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14.04.12 / Entschädigung für verlorene Jugend / Endlich psychologische Betreuung für ehemalige Bewohner von DDR-Kinderheimen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-12 vom 14. April 2012

Entschädigung für verlorene Jugend
Endlich psychologische Betreuung für ehemalige Bewohner von DDR-Kinderheimen

Insgesamt 474 staatliche Kinderheime gab es in der DDR. Laut Experten durchliefen rund 500000 Jugendliche diese Einrichtungen, viele wurden dort missbraucht. Besonders in den 32 Jugendwerkhöfen, in denen das DDR-Regime bis 1989 die Umerziehung zum sozialistischen Menschen erzwang, herrschten Gewalt und Willkür. Nun plant der Bund erstmals Entschädigungen.

Ein Ort besonderen Schreckens für Jugendliche war der einzige geschlossene Jugendwerkhof der DDR in Torgau. Die Anstalt sollte disziplinieren und war unmittelbar dem Ministerium für Volksbildung und damit Ministerin Margot Honecker unterstellt. Von Beginn der Anstalt 1964 bis Anfang November 1989 durchliefen rund 4000 Jugendliche von 14 bis 18 Jahren den gefängnisartig gesicherten Komplex. Wer im Erziehungswesen der DDR unangenehm auffiel, konnte hier eingewiesen werden. In der Regel hatten die Jugendlichen nicht einmal geringfügige Straftaten begangen, wurden aber hinter den hohen Mauern und vergitterten Fenstern drei bis sechs Monate zum Objekt militärischen Drills sowie sozialistischer Umerziehung. Ob es sich um bekennende Punker oder Kinder politisch als unzuverlässig eingestufter Eltern handelte: Die Bandbreite der vermeintlichen Gründe für eine Einweisung war groß, mitunter reichte Schulschwänzen. Oft hatten die Jungen und Mädchen bereits andere DDR-Heime durchlaufen und endeten nach einer Flucht vor den dortigen Zuständen in Torgau. Zur Begrüßung verordnete man dort Neuankömmlingen in der Regel drei Tage Einzelhaft, „um den Willen zu brechen“, berichten Betroffene. Schwerstarbeit, Kriechen unter Drahtverhauen, drakonische Strafen und Zwangsausschulung kennzeichneten diesen Alltag. Ebenso gehörten körperliche Übergriffe unter den Jugendlichen zum System.

Die Bundesregierung und die neuen Bundesländer finanzieren jetzt je zur Hälfte einen Fonds über 40 Millionen Euro, um medizinische wie pflegerische Leistungen für die ehemaligen Heiminsassen zu ermöglichen. Ab Juli können Anträge gestellt werden. Die Laufzeit des Programms beträgt vorerst fünf Jahre.

Wie wichtig gerade die bisher allein von den Betroffenen selbst zu zahlende psychologische Betreuung ist, zeigt ein Blick auf eines der dunkelsten Kapitel Heimgeschichte: Immer wieder kam es beispielsweise im vormaligen Gefängnis Torgau zu Selbsttötungen verzweifelter junger Insassen. 1982 zündete sich der 16-jährige Rainer F. in seiner Zelle an und verbrannte. Noch im April 1988 erhängte sich der 17-jährige Steve B. in der Isolierzelle. Unter der erlebten Gewalt und den Demütigungen leiden die Betroffenen bis heute. In der DDR mussten sie schweigen. Bei Entlassung hatten sie das schriftlich zu geloben. Nun sollen sie für ihre Arbeitsleistung in den Heimen mit einer Einmalzahlung entlohnt werden. Zusätzliche neue Beratungsstellen sind ebenfalls geplant.

Die Verantwortliche für das DDR-Heimwesen, Margot Honecker, spricht hingegen in ihrem kürzlich ausgestrahlten ARD-Interview im Rahmen der Dokumentation „Der Sturz“ bis heute aus ihrem chilenischen Exil von den Jugendlichen der Werkhöfe als „Asozialen“. Mitleid habe sie zwar gehabt, aber nur mit den Kindern politischer Flüchtlinge, die „von den Eltern im Stich gelassen“ worden seien. Doch auch sie endeten oft in Heimen oder Werkhöfen. Andere wurden zur Zwangsadoption freigegeben und von linientreuen Genossen systematisch den leiblichen Eltern entfremdet. Bis heute verweigern viele der inzwischen Erwachsenen jeden Kontakt zu ihren Eltern. Honecker ist, trotz ihrer Zuständigkeit für diese Menschenrechtsverletzungen, bis heute nicht juristisch belangt worden. Im Gegensatz zu den Opfern, denen oft jede Schulbildung und damit entsprechende Berufe und Renten verweigert wurden, lebt sie von 1500 Euro Rente im Monat – „unverschämt“ wenig, so Honecker.

Um das noch heute zwischen Elbe und Oder in Teilen der Bevölkerung verbreitete Bild vermeintlich guter DDR-Heimerziehung zu korrigieren und den Betroffenen eine Stimme zu verleihen, widmet sich die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau in einer bundesweit ersten Wanderausstellung „Ziel: Umerziehung“ der Wirklichkeit der von Unter-drückung geprägten Heimerziehung in der DDR.             SV


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