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10.03.12 / Gelähmte Industrienation / Japan: Wirtschaftsstagnation und politische Blockade versperren Wege aus der Krise

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-12 vom 10. März 2012

Gelähmte Industrienation
Japan: Wirtschaftsstagnation und politische Blockade versperren Wege aus der Krise

Der Wiederaufbau nach dem Tsunami vor einem Jahr kommt nur zögerlich in Gang und auch die japanische Wirtschaft bietet ihrem Premier keine solide Basis, um endlich mal wieder gute Nachrichten zu verkünden.

Premier Yoshihiko Nodahat es nicht leicht. Erst seit September ist der 55-Jährige Premierminister Japans – der sechste in sechs Jahren – und schon sind seine Zustimmungsraten, ohne dass er viel falsch gemacht hätte, mit nur noch 37 Prozent in den Keller gerutscht. Mitte Januar hat er sein Kabinett umgebildet und mit Katsuya Okada als Vizepremier einen starken Verbündeten an Bord geholt, der die dringenden Reformpläne für die überfälligen Steuer-, Renten und Verwaltungsreformen durchsetzen soll. Doch auch das hat nichts geholfen. In der regierenden mitte-linken Sammlungspartei der Demokraten gilt der Offizierssohn Noda als Konservativer. Als vormaliger Finanzminister will er bis 2015 durch die stufenweise Erhöhung der Verbrauchssteuern von fünf Prozent auf zehn Prozent die galoppierende Neuverschuldung der japanischen Staatsfinanzen eindämmen. Der Plan hat nur einen Schönheitsfehler: Im Jahr 2009 hatte seine Partei, damals noch in der Opposition, mit dem Versprechen, die allgemein unbeliebten Verbrauchssteuern nicht zu erhöhen, einen Erdrutschsieg errungen und die 60 Jahre lang regierenden konservativen Liberaldemokraten (LDP) von der Macht verdrängt. Jede Menge sozialer Wohltaten waren dem Wahlvolk versprochen worden, die allesamt durch die Kürzung unproduktiver Staatsausausgaben ohne Steuererhöhungen finanziert werden sollten. Außer einigen spektakulär annullierten Großprojekten kam jedoch in den letzten zwei Jahren nicht viel beim Verwaltungssparen heraus. Dazu kommt jetzt der Wiederaufbau der vom Tsunami verwüsteten Küstenstädte, für den im nächsten Haushaltsjahr 180 Milliarden Euro vorgesehen werden mussten und der nur erst sehr zögerlich in Gang kommt. Nun sinnen die oppositionellen Liberaldemokraten auf Rache, und obwohl sie selbst die Notwendigkeit höherer Verbrauchssteuern zur Haushaltssanierung und zur Finanzierung der Renten der immer älter werdenden Bevölkerung einsehen, denken sie nicht daran, den verhassten Demokraten aus ihrem Dilemma der gebrochenen Wahlversprechen zu helfen. Das ist umso gravierender, als die LDP im Oberhaus die Mehrheit hat, das zwar weniger mächtig als das Unterhaus ist, aber in Steuer- und Haushaltsfragen mitentscheidet. Die Liberaldemokraten wollen, dass Noda angesichts der Blockade Neuwahlen ansetzt und seine wortbrüchigen Demokraten sie verlieren. Doch sind auch innerhalb der stark fraktionierten Demokraten die von 60 Prozent aller Japaner abgelehnten Steuererhöhungen umstritten. Neun Abgeordnete haben die Partei deshalb bereits verlassen. Auch Ichiro Ozawa, der stets aus dem Hintergrund wirkende Chef der mit Abstand mächtigsten Fraktion bei den Demokraten und der bereits ihre früheren Premiers Hatoyama und Kan stürzte, ist gegen die Steuerpläne. So wirkt die Regierung trotz des aufrechten und soliden Noda an der Spitze kaum als länger handlungsfähig.

Gleichzeitig hat Japan, vor 20 Jahren Exportweltmeister in den Zukunftstechnologien, gravierende Wirtschaftsprobleme. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten rutschte die Handelsbilanz in die roten Zahlen. Ursächlich sind der überhöhte Kurs des Yen als Fluchtwährung aus der Dollar- und Euro-Krise sowie die Produktionseinbrüche der japanischen Automobil- und Elektronikwirtschaft nach dem Erdbeben vom 11. März des Vorjahres und den Überschwemmungen in Thailand im Herbst, die dort japanische Werke in den Industriezonen monatelang lahmlegten. Dazu hat die Abschaltung der Atomkraftwerke in Japan – derzeit sind nur noch drei von 54 in Betrieb, alle anderen sind nach periodischen Instandsetzungsarbeiten wegen Vorbehalten der Anwohner nicht wieder ans Netz gegangen – die Rechnungen für die dramatisch gesteigerten Rohöl- und Flüssiggasimporte für Wärmekraftwerke enorm erhöht. Da Japan über keine eigenen fossilen Energiequellen verfügt – die Kohlevorkommen sind alle erschöpft –, muss alles importiert werden. So stiegen die Gesamtimporte energiebedingt im Vorjahr um 15 Prozent, während die Exporte um zwei Prozent abnahmen. Noch gelingt es durch – freilich stark geschrumpfte – Kapitaleinkommen aus ausländischen Investitionen, Dividenden und Zinseinkünften der Japaner die Zahlungsbilanz knapp positiv zu halten. Doch hat vor allem die Nationalbank Angst, dass in drei bis fünf Jahren Japan zur Finanzierung seiner Staatsschulden, die mit 220 Prozent des Bruttoinlandsproduktes südeuropäische Dimensionen weit in den Schatten stellen, von den chronisch nervösen internationalen Finanzmärkten abhängig werden wird. Damit würden auch die Zinsen steigen. Die Zeiten des Schuldenmachens bei den braven eigenen Bürgern zum Nulltarif wären dann vorbei.

Weil die Exportindustrie ins billigere Ausland abwandert, drohen dann griechische Verhältnisse – und dies nicht in einem kleinen Urlaubsland in der europäischen Peripherie, sondern in der drittgrößten Industrienation der Welt, deren politisches System derzeit, wie ein Kaninchen auf die Schlange starrend, gelähmt und handlungsunfähig ist. Albrecht Rothacher


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