatralischen Posen erstarrt, nah an uns herangerückt. Angeregt sind diese Bildfindungen vom intimen Kammerspiel, bei dem die Distanz zwischen Schauspieler und Publikum auf ein Minimum reduziert wird, um das Einfühlen zu fördern. Packendes Beispiel ist das Bild „Eifersucht“ (1907). Links vorn reckt uns ein Mann, die Augen weit aufgerissen, den Kopf entgegen. Im Hintergrund, an den Türrahmen gelehnt, küsst sich ein Paar.

Am Ende des Rundgangs hat der Künstler selbst seinen großen Auftritt. Im Gemälde „Der Nachtwanderer“ (1923/24) schiebt Munch in seiner dunklen Wohnung misstrauisch den Kopf schräg vor – als befürchte er einen Eindringling. In einem seiner letzten Selbstporträts schließlich, das auf 1940 bis 1943 datiert wird, steht er weit hinten und erhobenen Hauptes zwischen Bett und Standuhr stramm. Seine Zeit läuft ... ab. Veit-Mario Thiede

Bis 13. Mai 2012 in der Schirn Kunsthalle, Römerberg, Frankfurt am Main. Di., Fr. bis So. 10 bis 19 Uhr, Mi., Do. 10 bis 22 Uhr. Informationen: Telefon: (069) 2998820, Internet: www.schirn.de und www.munch-in-frankfurt.de. Eintritt: 10 Euro. Der Katalog aus dem Hatje Cantz Verlag kostet in der Schirn 34,80 Euro, im Buchhandel 39,80 Euro.


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