19.04.2024

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03.03.12 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-12 vom 03. März 2012

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

als wir für die Folge 3 ein Foto auswählten, das uns zu der Frage von Herrn Hartmut Krause, wann im Januar 1945 der letzte Flüchtlingszug von Mohrungen abfuhr, passend erschien, ahnten wir noch nicht, dass jemand aus unserem Leserkreis dieses Foto zeitlich exakt bestimmen konnte. Da kannten wir aber unsere Leser schlecht. Kaum war die Zeitung erschienen, bekam ich einen Anruf, ausgerechnet von einem nahen Verwandten, der mir kurz und bündig erkläre: „Das war kein Flüchtlingszug aus Ostpreußen aus die Jahr 1945, sondern ein Vertriebenentransport aus Schlesien im August 1946. Das Foto zeigt die Ankunft der aus dem Kreis Strehlen ausgewiesenen Deutschen auf dem Bahnhof in Lüneburg. Ich muss es wissen, denn ich war auch dabei.“ Und er übergab mir als Beweis einen in der Landeszeitung Lüneburg erschienenen Bericht aus dem Jahre 1986, als sich die damals Vertriebenen 40 Jahre später wieder in der Heidestadt trafen – mit dem Erinnerungsfoto, das mit dem auf unserer Familienseite veröffentlichten absolut identisch ist. 1800 Schlesier kamen mit ihrem wenigen Hab und Gut, das sie mitnehmen durften, in den 55 Güterwagen des Transportzuges nach Lüneburg, der Endstation ihrer Zugfahrt und wurden in vorläufige Quartiere in der Stadt und den umliegenden Ortschaften eingewiesen. Und nun setzen auch meine Erinnerungen ein, denn ich lebte damals in Dahlenburg, einem 25 Kilometer von Lüneburg entfernten Flecken, und 350 der schlesischen Vertriebenen wurden hier im Schützenhaus untergebracht. Sie mussten bei der Aufnahme registriert werden, und der Bürgermeister hatte mich für dieses Amt bestimmt. So kam ich mit den Ausgewiesenen direkt in Berührung und konnte ihnen als Flüchtling aus Ostpreußen so manchen Rat geben. Unter ihnen auch der junge Gottfried Matusche, der später meine Nichte Barbara heiratete. Somit brachten mir seine dokumentarisch belegten Erklärungen auch ein Kapitel meiner eigenen Lebensgeschichte in Erinnerung. Vielleicht auch nun für manche unserer in Schlesien beheimateten Leserinnen und Leser, vor allem, wenn sie aus dem Kreis Strehlen, aus Karzen, Prauß oder Karschau stammen

Nach dem letzten Zug, der im Januar 1945 aus Königsberg in Richtung Westen fuhr, ist auch gefragt worden, und hierzu meldete sich Frau Roswitha Kulikowski aus Hemmingen. Auch sie kann authentische Auskunft geben, denn in diesem Zug saßen Angehörige der mit ihren Eltern befreundeten Familie Rose aus Königsberg, der die Rosen-Apotheke in der Hagenstraße gehörte. Frau Kulikowski beschreibt die damalige Situation so: „Am 21. Januar 1945 fuhren Frau Sabine Rose und ihre drei Kinder mit einem Zug in Richtung Halle, wo ihre Großeltern lebten, von Königsberg ab. Meine Mutter und wir Kinder bekamen einen Platz auf einem Schiff zugewiesen, denn auch wir hatten eine Oma in Potsdam und durften deshalb in den Westen ausreisen. Das kleine Handelsschiff lag im Königsberger Hafen, und wir wurden am 23. Januar in Ratshof zu einem Sammelplatz bestellt. Das Schiff wurde mit etwa 700 Menschen beladen. Am 24. Januar fuhren wir dann mit einem der ersten Schiffe nach Kolberg.“ Anders erging es dagegen der Familie Rose. „Der letzte Zug kam nicht mehr durch, er musste umkehren und war am 22. Januar wieder in Königsberg. Als Sabine Rose am nächsten Morgen zu uns kam, um zu sagen „Wir sind wieder zu Hause“, war ihre größte Enttäuschung, dass die Saßnicks nicht mehr da waren! Die Tatsache, dass ihre Flucht nicht gelungen war, hat sie damals nicht sehr beeindruckt, das hat sie mir später oft erzählt. Also: Letzter Zug aus Königsberg am 21. Januar, musste umkehren, am 22. Januar zurück nach Königsberg. Die ersten Schiffe ab Hafen Königsberg am 23. Januar 1945. Diese genauen Daten habe ich mir gemerkt und sie durch die Aufzeichnungen meiner Mutter bestätigt bekommen.“

