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07.04.12 / Ein Gutshaus erzählt / Polnische Familienchronik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-12 vom 07. April 2012

Ein Gutshaus erzählt
Polnische Familienchronik

In dem Roman „Die Lebenden und die Geister“ berichtet die Autorin Diane Meur von den Umbrüchen in Europa, vorrangig im Polen des 19. Jahrhunderts. Als es dem ebenso schönen wie hochnäsigen Jozef Zemka gelingt, nicht nur den Posten des Gutsverwalters des Gutes des Barons von Kotz in Galizien, sondern auch noch das Herz von dessen Tochter zu erringen, scheint sich das Leben des jungen Emporkömmlings endlich zum Guten zu wenden. Die Tatsache, dass seine pummelige Ehefrau Clara nur Töchter zur Welt bringt, lässt ihn dennoch mit seinem Schicksal hadern. Es sind jedoch Zeiten des Wandels, politische und soziale Veränderungen warten praktisch schon vor der Tür. Und somit kann der wenig umgängliche Jozef Zemka nur einen Teil seiner Energie darauf verwenden, seine wenig elegante Ehefrau heimlich zu tyrannisieren.

„,Kommen Sie, Onkel, Sie machen schöne Worte. Sind es vielleicht die Aristokraten, die bei Euch Heu einfahren und den Boden bestellen? Die Adelsrepublik war ein Mythos, ein gefährlicher Mythos; er hat Polens Untergang beschleunigt. Und unser Vaterland wird nicht ohne sein Volk, sein wahres Volk, wiedererstehen.‘ Wie scharf er zu ihm spricht, der Sohn seines Bruders, wo er doch immerhin sein Onkel, sein künftiger Wohltäter ist! Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben muss sich Jozef die Argumente eines Ebenbürtigen anhören, und seine festen Standpunkte wanken. Wie bitte? Was er sein Leben lang in Ehren zu halten gelernt hat, soll nur ein Mythos sein ...?“

Diane Meur umfasst in ihrem Roman ein Jahrhundert polnischer Zeitgeschichte und vier Generationen, das Ende einer alten und den Beginn einer neuen Ära. Der stark geschichtslastige Roman lässt jedoch wenig Raum für Gefühle. Zwar wird in der Familiensaga auch über Schicksalsschläge, verbotene Liebschaften und Heimlichkeiten berichtet, doch werden die Emotionen der Personen nur beiläufig erwähnt. Ungewöhnlicherweise lässt Meur den gesamten Roman aus der Sicht des Anwesens erzählen, was eine Erklärung für die fehlenden großen Gefühle darstellt und den Vorteil hat, dass der Leser immer erfährt, was sich gerade in welchem Teil des Hauses so abspielt.

Stets sind die Berichte des Anwesens von einer sanften Trägheit geprägt. Das Haus scheint sich zwar für das Schicksal seiner Bewohner zu interessieren, beobachtet jedoch stets die mehr oder minder aufregenden Ereignisse mit Gelassenheit, da ein Eingreifen sowieso nicht möglich ist. Es gibt jedoch auch Geheimnisse, welche sogar für das Haus ungelüftet bleiben: „Ich komme und gehe, ohne mich besonders vorzusehen: Nachts wundert sich niemand über das Knarren meines Parketts oder meines Gebälks. Ich schlüpfe durch Flure, in denen die Dunkelheit beinahe fassbar ist, wo sich eine kleine Jagdszene und eine Ansicht von Krakow an der Wand langweilen, und auf einer Anrichte ein Strauß verblühter Blumen vor sich hin welkt. Ich steige hinauf und hinunter; die Uhren ticken, die Münder atmen, Würmer nagen unermüdlich im Schrankboden …“

„Die Lebenden und die Geister“ ist ein historischer Roman mit Klasse. Das Debütwerk der jungen französischen Autorin Diane Meur wurde bereits mit zahlreichen Preisen geehrt. Vanessa Ney

Diane Meur: „Die Lebenden und die Geister“, dtv, München 2012, broschiert, 528 Seien, 12,90 Euro


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