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24.03.12 / Kinder des Zeitgeistes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-12 vom 24. März 2012

Kinder des Zeitgeistes
von Christian Rudolf

Jede Geschichtsschreibung ist gleichzeitig auch Geschichtspolitik und sagt über Standpunkte und Sichtweisen der Historiker, ihrer Auftraggeber sowie ihres gesellschaftlichen Umfeldes mindestens so viel aus wie über beschriebene Geschichte selbst. Es ist eine Binsenweisheit, dass das herrschende Geschichtsbild, gerade auch das in den staatlichen Schulen gelehrte, selbstverständlich die Sicht und Deutung der herrschenden Kreise wiedergibt. Das war zu allen Zeiten so und nie anders und gilt unabhängig vom jeweiligen politischen System. Die Historiografie der Kaiserzeit verherrlichte Taten und Siege des Herrscherhauses, die der DDR vermittelte das marxistische Geschichtsbild der SED und die offiziösen (und gut bestallten) Historiker der Bundesrepublik legen nieder, was für das meinungsbildende Establishment konsensfähig ist. Autoren, deren Werke der Staatsraison zuwiderlaufen, gelten bestenfalls als „umstritten“ und gehören nicht zum Kanon der Schulliteratur.

Seit 1973 lobt der jeweilige Bundespräsident einen Geschichtswettbewerb für Schüler aus, der die „demokratischen Traditionen“ ins Bewusstsein heben soll. Der Preis wird nach wie vor von der Hamburger Körber-Stiftung mitgetragen, deren Aktivitäten eine europäisch, multikulturell, damit anti-national ausgerichtete, flexible und für die Bedürfnisse des Marktes konditionierte Elite heranbilden. Noch unter Bundespräsident Wulff wurde den Abiturienten eines Geesthachter Gymnasiums im Speckgürtel von Hamburg der Erste Preis des Wettbewerbs verliehen für ein Stück eigener gymnasialer Vergangenheitsbewältigung: Die Arbeit zeichnet mit akribischem Fleiß Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkung eines Auftritts des Großadmirals Karl Dönitz im Januar 1963 an der Schule nach. Dönitz konnte damals als Zeitzeuge referieren und präsentierte sich als umsichtiger Staatsmann. Weder Lehrer noch Schüler stellten kritische Fragen, vielmehr ließen sie Dönitz ein Geschichtsbild vertreten, das in weiten Teilen des Volkes noch akzeptiert war und mit eigenen Erfahrungen korrelierte. Das wird von den Schülern heute problematisiert und kritisiert.

Nun ist weder am Bundespräsidenten noch an der fördernden Stiftung irgendetwas Widerständiges; schon gar nicht zeugt die Klassenarbeit, die von zeitgeistigen Wertungen trieft, von einem aufmüpfigen, jugendlichen Widerspruchsgeist. Sie bewegt sich ganz einfach im Rahmen des Erwartbaren, indem sie eine vermeintliche „Nazi-Affäre“ („Die Zeit“) aufarbeitet – das macht sich immer gut. Ihr „kritischer Widerspruch“ erfolgt an erlaubter Stelle und ist harmlos, weil kanalisiert. Dass die Schüler ebenso konforme Kinder des heute herrschenden Zeitgeistes und Geschichtsbildes sind wie ihre Altersgenossen damals, die vor Dönitz schwiegen, musste ihnen verborgen bleiben.


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