Wir haben das Glück, eine weitere absolut authentische Aufzeichnung zu besitzen. Ein langjähriger Mithelfer unserer Ostpreußischen Familie, der Königsberger Dr. Detlef Arntzen, bekam aus einem Nachlass einen Brief seiner Mutter, den sie im Februar 1945 in Hamburg verfasst hatte. Vier mit Bleistift beschriebene Seiten auf in Jahrzehnten brüchig gewordenem Papier, abgegriffen und schlecht zu entziffern. Es war der Bericht seiner Mutter über ihre Flucht im Januar 1945 aus Königsberg, nur wenige Wochen später verfasst, ohne Abstand zu dem Erlebten niedergeschrieben, so, als sei alles noch gegenwärtig. Seine Mutter, so schreibt Detlef Arntzen, fühlte sich damals wie nach einer schweren Krankheit, sie konnte physisch wie psychisch das Erlebte nicht verständlich machen, vielleicht wollte sie es auch nicht. Der Sohn hat in seiner Novelle „Der Brief meiner Mutter“ versucht, das Geschehen aufzuarbeiten. Wir wollen auf dieser Familienseite in einem Extrabeitrag jene Stellen bringen, die das Thema „Der letzte Zug“ betreffen.

In Folge 3 hatten wir auch die Geschichte von einer Königsbergerin gebracht, die ihren Lebensretter, einen Matrosen, der ihr am 28. Januar 1945 in Pillau auf ein Schiff verholfen hatte, nach Jahrzehnten suchte und durch unsere Ostpreußische Familie wiederfand. Dieser Bericht hat unseren Leser Gerhard Saunus angeregt, uns eine ähnliche Begebenheit mitzuteilen. Diesmal war er der Lebensretter, und nun sucht er die Gerettete, und da beide ostpreußischer Herkunft sind, dürfte unsere Familie auch das richtige Forum sein. So lassen wir den Elchniederunger selber erzählen, was sich im April 1945, also an den letzten Kriegstagen, zugetragen hat. „Wir, das Zweite Panzerregiment, waren im Raum Rathenow eingesetzt. Der Russe war schon vor der Stadt, die Bevölkerung noch nicht geflohen, da sah ich ein hübsches, blondes Mädchen, das ich fragte, ob sie nicht Angst vor dem Russen habe. Sie sagte, ja, sie habe große Angst, und darauf fragte ich sie, ob sie nicht mit uns kommen möchte. Sie erklärte, dass ihre Mutter und ihre Schwester auch in der Stadt seien, die sie von ihrem Vorhaben informieren müsste. Ich riet ihr, dass sie das machen sollte, und sie tat es auch. Sie bekam von der Mutter die Erlaubnis, mit uns zu fahren, und wir haben sie mit unserem Panzer mitgenommen. Nach einigen Tagen kamen wir in Wittenberge an, dort war für uns der Krieg zu Ende. Wir haben am 2. Mai 1945 mit einem Schlauchboot die Elbe überquert, denn die Brücke war gesprengt, und haben die 17-Jährige mit rüber genommen und sind dann die ganze Nacht, ohne einem Amerikaner zu begegnen, landeinwärts marschiert, bis wir am frühen Morgen bei einem Bauern ankamen. Der sagte, dass er keine deutschen Soldaten beherbergen dürfte, und wir sollten uns lieber den Amerikanern übergeben. Alle zwölf Mann, die wir waren, sind dann zum Nachbarhof gegangen, aber unterwegs kam uns der Pole vom Bauern nachgefahren und brachte die Adresse von dem auf dem Hof gebliebenen Mädchen, das ihm aufgetragen hatte, ihre Anschrift dem Soldaten mit dem gelben Koffer zu übergeben. Ich war damit gemeint, aber leider hatte ein Kamerad auch einen – nicht ganz so gelben – Koffer wie ich, und der bekam irrtümlicherweise die Adresse“.

Dieses Geschehen wurde nun für Gerhard Saunus wieder lebendig, als er die Geschichte der Ruth S. las. Er hätte ein schlechtes Gewissen behalten, wenn er das Mädchen den Russen überlassen hätte, so sagt er noch heute. Nun möchte er wissen, was aus der „hübschen, blonden, 17-jährigen Insterburgerin“ geworden ist, deren Namen er leider vergessen hat. Vielleicht erinnert sich diese an jene sonnenwarmen Frühlingstage an der Elbe, als der Krieg zu Ende ging. (Ich sehr genau, denn ich kam zur gleichen Zeit fast an der gleichen Stelle in einem Ruderboot über die Elbe!) Gerhard Saunus stammt aus Erlen in der Elchniederung (jetzt Egkrog 9 in 24238 Martensrade, Telefon 04384/1081).

