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17.03.12 / Varaždin, das kroatische Klein-Rom / Von der »Entente Florale« ausgezeichnet – Seit 30 Jahren Preise für Lebensqualität europäischer Gemeinden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-12 vom 17. März 2012

Varaždin, das kroatische Klein-Rom
Von der »Entente Florale« ausgezeichnet – Seit 30 Jahren Preise für Lebensqualität europäischer Gemeinden

Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit, hat sich die Entente Florale zu einem der weltweit prestigeträchtigsten Wettbewerbe im Bereich der Stadtgestaltung und Lebensqualität in Europa entwickelt. Dabei geht es längst um mehr als Grünanlagen und Blumen – wie der Name vermuten ließe.

Alljährlich besucht die internationale Jury der gemeinnützigen Vereinigung Städte und Dorfgemeinden, um deren Gemeinwesen zu bewerten. Streng geschaut wird dabei auf die Verantwortlichen in und außerhalb der Rathäuser in puncto nachhaltiger Verbesserung der Lebensqualität und der adäquaten Darstellung dieser Leistungen in der Öffentlichkeit.

Begründet wurde der Wettbewerb bereits vor 30 Jahren von Großbritannien und Frankreich. Mittlerweile haben sich der Trägerorganisation AEFP – Association Européenne pour le Fleurissement et le Paysage – insgesamt zwölf Länder angeschlossen. 2011 hatten sich 5400 Städte für den Wettbewerb qualifiziert. Elf von ihnen kamen in die engere Wahl. Die Endergebnisse wurden im Rahmen einer feierlichen Preisverleihung Ende des Jahres in Rogaška Slatina (Slowenien) bekannt gegeben.

In Deutschland darf sich fortan die Stadt Bad Langensalza mit der „Goldenen Blume Europas“ schmücken. Weitere Gold-Gemeinden, die 2011 ausgezeichnet wurden, sind die Städte Veurne in Belgien, Balatonfürde in Ungarn, Grado in Italien, Deventer in den Niederlanden und das Dorf Coolagown in Irland. Neben den sechs Goldenen Blumen erhielten 2011 fünf Orte die „Silberne Blume Europas“: Wiesenburg in Deutschland, Varaždin in Kroatien, Broumov und Smržice in Tschechien, Paloznak in Ungarn, Drogheda in Irland, Transacqua in Italien, Elburg in den Niederlanden und Tameside in Großbritannien.

Damit rücken Orte ins Rampenlicht, die weithin unbekannt sind und in denen kaum jemand eine solche Lebensqualität vermutet. Kroatien zum Beispiel ist seit 2003 Mitglied der AEFP und hat mit Varaždin jetzt ein ganz besonderes Kleinod würdigen lassen. Denn wer weiß schon, dass Varaždin im äußersten Nordwesten des Landes, nur 19 Kilometer vom Grenzübergang nach Slowenien entfernt, nicht nur die bedeutendste Barockstadt des Landes ist, sondern von 1756 bis 1776 sogar Kroatiens Hauptstadt war? Ein großer Stadtbrand machte diesem Intermezzo ein Ende. Die Hauptstadt wurde nach Zagreb (Agram) zurück­verlegt – und die Varaždiner waren nicht einmal traurig darüber.

So konnten die Adligen und Großgrundbesitzer, Handwerker und Künstler das gute Leben in aller Ruhe genießen. Denn im 18. Jahrhundert wurde das heute 50000 Einwohner zählende Städtchen wegen seiner Kirchen nicht nur Klein-Rom genannt, sondern wegen seiner Bälle auch Klein-Wien. Von allem hat sich bis heute etwas bewahrt: bürgerliche Eleganz, handwerkliches Geschick, künstlerische Phantasie, sakrale Pracht in 15 Gotteshäusern und die Freude an der Musik.

