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31.03.12 / Ursprung unserer herrschenden Denkverbote / Stefan Scheil über den von den USA initiierten Elitenwechsel – Gehirnwäsche durch Politikwissenschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-12 vom 31. März 2012

Ursprung unserer herrschenden Denkverbote
Stefan Scheil über den von den USA initiierten Elitenwechsel – Gehirnwäsche durch Politikwissenschaft

Stefan Scheil trägt in „Transatlantische Wechselwirkungen. Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945“ mit wissenschaftlichem Anspruch und unter detaillierter Anführung bildungspolitischer Entscheidungen und Weichenstellungen die These vor, dass die neudeutsche Elitenbildung nach 1945 ein „Teil der bewussten Siegessicherung“ der Alliierten gewesen sei – wobei er auf die Westmächte, allen voran die USA, wesentlich ausführlicher eingeht als auf die Sowjetunion. Die These ist nicht neu, schon Caspar von Schrenck-Notzing hat in seinem Werk „Charakterwäsche. Die Politik der amerikanischen Umerziehung in Deutschland“, erste Auflage in den 60er Jahren, in diese Richtung argumentiert.

Er spricht dort auch von einer „zweiten Entnazifizierung“, die ab 1958/59 in der Bundesrepublik zu beobachten sei, und die auf eine umfangreiche Gesinnungsschnüffelei hinauslaufe, weit über den Kernbestand der üblichen NS-Themen hinaus, schließlich einmündend in die Tyrannis der umfangreich ausgreifenden „political correctness“. Da diese Tyrannis sehr effektiv ist, lohnt es sich, es erneut aufzugreifen, weshalb das Werk von Schrenck-Notzing das Buch von Stefan Scheil nicht überflüssig macht. Scheil kommt von der Diplomatiegeschichte her und hat in diesem Rahmen bereits Titel vorgelegt, die das besondere Interesse der PAZ-Leser erwecken dürften, wie „Logik der Mächte. Europas Problem mit der Globalisierung der Politik. Überlegungen zur Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs“ und „Fünf plus Zwei. Die europäischen Nationalstaaten, die Weltmächte und die vereinte Entfesselung des Zweiten Weltkriegs“. So stieß er für das hier zu besprechende Buch auf das schon vor Kriegsausbruch vorhandene amerikanische Konzept der „Cultural Diplomacy“, was etwas milder klingt als „Re-Education“, aber eben diese beinhaltet. Es ging darum, „die Deutschen endgültig von der Idee abzubringen, eine souveräne Größe auf dem internationalen Parkett sein zu können“. Eine zentrale Rolle dabei, so der Autor, spielte die Etablierung einer neuen universitären Disziplin, der Politologie, mit dem Ziel, die politischen Werte der USA, allen voran die Demokratie, im Bewusstsein der Deutschen endlich unerschütterlich zu verankern. Die Politikwissenschaft diente als „Legitimationswissenschaft alliierter Nachkriegsentscheidungen“. An diesem Ziel hing die ganze Interpretation der bisherigen deutschen Geschichte als einer autoritären Fehlentwicklung, die zwingend zu den Exzessen des Dritten Reiches führte. Hierbei eine interessante Einzelheit: Der Historiker Fritz Fischer, dessen Buch „Griff nach der Weltmacht“ (1961) in diesem Zusammenhang stets zu erwähnen ist, war allerdings 1937 der NSDAP beigetreten – was nicht hinderte, ihn schon im Frühjahr 1947 zum Professor an der Universität Hamburg zu machen.

Zu Recht merkt der Autor hier an, dass die Deutschen die Demokratie nach 1945 keineswegs erst lernen mussten, denn schon das Kaiserreich habe Liberalisierungstendenzen zugelassen, die auch ohne den Ersten Weltkrieg über kurz oder lang zum Wegfall der letzten aristokratischen Machtmonopole geführt hätten. Auch war erforderlich, den Zweiten Weltkrieg als ein Ereignis zu begreifen, das aus aller bisherigen Weltgeschichte vollkommen herausfiel, also quasi ein insulares, außer-historisches Ereignis war, was natürlich eine Zumutung erster Güte für den gesunden Menschenverstand darstellt. Deshalb war das historische Bewusstsein der Deutschen auch beständig durch die Reflexion über den Zweiten Weltkrieg zu bestimmen, natürlich in der selektiven Wahrnehmung von Tatsachen, die die Sieger wenn nicht vorschrieben, so doch suggerierten. Golo Mann, bekanntlich ganz und gar kein NS-Sympathisant, bekam den Lehrstuhl für Politik in Frankfurt nachweisbar deshalb nicht, weil seine Äußerungen anzudeuten schienen, dass die Weltgeschichte sich nicht ausschließlich um die zwölf Jahre der NS-Diktatur in Deutschland drehte. Damit kommt der Autor auf die zeitgeschichtlichen Ursprünge der Denkverbote zu sprechen, die den öffentlichen Diskurs bei uns immer noch beherrschen. Allerdings geht seine Diktion häufig von historischen Sachverhalten und Beurteilungen aus, die der Leser für gegeben halten muss, die aber besser erst dargestellt und argumentativ entwickelt werden sollten. Damit darf sein vorliegendes Buch auch als Anregung verstanden werden, seine vorhergehenden Werke, die sich mit der Komplexität des Zweiten Weltkriegs befassen und von denen oben zwei angeführt sind, zur Kenntnis zu nehmen. Bernd Rill

Stefan Scheil: „Transatlantische Wechselwirkungen. Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945“, Duncker & Humblot, Berlin 2012, 275 Seiten, 28 Euro.


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