Sie erwartete ein Kind, und niemand sollte es wissen. Denn die werdende Mutter war unverheiratet und der Vater ein französischer Kriegsgefangener, der auf dem elterlichen Bauernhof der Schwangeren arbeitete. Man schrieb das Jahr 1944, und noch dachte man in dem Kirchdorf Queetz im Kreis Heilsberg nicht an ein Kriegsende mit Flucht und Verschleppung. Das Kind, das am 30. März geboren wurde, kam nicht auf dem großelterlichen Hof in Queetz zur Welt, sondern in der Wohnung von Frau Erna Penquitt in Potsdam. Zu dieser Verwandten war die 19-Jährige Helga Gerigk geflüchtet, als sich die ersten sichtbaren Anzeichen ihrer Schwangerschaft bemerkbar machten – daheim in Queetz sagte man, sie sei auf einem Rot-Kreuz-Lehrgang. Es war ein Junge, der den Namen Heinz-Joachim erhielt und bereits zwei Wochen nach der Geburt zu seinen Pflegeeltern nach Zechow, Kreis Neuruppin kam, zu denen Helga Gerigk schon vor der Geburt Kontakt aufgenommen hatte. Die junge Mutter fuhr also ohne das Kind zurück nach Queetz und niemand hatte etwas von der heimlichen Geburt erfahren.

Wirklich niemand? Heinz-Joachim Gerigk, heute wohnhaft in Gühlen-Glienicke, glaubt nicht daran und wendet sich an uns mit der Bitte, ihm bei der Spurensuche zu helfen. Er hofft, dass noch Zeitzeugen aus dem Heimatort seiner Mutter leben, die sie gekannt haben. Vielleicht hatte sie eine Freundin, die von der verheimlichten Schwangerschaft wusste? Vielleicht kann sich jemand aus Queetz an den französischen Gefangenen Marcel erinnern, der auf dem Hof von Bruno und Gertrud Gerigk arbeitete? Vielleicht hat Helga einer Mitgefangenen von ihrem Sohn erzählt – sie wurde wie auch ihr Vater von den Russen verschleppt. Der damals 45-jährige Landwirt ist seit März 1945 verschollen und wurde 1950 für tot erklärt. Auch Helga überlebte die Gefangenschaft nicht. In einem Schreiben vom Roten Kreuz aus dem Jahr 1993 wird bekundet, dass eine Helga Gerigk im Raum Tscheljabinsk verstorben sei. War sie dort in einem Gefangenenlager oder verstarb sie auf der Heimreise nach Deutschland? Denn wie aus einem weiteren Schreiben des DRK hervorgeht, soll Helga Gerigk im Jahr 1947 auf dem Transport von der UdSSR nach Deutschland verstorben sein. Und es gab eine Zeugin, die der Mutter von Helga persönlich von dem Tod ihrer Tochter berichtet haben soll. Gertrud Gerigk gelang die Flucht in den Westen, sie lebte zuerst in Potsdam, dann in Neuruppin, wo sie 1979 verstarb – ohne je ihren Enkel gesehen zu haben, der nur zwölf Kilometer entfernt bei den Pflegeeltern Robert und Gertrude Grabow aufwuchs. Dieser Großmutter von Heinz-Joachim soll 1950 Frau Erna Stahl geborene Kunigk von dem Tod ihrer Tochter Helga berichtet haben. Frau Stahl wohnte zuletzt in Berlin N 20, Stock­holmer Straße 4. Falls sie noch lebt, wäre sie eine wichtige Informantin für den Suchenden, denn er möchte unbedingt wissen, wo und wie seine Mutter starb. Das einzige Erinnerungsstück, das er besitzt, ist ein Brief von ihr, den sie am 9. Januar 1945 aus Queetz an die Pflegemutter schrieb. Herr Gerigk fand ihn erst nach dem Tod von Gertrude Grabow in deren Nachlass. Aber er besitzt Fotos von ihr, und wir haben für die Veröffentlichung das Gruppenbild gewählt, weil es Helga Gerigk im Kreis gleichaltriger Mädchen aus Queetz zeigt. Es wurde vor der Kirchentüre aufgenommen, das große, kräftige Mädchen im Kleid mit der schwarzen Schleife ist Helga Gerigk, rechts neben ihr steht ihre beste Freundin. Da auch das geistliche Oberhaupt der Gemeinde abgebildet ist, muss es sich um einen Kirchenkreis handeln. Wer erkennt sich auf dem Foto wieder? Herr Gerigk würde sich über jede Zuschrift freuen, die ihm etwas aus dem Leben seiner leiblichen Mutter, die er nie gesehen hat, berichten kann. Auch wenn inzwischen 68 Jahre vergangen sind. (Heinz-Joachim Gerigk, Steinberger Straße 5 in 16818 Gühlen-Glienicke, Telefon 033929/70246.)

Eure Ruth Geede


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