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07.04.12 / Bürgerrechtler gab es gar nicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-12 vom 07. April 2012

Bürgerrechtler gab es gar nicht
von Vera Lengsfeld

Die Behauptung von Hans-Jochen Tschiche, einst Pfarrer in der DDR und 1989 Gründungsmitglied der DDR-Bürgerrechtsbewegung „Neues Forum“, Bundespräsident Joachim Gauck wäre kein Bürgerrechtler gewesen, rauscht durch den Blätterwald. Stimmt, denn Bürgerrechtler gab es nicht in der DDR. Es gab viele unterschiedliche Formen des Widerstandes, meist, aber nicht nur, unter dem Dach der evangelischen Kirche. Die 3000 bis 4000 Menschen, die Tschiche unter dem Etikett „Bürgerrechtler“ fasst, waren die Aktivisten der „Unabhängigen Friedens-, Umwelt-, und Menschenrechtsbewegung“, wie sie sich nannten, weil das Wort „Opposition“ aus strafrechtlichen Gründen unbedingt vermieden werden musste.

Neben der Unabhängigen Friedens-, Umwelt-, und Menschenrechtsbewegung gab es noch jede Menge anderer Initiativen. Wir hatten ja die heutigen Kommunikationsmittel nicht zur Verfügung. Auf alle, die Widerstand gegen das SED-Regime leisteten, wurde im Herbst 1989 der Begriff Bürgerrechtler angewandt. Insofern trägt Gauck ihn mit Recht.

Tschiches absurde Verkürzung, Bürgerrechtler wäre nur gewesen, wer einen Rauschebart, zerknitterte Hosen und eine linke Gesinnung gehabt hätte, ist schon deshalb lächerlich, weil über die Hälfte der Aktivisten Frauen waren, die sich aus naheliegenden Gründen keine Bärte stehen lassen konnten und eher selten in zerknitterten Hosen auftraten.

Das „Neue Forum“ wurde übrigens von einem exklusiven Kreis gegründet, zu dem zum Beispiel Rainer Eppelmann und ich nicht gehörten. Sind wir deshalb „auf den fahrenden Zug aufgesprungen“, wie Tschiche Gauck vorwirft?

Richtig infam aber wird es, wenn Tschiche behauptet, Gauck hätte aus eigennützigen Motiven eine Stasiunterlagenbehörde haben wollen, um deren Chef sein zu können. Dies wäre dann das Geschenk „der westdeutschen Politik an das ostdeutsche Verlangen“ gewesen. Dann deutet er noch an, die Behörde bewege sich „am Rande der Legalität“.

Hier wird Tschiche zum Denunzianten und Geschichtsfälscher. Die Stasiunterlagenbehörde und die Öffnung der Stasiakten wurden von der Bürgerrechtsbewegung gegen starke Widerstände in allen Parteien, außer Bündnis 90/ Grüne, durchgesetzt. Dass sie gegen alle Zweifel, die gab es anfangs auch bei unseren osteuropäischen Freunden, zu einer Erfolgsgeschichte und heute zum Modell für andere Länder werden konnte, ist vor allem Gauck zu verdanken, der von Anfang an keine „Spezialmoral“ zuließ, sondern sich an Rechtsstaatlichkeit hielt.

Auch stand Gauck mit seinem Verlangen, die DDR loszuwerden, keineswegs allein, sondern es waren die Massendemonstrationen für die deutsche Einheit, die maßgeblich für die Dynamik der Ereignisse waren. Weil die Bürgerrechtsbewegung das nicht erkannt hatte, kam sie bei der Wahl zur ersten freien Volkskammer nur knapp auf fünf Prozent. Tschiches fatale Fixierung auf die DDR hat ihn 1994 zum Architekten der rot-grünen Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt werden lassen, die sich von der SED/PDS dirigieren ließ. Zum Schaden von Sachsen-Anhalt, das sehr schnell zum Schlusslicht unter den Neuen Ländern wurde. Eine Position, die es erst unter einer konservativen Regierung verlor.

Dass es überall dort, wo die SED-Linke das Sagen hat, auch nach über 20 Jahren noch nicht richtig vorangeht, dass es die aus seiner Sicht kritikwürdige Marktwirtschaft war, der wir es zu verdanken haben, dass aus den DDR-Ruinen wieder blühende Landschaften wurden, will Tschiche nicht wahrhaben. Er verharrt lieber in seinen alten linken Träumen, die für die Meisten zum Albtraum wurden.

Was wir ganz bestimmt nicht brauchen, sind die Rezepte, nach denen die SED eine Volkswirtschaft, die Umwelt und viele Menschen ruiniert hat.


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