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24.03.12 / Autopsie eines Skandals / Barschel, Dönitz und der Selbstmord eines Direktors: Schüler arbeiten die Vergangenheit ihrer Schule auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-12 vom 24. März 2012

Autopsie eines Skandals
Barschel, Dönitz und der Selbstmord eines Direktors: Schüler arbeiten die Vergangenheit ihrer Schule auf

Der Hinweis eines PAZ-Lesers auf die noch von Christian Wulff in seiner Funktion als Bundespräsident ausgezeichnete Geschichtsarbeit des Otto-Hahn-Gymnasiums in Geesthacht ist außer der zu beklagenden Diffamierung der PAZ voller interessanter Thesen. Der Versuch der Schüler in „Die Dönitz-Affäre. Der Großadmiral und die kleine Stadt“, unvoreingenommen einen Skandal der nahen deutschen Vergangenheit darzustellen, ist beachtenswert.

„Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte“ lautete das Motto des Wettbewerbs des Bundespräsidenten und der Körber-Stiftung. Um ein Thema hierfür zu finden, mussten die Schüler des Otto-Hahn-Gymnasiums in

Geesthacht nicht lange suchen. Ihre eigene Schule wurde einst zum Ausgangpunkt eines über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus reichenden Skandals, der auch noch mit prominenten Namen verbunden ist: Karl Dönitz und Uwe Barschel. Hinzu kommen zwei Selbstmorde und sehr viel böses Blut.

Alles begann mit einer Einladung des Schülervertreters Uwe Barschel, der später für die CDU Ministerpräsident in Schleswig-Holstein wurde und mit seinem mysteriösen Tod in einer Genfer Hotelbadewanne noch heute Verschwörungstheorien befeuert. Geladen war Karl Dönitz, deutscher Marineoffizier, Großadmiral, Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine, von Hitler testamentarisch zum Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches und Oberbefehlshaber der Wehrmacht gekürt, in Nürnberg von den Alliierten wegen angeblicher Kriegsverbrechen zu zehn Jahren Haft verurteilt. Barschel lud Dönitz auf Hinweis seines Geschichtslehrers Heinrich Kock ein, der Dönitz bei einem Kameradschaftstreffen getroffen hatte, wo dieser wegen seiner militärischen Leistungen und der Organisation der Evakuierung der Flüchtlinge aus Ostpreußen bei Kriegsende über See gefeiert worden war. Sein Vortrag an der Schule verlief ähnlich: Fast alle lauschten andächtig seinen militärischen Berichten. Tags darauf schrieb der Redaktionsleiter der „Bergedorfer Zeitung“ über den Besuch „Geschichtsunterricht in höchster Vollendung“ – und der Sturm der Entrüstung brach über die Schule und Geesthacht hinweg. Selbst in Frankreich berichtete „Le Monde“ über neue Nazis in Geest-hacht, die einen verurteilten Kriegsverbrecher eingeladen hätten.

Die Geesthachter Schüler der Gegenwart konnten also unzählige Zeitungsartikel für ihre Arbeit zu Rate ziehen – und haben es geschafft, sich nicht von diesen vereinnahmen zu lassen. Sie befragten zusätzlich ehemalige Schüler, lasen Sekundärliteratur, schauten, wie damals der Unterricht aufgebaut war, und betrachteten die Fakten im Kontext ihrer Zeit.

„Schnell haben wir uns gefragt, was der eigentliche Skandal ist: War es die Einladung selbst, war es die Art der Veranstaltung, war es das, was hinterher passierte, oder war es generell die Art und Weise, sich nicht mit der jüngeren Geschichte auseinanderzusetzen“, so die an der Arbeit beteiligte Schülerin Luise Jacobs in „Der Zeit“.

17 Schülerinnen und fünf Schüler begaben sich also in eine Zeit, die schon von zahlreichen Historikern beschreiben und beurteilt wurde. Doch während viele professionelle Autoren schon allein Dönitz’ Besuch als Skandal gesehen hätten, machten es sich die Schüler nicht so einfach. Sie hörten aufmerksam den Zeitzeugen zu, wahrten aber Distanz und betonen beispielsweise im Fall Barschels, dass es schwierig sei, „den Beteiligten der Dönitz-Affäre nicht von seinem Ende her zu beurteilen“. Ähnliches schreiben sie auch über den tendenziell als Feingeist und politisch unbedarft empfundenen Schulleiter Georg Rühsen, der sich wegen der Affäre das Leben nahm, indem er – genau wie der schleswig-holsteinische Kultusminister Edo Osterloh ein Jahr später – ins Wasser ging.

In der Schülerarbeit wird der Frage nachgegangen, ob die Schüler Dönitz Fragen stellen durften oder ob es Beschränkungen gab. Hierzu erhielten sie mehrere Aussagen, die sich zum Teil widersprechen. Einig sind sich jedoch alle, dass Dönitz bei seinem Besuch Raum gegeben wurde, nur seine auch im Ausland anerkannten militärischen Leistungen zu thematisieren. Seine Rolle im Nationalsozialismus und die Frage, inwieweit er die Flucht von Millionen Ostdeutschen über See wirklich organisiert habe oder diese auf eigene Initiative der jeweiligen Kriegsschiffkapitäne laufende Rettung nur nicht verboten habe, wurden ausgespart.

„Die Fragestunde wäre gar nicht skandalwürdig gewesen“, so die Schüler, „hätten die beteiligten Schüler sich als kritische und aufgeklärte Nachwuchsdemokraten erwiesen. Dass sie es nicht taten, hatte tiefere Ursachen – ein unverbesserlicher Geschichtslehrer und ein weltfremder Direktor reichen als Erklärung nicht aus, die Ursache ist eine andere: Die Kriegsgeneration hat die Jugendlichen nicht über die Vergangenheit aufgeklärt, weil sie sich selbst nicht damit auseinandergesetzt hatte. Die Affäre offenbarte also, wie weit man ,draußen im Lande‘ von einem angemessenen Umgang mit dieser Vergangenheit entfernt war.“ Aber zugleich merken die Gymnasiasten an, dass die Erwachsenen auch in ihrer eigenen Haut feststeckten. Und so sei es zwar den Lehrern anzukreiden, dass sie mit den Schülern nicht wenigstens im Nachhinein über die Ereignisse gesprochen haben – selbst der Selbstmord des Schulleiters wurde unter den Tisch gekehrt –, doch auch die Medien trügen eine Mitschuld. Erst ihr unproduktiver Umgang und ihre billige Skandalisierung habe zu einer Verhärtung der Fronten geführt. Viele Geesthachter fühlten sich persönlich angegriffen und sahen den Skandal plötzlich nur noch in der „Hetzjagd der linken Presse“, wie die Abiturienten ihren Interviews mit Zeitzeugen entnehmen konnten.

„In unserer pluralistischen Gesellschaft ist es leicht und schwer zugleich, seinen eigenen Weg zu finden“ heißt es in der „Persönlichen Reflexion“. Und trotz aller gewahrten Distanz schreiben auch diese Schüler aus der Perspektive des Geistes ihrer Zeit, was man an Wortwahl und Art der Argumentation erkennen kann. Interessant ist das zu Beginn von den Schülern ausgewählte Zitat von Mark Twain: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“

(Siehe auch S. 8) Rebecca Bellano


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