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07.04.12 / Als »öko« noch nicht schick war / »Die Absicht ... ist schlicht Aufklärung« – Zum 90. Geburtstag Carl Amerys

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-12 vom 07. April 2012

Als »öko« noch nicht schick war
»Die Absicht ... ist schlicht Aufklärung« – Zum 90. Geburtstag Carl Amerys

Der Münchner Schriftsteller und Essayist Carl Amery ist vielen noch als radikaler Ökologe, Umweltschutzaktivist und Gründungsmitglied der Grünen ein Begriff. Bekannt wurde der Linkskatholik in den 60er Jahren durch seine Kritik am deutschen Katholizismus, an dem er sich zeitlebens abarbeitete. Der Vielschreiber galt als profunder Kenner der Kultur und Volksseele Bayerns und als eigenwilliger politischer Vordenker. Amery, der eigentlich Christian Anton Mayer hieß, wollte mit keinem Etikett bedacht werden.

In München am 9. April 1922 zur Welt gekommen, studierte er, unterbrochen durch seine Einberufung und die Gefangenschaft im Zweiten Weltkrieg, Literatur und Neuphilologie. Seine beiden ersten Romane „Der Wettbewerb“ und „Die große Tour“ trugen ihm zur Adenauerzeit den Ruf eines Satirikers ein. Er war Mitglied der Gruppe 47, Vorsitzender im Verband deutscher Schriftsteller und Präsident des deutschen PEN-Zentrums.

Der Katholizismus war für ihn immer ein Reizthema. Bereits in seiner Streitschrift „Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute“ (1963) bemängelte er die Nähe der Kirche zur bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft, weil Fragen zu Politik und Gesellschaft nicht vorrangig aus christlicher Verkündigung heraus beantwortet würden. Die Befürwortung der Atomwaffenpolitik durch katholische Geistliche verurteilte er als „ethische Steuerberatung“. Die Kritik an der Unterordnung der Kirchen unter den totalen Markt hielt er bis zuletzt bei: Um der Bedeutungslosigkeit zu entgehen, dürfe die Kirche sich nicht länger in die als alternativlos gepriesenen Strukturen einreihen. Es sei historischer Auftrag und ein Gebot der Selbsterhaltung, den „Kreuzzug“ – so Amery im gleichnamigen Essayband – „für eine bewohnbare Welt Gottes auszurufen“.

Große Beachtung fanden seit den 70er Jahren seine Essays „Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums“ (1972), „Natur als Politik. Die ökologische Chance des Menschen“ (1976) und „Das ökologische Problem als Kulturauftrag“ (1988) – alle zur ökologischen Krise. Die alttestamentliche Botschaft, der Mensch solle sich die Erde untertan machen, sah er als eine Ursache der sozialen und ökologischen Zerstörung an. Eine wirksame Umweltpolitik erfordere einen Kulturentwurf, in dem der Naturschutz als Schutz des Menschen vor sich selber verstanden werde. Den Grünen, deren Gründungsmitglied er war, warf Amery in „Die Grünen und die Goldene Horde“ (2005) zunehmende Selbstgefälligkeit und Verblendung vor: Trotz einiger Fortschritte, wie im Energiebereich, habe es einen grundsätzlichen Perspektivwechsel in der Politik seit 1998 nicht gegeben.

Das Nachdenken über die Zukunft floss auch in sein Romanwerk ein. In der absonderlichen und im Dialekt erzählten Science-Fiction-Geschichte „An den Feuern der Leyermark“ bestellt 1866 ein Münchner Beamter 560 Godfrey-Rifles aus den Restposten des amerikanischen Bürgerkrieges und erhält nicht nur die Waffen, sondern die Scharfschützen gleich mit. Am 4. Juli gewinnt Bayern in Schandau gegen die Preußen und wird ein selbstständiger Staat, die Leyermark.

Diese Gedankenspiele des „Was wäre, wenn?“ teilte er mit dem ebenso gläubigen englischen Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton, auch wenn er nicht mit all dessen Schrulligkeiten konform ging. Das hinderte ihn aber nicht an der Herausgabe der Werke des romantischen Protestierers, die sich durch Spöttelei und Scharfsinn auszeichneten. Gerade diese Unangepasstheit machte beide auch über den katholischen Leserkreis hinaus bekannt.

Gleichsam nahm Amery in „Die Wallfahrer“ die besondere Frömmigkeit der Katholiken aufs Korn und schilderte Pilgerfahrten zur Madonna von Tuntenhausen vom 17. Jahrhundert bis zum Untergang der Erde. Alle Menschen würden ihre Gebete in der Hoffnung auf Erlösung sprechen, ohne tatsächlich zu wissen, wie am jüngsten Tag die Bilanz aussehen werde.

Er warnte vor dieser Bilanz, die angesichts eines unverzeihlich hohen Ressourcenverbrauchs verheerend ausfalle. Die Gefahr bliebe, dass totalitäre Maßnahmen als Lösungen für alle Probleme herangezogen werden. Die Reduzierung der Moderne auf reine Naturgeschichte, dem Recht des Stärkeren, ist so treffend in „Hitler als Vorläufer“ geschildert, dass die heutige Orientierung an althergebrachten Denkmustern aus linken oder rechten und anderen Strömungen äußerst naiv erscheint.

In seinen Analysen las er den Geldgierigen und Verblendeten schonungslos die Leviten. Als Optimist zeigte er gleichzeitig Auswege aus der Misere auf: Der Mensch könne nur dann die Krone der Schöpfung bleiben, wenn er gleichzeitig wisse, dass er sie nicht ist.

Schließlich war seine Absicht, wie er in „Briefe an den Reichtum“ schreibt, schlicht Aufklärung. Am 24. Mai 2005 verstummte diese bayerisch klingende und doch in die Welt hinausrufende Stimme. Ulrich Blode


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