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17.03.12 / Tod eines Schlichters / Der Fall Jusef El-A. stellt der Politik ein schlechtes Zeugnis aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-12 vom 17. März 2012

Tod eines Schlichters
Der Fall Jusef El-A. stellt der Politik ein schlechtes Zeugnis aus

Der 18-jährige Jusef El-A. ist tot, erstochen wegen eines Fußballstreits in Berlin-Neukölln. Der Jugendliche engagierte sich im Quartiersmanagement, galt dort als vorbildlich. Vorwürfe gegen die Politik werden laut im Kiez. Der Fall legt ungelöste soziale wie zuwanderungsbedingte Probleme frei.

„Ein deutscher Familienvater hat ihn nach einem Streit mit drei Messerstichen getötet“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. Das müsse man wissen, um den Fall zu verstehen, urteilt das Blatt. Doch der Tod des Jungen, „der den Omas die Tür aufhält“, so die zuständige Quartiersmanagerin, ist kaum zu verstehen. Vieles bleibt rätselhaft, die Emotionen im Viertel kochen hoch. Die Familie aus dem Libanon gilt als vergleichsweise integriert. Jusefs Mutter engagierte sich als Stadtteilmutter, fand danach eine reguläre Anstellung. Der Vater rief nach dem gewaltsamen Tod des Sohnes zur Gewaltlosigkeit auf. „Sein einziger Wunsch ist, dass die Gewalt aufhört und niemand etwas Unüberlegtes tut“, beschreibt der Jugendbeirat des Viertels in einem Brief dessen Haltung. Jusef selbst saß für seine Hochhaussiedlung als Streitschlichter in diesem Gremium. Er hatte einen mittleren Schulabschluss, aber keine Ausbildung. „Die positiven Bewertungen reichen bis zur Bilderbuchfamilie“, sagte Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD).

Der 34-jährige Beschuldigte, der mutmaßlich zum für Jusef tödlichen Messer griff, soll regelmäßig mit seinem Freund Oliver H. (39) auf dem Fußballplatz mit Jugendlichen gekickt haben. Die Behörden gaben bekannt, dass er 2006 wegen gefährlicher Körperverletzung eine Bewährungsstrafe erhielt. Aber auch Jusef stand wegen schweren Diebstahls 2007 vor Gericht. Das Quartiersmanagement will davon nichts gewusst haben. Nach Zeugenaussagen wollten Sven N. und Oliver H. auf dem Platz einen einfachen Streit schlichten. Als die zwei das Wort ergriffen, wandten sich die arabisch- und türkischstämmigen Jugendlichen geschlossen gegen sie. Übers Mobiltelefon holten diese jungen Männer Verstärkung – nicht die Polizei, sondern ihre dann bewaffnet zum Sportplatz kommenden Cousins. Sven N. soll, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, zum Waffenholen den Ort verlassen haben, einen Fußballplatz nahe der Rütli-Schule, einst für Schulgewalt bekannt. Als die Parteien wieder aufeinandertrafen, telefonierte zumindest ein Jugendlicher noch mehr junge Männer herbei, darunter auch das spätere Opfer. Zu 20 zogen sie zur ihnen bekannten Wohnung von Oliver H. Und auch der rief nicht die Polizei, sondern einen Freund und Sven N. zuhilfe. Im anschließenden Kampf vor der Haustür ging Sven N. zu Boden und stach dann um sich, so ein Zeuge, und traf mit dem Messer Jusef El-A. Sven N. selbst erlitt einen Schädelbruch.

So wenig die Polizei von Beteiligten wie offenbar auch Zeugen als Konfliktlöser auch nur in Betracht gezogen wurde, so sehr hat sie jetzt im Viertel zu tun. Beamte suchen Familien und Treffpunkte auf. Der mutmaßliche Täter ist frei, da die Staatsanwaltschaft nach seiner Vernehmung von Notwehr ausgeht. Die Polizei legt ihm und seiner Familie aber nahe, ihre Berliner Wohnorte nicht mehr aufzusuchen – sie fürchtet Rache. „Ich kann zu 100 Prozent garantieren, dass das ein Nachspiel haben wird. Das hier ist ein eigener Kosmos mit eigenen Gesetzen“, zitiert der „Tagesspiegel“ Anwohner Burak K. In dem liberalen Blatt kommt auch der Migrationsbeauftragte des Bezirks, Arnold Mengelkoch, zu Wort: Zwar sei es gelungen, Rache und weitere Gewalt zu verhindern, „aber die Zahl der arabischstämmigen Migranten ist in Neukölln von 10000 auf 27000 gestiegen – und viele haben keinen Job, keine Ausbildung, keine Perspektive. Da wächst der Frust.“ Die tödliche Auseinandersetzung legt frei, wie wenig die Politik in den Kiezen noch steuert, wie sehr deutscher Staat und Polizei aus dem öffentlichen Raum und Bewusstsein aller Bewohner verschwinden. Entsprechend kritisierten jetzt Anwohner Berlins Senat, vor allem die erst seit rund 100 Tagen mitregierende CDU. Die Politik habe sich seither aus dem Kiez zurückgezogen, so der Tenor. Lokale Organisationen sind entsetzt. Kiez-Fußballer betonen, bisherige Krawalle auf Sportplätzen hätten nichts mit dem Fall zu tun. Der ganze Kiez kämpft seit Jahren gegen ein negatives Bild. Die Politik versuchte bisher mit Sozialarbeit, Projekten und viel Farbe dieses Bild zu ändern. Doch über die Probleme täuschen auch sauber getünchte Fassaden der Häuser am Tatort nicht hinweg.

Den Eindruck fortschreitender Bildung von Parallelgesellschaften legt auch die Trauerfeier für den Getöteten nahe. Rund 3000 Trauergäste, so schätzt die Polizei, kamen auf der Straße zusammen. „Es gibt kein Gott außer Allah“, riefen die ausschließlich männlichen Teilnehmer. Nichts auf den Videobildern lässt erkennen, dass der mit grüner Fahne geschmückte Sarg durch Berlin und nicht durch einen Ort im nahen Osten getragen wird. Zu gern hätten religiöse Fundamentalisten vor Ort den Tod des Jugendlichen für sich vereinnahmt, sagen Kiezarbeiter. Im sozialen Netzwerk im Internet verabredeten sich Jugendliche für Montag zur „Hass-Demo“ – sie fand nicht statt, die Familie des Getöteten will keine Rache. Die Frage bleibt, was die Politik mit bisherigen Maßnahmen noch erreichen kann. Sverre Gutschmidt


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