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03.03.12 / »Wir sind leider bankrott« / Vor knapp zwölf Jahrzehnten war eine »Korinthen-Krise« der Anlass für Griechenlands Zahlungsunfähigkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-12 vom 03. März 2012

»Wir sind leider bankrott«
Vor knapp zwölf Jahrzehnten war eine »Korinthen-Krise« der Anlass für Griechenlands Zahlungsunfähigkeit

Eine Schulbuch-Weisheit lautet: Geschichte wiederholt sich nicht. Im Fall der gegenwärtigen Schuldenkrise Griechenlands scheint es eine Ausnahme von dieser Regel zu geben. Viele Vorgänge rund um den griechischen Staatsbankrott von 1893 scheinen sich heute fast im Verhältnis eins zu eins zu wiederholen.

Der französische Schriftsteller Edmond About (1828–1885) notierte 1858: „Griechenland ist das einzige Beispiel eines Landes, das seit den Tagen seiner Geburt im totalen Bankrott lebt.“ Das ist wahrscheinlich etwas übertrieben, aber andere europäische Länder wie Frankreich oder England hätten eine so erschreckende Lage wie bei den Hellenen wohl kaum über Jahrzehnte ausgehalten; Ka-

tastrophen wären die unausweichliche Folge gewesen – in Griechenland jedoch, bemerkt About, habe man „im Frieden mit dem Staatsbankrott“ gelebt. Gehen wir der Geschichte einmal etwas genauer nach, als sie der Dichter hier anreißt.

Nach einem aufreibenden und zehnjährigen Bürgerkrieg ertrotzten sich die Griechen 1830 ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Die europäische Öffentlichkeit begleitete dieses Geschehen mit Begeisterung und wollte Griechenland in Europa integrieren. Der zweitgeborene Sohn des bayrischen Königs Ludwig I. wurde als griechischer König Otto I. inthronisiert und die Großmächte gaben dem vom Krieg ausgezehrten Land schon 1824/25 eine großzügige Bürgschaft über eine Anleihe in Höhe von 60 Millionen Francs. Von deren Erlös kam jedoch wegen hoher Spesen und Provisionen kaum etwas vor Ort an.

Otto I. versuchte mit Hilfe der aus Bayern mitgebrachten Beamten in Griechenland einen modernen (Steuer-)Staat aufzubauen, was sich aber als schwierig bis undurchführbar erwies. Die griechische Zentralregierung sah sich außerstande, dem Volk ein Steuersystem zu oktroyieren. Besonders die als siegreiche „Helden“ verehrten Partisanen, die in den Bergen lebten und ehrfürchtig „Klepten“ (Diebe) genannt wurden, verweigerten jegliche Zahlung.

Schickte der König dann seine Truppen los, um Steuern einzutreiben, leisteten seine Untertanen mit Hilfe der „Helden“ bewaffneten Widerstand. In den unzugänglichen Bergen konnten die königlichen Truppen nichts ausrichten und zogen daher unverrichteter Dinge wieder ab. Schließlich sah Otto aus Mangel an Finanzen davon ab, eine kostspielige Infrastruktur, Verwaltung oder ein gutes Bildungssystem aufzubauen. So litt das griechische Staatswesen von seiner Geburt an unter chronischem Geldmangel. Auch die Gründung der griechischen Nationalbank 1841 konnte die Probleme nicht lindern. Griechenland blieb Zinsen schuldig und wurde für Jahrzehnte unter eine europäische Finanzaufsicht gestellt. Derweil wuchs die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Nach der Revolution von 1843 mussten Otto I. und seine bayrische Beamtenschar das Land verlassen.

Unter dem neuen König, dem Dänen Georg I., besserte sich die Lage kaum. Der Krimkrieg (1854–57) führte zu einer dreijährigen Sperre aller griechischen Häfen; der Handel lag darnieder, Griechenland konnte kaum seine Zinslast bedienen, obwohl dafür nur rund 15 Prozent der Staatseinnahmen aufzuwenden waren. Neue Kredite nahm die griechische Regierung erst von 1879 bis 1891 in Form von sechs Staatsanleihen in Höhe von insgesamt 630 Millionen Francs auf, worauf die Zinslast auf über 30 Prozent des Staatsbudgets anstieg. Als Garantien verpfändete man die Monopoleinnahmen aus dem Salz-, Zündholz- und Petroleumverkauf sowie die Zolleinnahmen der Häfen von Piräus und Patras.

Beliebt waren die Anleihen besonders bei deutschen Anlegern, weil der griechische Thronfolger Konstantin I. mit Sophie, einer Schwester des späteren Deutschen Kaisers Wilhelm II., verheiratet war. Daher betrachteten Deutsche die Anleihen sozusagen als „todsicher“. Das geliehene Geld floss jedoch nicht in lukrative Felder der Industrie oder Infrastruktur wie Häfen, Telegraphen oder Eisenbahnen, sondern zum großen Teil in die militärische Aufrüstung und in den Erhalt des Staatsapparates, mit dem die städtische Mittel- und Oberschicht versorgt wurde – ein altes und neues Problem Griechenlands.

Über Wasser hielt sich der griechische Staat jedoch mit Einnahmen aus dem Korinthenhandel. Der Preis für die getrockneten Weintrauben stieg in den 1880er Jahren auf Rekordhöhen, da die französischen Weinberge zu jener Zeit von Mehltau befallen waren und deshalb für den Weltmarkt ausfielen. Als sich bereits eine Überproduktionskrise für Korinthen abzeichnete, versäumten es die Griechen, auf Produkte wie Kork, Öl, Tabak, Feigen oder Wein umzusteigen. Nachdem in Frankreich die Weinstöcke wieder nachgewachsen waren, fiel der Weltmarktpreis für Korinthen um mehr als 80 Prozent, weswegen der folgende Staatsbankrott auch die Korinthen-Krise genannt wird.

Die Einnahmen des Staates brachen zusammen und der griechische Ministerpräsident Charilaos Trikoupis verkündete im Dezember 1893 den berühmten Satz: „Wir sind leider bankrott.“ Nach einem verlorenen Krieg gegen die Osmanen sah sich Griechenland ab 1897 zähneknirschend gezwungen, eine europäische Kommission zu akzeptieren, welche die Zins-, Tilgungs- und Reparationszahlungen garantierte. Im Bewusstsein der Griechen grub sich dieses Trauma tief in das historische Gedächtnis des Volkes ein, das offenbar bis heute nachwirkt.

Die vielen deutschen Anleger übrigens, die nach der Staatspleite bestürzt reagiert hatten, wurden relativ gut, bis in die 1930er Jahre hinein, „bedient“. Anders als im Fall der Kriegsanleihen des deutschen Kaiserreiches, die in der Währungsreform 1923 total entwertet wurden, erhielten die Anleger ihre griechischen Einlagen größtenteils mit Zins- und Zinseszins zurück. Hinrich E. Bues


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