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07.04.12 / Politik gegen das Gesetz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-12 vom 07. April 2012

Gastkommentar
Politik gegen das Gesetz
von Frieder Berg

Paragraf 266 des deutschen Strafgesetzbuches regelt die Untreue. Wer die ihm durch Gesetz eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, missbraucht, oder die ihm kraft Gesetzes obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch demjenigen, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Schaden zufügt, wird mit Freiheitsstrafe von maximal fünf Jahren bestraft. In schweren Fällen reicht der Strafrahmen bis zu zehn Jahren.

Vorstände von Aktiengesellschaften, Geschäftsführer und Manager der verschiedensten Unternehmen haben diese Vorschrift bereits kennen- und fürchten gelernt. Dabei geht es in der Regel weniger um die erste Alternative dieses Straftatbestandes, nämlich den Missbrauch einer nach Außen bestehenden rechtlichen Befugnis durch Überschreitung interner Restriktionen. Beispiel: Ein Prokurist – nach dem Gesetz zu umfassender Vertretung befugt – schließt ohne Rücksprache einen Vertrag mit einem Volumen von über zehn Millionen Euro ab, obwohl er nach seinem Anstellungsvertrag ab fünf Millionen die Zustimmung eines Geschäftsführers braucht. Viel gefährlicher für jeden leitenden Angestellten ist die zweite Tatbestandsalternative, der sogenannte Treuebruchstatbestand. Beispiel: Der Prokurist schließt – formal völlig korrekt – ein Geschäft über vier Millionen Euro ab, sein Geschäftspartner geht pleite und das Geld ist weg. Hat der Prokurist dies zumindest billigend in Kauf genommen, hat er also die Möglichkeit des Forderungsausfalls gesehen und trotzdem gehandelt, so ist er nach der zweiten Alternative wegen Untreue strafbar.

Spannend wird dieser Tatbestand, wenn das ganz große Rad gedreht wird. Nehmen wir einmal an, die Vorstandsvorsitzende einer als Aktiengesellschaft börsennotierten Großbank entschließt sich, zusammen mit rund einem Dutzend Banker weiterer Banken einem maroden Bankinstitut 130 Milliarden Euro zu leihen. Die Großbank unserer Vorstandsvorsitzenden ist an dem gemeinsamen Risiko mit einem Betrag von über 20 Milliarden Euro beteiligt. Vermeintlicher Grund für das riskante Geschäft ist, dass eine Insolvenz des maroden Bankinstituts möglicherweise das Vertrauen in das Bankensystem insgesamt gefährden könnte. Sicher nur, dass es keine Garantie gibt, dass mit den 130 Milliarden Euro das marode Institut überhaupt gerettet werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass zu befürchten ist, dass es zu einem Wechsel im Management der Pleitebank kommt und die neue Führungsmannschaft die vagen Zusagen ihrer Vorgänger ignoriert und stattdessen nach neuem Geld schreit. Bereits die Vergabe dieses Kredits gefährdet die Kreditwürdigkeit der Bank der Vorstandsvorsitzenden und schädigt damit deren Aktionäre. Die Rechtsfolge in diesem konstruierten Fall ist eindeutig klar: Die Vorstandsvorsitzende hätte sich wegen Untreue strafbar gemacht.

Dieser Fall ist jedoch (hoffentlich) fiktiver Natur. Traurige Tatsache aber ist leider, dass die Bundesregierung zusammen mit den anderen Euroländern und dem Internationalen Währungsfonds Griechenland 130 Milliarden Euro leiht. Deutschland muss für gut 20 Milliarden Euro gerade stehen. Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat verkündet: „Es gibt keine Garantien, dass der eingeschlagene Weg zum Erfolg führt“ (zitiert nach „Die Welt“ vom 25. Februar 2012). Die Gefahr ist bekannt, dass sich eine Nachfolgeregierung in Griechenland nicht an die Zusagen ihrer Vorgänger halten wird.

Paragraf 266 Strafgesetzbuch unterscheidet nicht zwischen Managern privater Unternehmen einerseits und Inhabern öffentlicher Ämter andererseits. Die Rechtsprechung hat dies bereits klar gestellt. Der Vergleich mit dem fiktiven Fall belegt eine Selbstverständlichkeit: Auch in diesem tatsächlichen Fall ist deshalb Untreue nach Paragraf 266 Strafgesetzbuch gegeben. Man könnte diesen speziellen Fall der Untreue, bei dem die Vermögensinteressen eines ganzen Staates verletzt werden, sogar mit einem eigenen Begriff verdeutlichen: Staatsuntreue.

Auch Rechtfertigungsgründe für dieses Handeln gibt es nicht. Ein Rechtfertigungsgrund kann zwar jeder geltenden Rechtsnorm entnommen werden. Es gibt aber keine geltende Rechtsnorm, in der stünde, dass Griechenland in der jetzigen Situation 130 Milliarden Euro zu leihen sind. Im sogenannten Stabilisierungsmechanismusgesetz, auf das sich die Bundesregierung beruft, steht dieser Betrag nicht. Dieses Gesetz erlaubt auch keine verlorenen Zuschüsse dieser Größenordnung. Auch der Bundestagsbeschluss vom 27. Februar 2012, der das Handeln billigte, ist kein Gesetz, durch das eine rechtfertigende Rechtsnorm geschaffen würde. Der einzige Unterschied zu der fiktiven Fallkonstellation besteht darin, dass die handelnden Personen im tatsächlichen Fall Immunität und Indemnität genießen. Die Immunität kann aufgehoben werden. Die Indemnität schützt nur vor der Strafverfolgung wegen strafbarer verbaler Äußerungen im Parlament. Die Indemnität schützt aber nicht gegen Verfolgung wegen anderer Delikte, zum Beispiel wegen Untreue nach Paragraf 266 Strafgesetzbuch. Die Staatsuntreue ist also nicht nur strafbar, sondern auch verfolgbar.

Bleibt abschließend die Frage nach dem Strafmaß. Zweifelsohne ist im Hinblick auf die immense Höhe des Schadens ein besonders schwerer Fall gegeben. Der Strafrahmen liegt also zwischen drei Monaten und zehn Jahren. Da die handelnden Personen nicht vorbestraft sind, läge die Straferwartung wohl trotz des Milliardenschadens eher in der unteren Hälfte, also bei einer Freiheitsstrafe von drei oder vier Jahren. Eine Strafe dieser Dauer wäre in Strafhaft zu verbüßen und kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei Erstverbüßern wird aber in der Regel nach der Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe – also nach 18 bis 24 Monaten – der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt; auch käme durchaus eine Verbüßung der Strafe im offenen Vollzug in Betracht.

Strafrechtliche Betrachtungen können politische Wertungen nicht ersetzen. Wenn aber politische Entscheidungen bei schulmäßiger Prüfung eindeutig als Straftaten qualifiziert werden müssen, ist äußerste Vorsicht geboten: Vorsicht bei den Entscheidern, beim Parlament, aber auch bei jedem einzelnen Bürger. Politik kann man nicht mit den Paragrafen des Strafgesetzbuchs machen. Aber Politik darf man sicher nicht gegen die Paragrafen des Strafgesetzbuches machen.


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