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07.04.12 / Amseln waren ihm Inspiration / Vor 125 Jahren wurde der Komponist und Dirigent Heinz Tiessen geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-12 vom 07. April 2012

Amseln waren ihm Inspiration
Vor 125 Jahren wurde der Komponist und Dirigent Heinz Tiessen geboren

Über alle Erfahrung hinweg immer wieder zum Spontanen zurückfindend, zur gläubigen Hingabe an die innere Schau, empfindet Tiessen als die ewige Aufgabe des Künstlers“, so beschrieb einmal Ruth Maria Wagner, langjährige Kulturredakteurin der Wochenzeitung Das Ostpreußenblatt, das Schaffen des Komponisten Heinz Tiessen. Er habe sich in vielen Stilen versucht, sei ein begnadeter Musiker gewesen, „hineingeboren in eine Zeit, in der Altes stürzte und Neues noch nicht vollendet werden konnte. Die expressionistische Richtung verstand er von Anfang an als Bekenntnismusik jenseits aller Modeströmungen, aller Maßlosigkeit … Natur und Kunst vereinen sich in seinem Werk.“

Geboren wurde Heinz Tiessen am 10. April 1887 in Königsberg, verlebte aber entscheidende Jugendjahre in Allenstein, von dem er noch im hohen Alter liebevoll erzählte. 1905 ging er nach Berlin und studierte dort Philosophie, Musik und Literatur, am Sternschen Konservatorium Komposition und Dirigieren. Kritiker an der „Allgemeinen Musikzeitung“, Korrepetitor am Königlichen Opernhaus, Assistent bei Richard Strauss, Kapellmeister und Schauspielkomponist an der Volksbühne, Gründungsdirigent eines gemischten Laienchores, schließlich Lehrer für Komposition und Theorie an der Hochschule für Musik, Professor, Mitglied der Akademie der Künste, deren Musikabteilung er seit 1955 leitete, sind nur einige Stationen, die zeigen, wie abwechslungsreich das Leben des Ostpreußen war. Zu seinen Schülern zählten später so bedeutende Musikschaffende wie Sergiu Celebidache oder Eduard Erdmann. „Tiessen war uns Mentor, weise, geduldig, unkonventionell lebendig, voll von universellem Wissen und Musikalität. Am meisten imponierte uns, dass er jede Art von Musik nach dem Gehör spielen konnte“, schilderte die Schlesierin Anneliese Schier (1923–1984) ihren Lehrer und späteren Ehemann.

Als Komponist hat der Allensteiner aus Königsberg international Anerkennung erhalten. Berühmte Interpreten und Dirigenten nahmen sich seines Werkes an. „Tiessens Werk“, so der Musikschriftsteller und Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt (1901–1988), „spiegelte die Entwicklung der deutschen Musik von der Jahrhundertwende bis zum Expressionismus der Zeit zwischen den Weltkriegen. Er hat seit der ,Naturtrilogie‘ (die Eduard Erdmann unvergeßlich spielte), dem ,Amsel-Septett‘ von 1915 (dessen für Orchester gesetztes Finale Wilhelm Furtwängler 1918 uraufführte) und der ,Duo-Sonate‘ für Violine und Klavier 1925 die Krise der Tonalität ebenso individuell verkörpert wie eine harmonisch freie lineare Polyphonie. Unermüdlicher Beobachter und Sammler von Vogelrufen, eine Generation vor Olivier Messiaen, ließ er sich durch Amselmelodien zu Liedern anregen, die wiederum auf seine Kammer- und Orchestermusik zurückwirkten. Exotische moderne Tänze aus dem Jazz- und Tangobereich haben ihn vielfach beeinflusst und zu eigener Erfindung in ihrem Genre inspiriert. Als Autor von Büchern wie als Lehrer wirkte er lebenslang im Dienste einer technisch und geistig fundierten Erneuerung der Überlieferungen.“

Seine „Naturtrilogie für Klavier“ gilt noch heute als Hymne auf seine Heimat Ostpreußen. Die drei Sätze tragen die Titel „Einsamkeit“ (Auf dem Gipfel der toten Düne), „Barcarole“ (Am Kurischen Haff) und „Notturno Tempestoso“ (Nacht am Meere). Tiessen schrieb Orchesterwerke, Kammermusik, Stücke für Orgel oder Klavier, Lieder für Sologesang, Musik für das Theater und Chormusik, er schrieb aber auch Bücher und Essays. Seine Untersuchung über den Gesang der Amsel erregte besonderes Aufsehen. – Am 29. November 1971 wurde Heinz Tiessen von dieser Welt abberufen. Zwei Jahre zuvor war sein Schaffen mit der Verleihung des Ostpreußischen Kulturpreises gewürdigt worden. Sein Nachlass wird seit 1978 in der Berliner Akademie der Künste gepflegt. Silke Osman


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