Seit der Uraufführung der Operette „Gräfin Mariza“ am 28. Fe­bruar 1924 in Wien zählt die Melodie von Emmerich Kálmán „Komm mit nach Varaždin!“ zu den bekanntesten Melodien ihrer Art. Inzwischen locken die Varaždiner Barockabende Musikfreunde jedes Jahr im Herbst in die Stadt an der Drau. In diesem Jahr findet ihre 42. Ausgabe vom 21. September bis 1. Oktober statt. Mit Österreich als Partnerland ist zur Eröffnung der Auftritt der Wiener Sängerknaben geplant.

Wer jemals die Eröffnungsveranstaltung im Dom miterlebt hat, behält außer der Musik vor allem die Kulisse der Barockaltäre, insbesondere die des üppigen Hauptaltars, in Erinnerung. Unvergessen aber bleibt auch das Treiben danach, wenn Mitglieder der 1750 von Maria Theresia begründeten Varaždiner Stadtgarde in blauen Grenadieruniformen und hohen Bärenfellmützen die Ehrenwache halten, Damen und Herren in Barock-Kostümen sich unters Volk mischen und Künstler einen Vorgeschmack darauf geben, wie beim traditionellen Špancirfest (17. bis 26. Au­gust) die Straßen und Plätze zu einer einzigen großen Bühne für Akrobaten, Zauberkünstler, Schauspieler, Tänzer, Musiker und Clowns werden.

Zum krönenden Abschluss trifft sich ganz Varaždin im Hof der mittelalterlichen Burg zur kostenlosen „Schlacht“ am Büffet ... Sorgfältig renoviert, erstrahlt die einstige Wasserburg aus dem 17. Jahrhundert am Tage in makellosem Weiß. Seit 1925 ist sie Stadtmuseum und gibt Einblicke in die Wohnkultur verschiedener Epochen.

Über 400 Jahre wurde Kroatien bis 1918 von den Habsburgern regiert. Die Spuren im Stadtbild sind bis heute unübersehbar. Etwas unerwartet jedoch offenbaren sie sich im Friedhof. Im Stil eines Barock­gartens mit sorgfältig beschnittenen Thujen angelegt, gehört er zu den schönsten Europas. Der Plan stammt von Hermann Haller (1875–1953). Von Beruf Maler, hatte der gebürtige Varaždiner in Wien studiert, sich selber zum Parkarchitekten ernannt und von 1905 bis 1946 in seiner Geburtsstadt sein Meisterwerk geschaffen und auch verwaltet.

„Im Allgemeinen ist am Varaždiner Friedhof das Gewächsmaterial das Wichtigste, und die Grabstätten innerhalb dieser sind ruhige und harmonievolle Verstecke, wo die Grabstätten nur geahnt werden. Man kann nicht sagen, dass es auf diesem Friedhof Grabstätten von Armen und Reichen gibt. Gleichmäßig aufgeteilte und gepflegte Anlagen sowie die Pflege jeder Grabstätte, ohne Unterschied, sogar derer, die schon lange niemand besucht hat, all dies gleicht das Bild vor den Augen des Besuchers aus“, so Hallers Konzept.

Weitere eindrucksvolle Grünanlagen finden sich auch unter den 354 Kulturdenkmälern, die für die Region Varaždin registriert sind: Schlösser und Parks, Sakralbauten, Museen und Galerien. Besonders spektakulär ist Schloss Trakošcan, das sich malerisch im See zu seinen Füßen spiegelt. Als „eine große und ewige Harmonie zwischen Park, See, dem Bach Bednja, den umgebenden Bergen und diesem unwirklichen Bauwerk“ beschreibt der Historiker Szabo das Anwesen, das die Familie Draškovic Mitte des 19. Jahrhunderts nach dem Vorbild deutscher Schlösser der Romantik zum Residenzschloss ausbauen ließ. Heute gehört das Märchenschloss der Republik Kroatien und ist ein Museum mit über 200000 Besuchern pro Jahr.

Für Varaždin im Mittelpunkt dieser kulturträchtigen Region wünscht man sich daher mehr als die Auszeichnung „Silberne Blume Europas“. Als Kandidat für die Weltkulturerbe-Liste der Unesco ist das schmucke Städtchen bereits nominiert.   Helga Schnehagen


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