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21.04.12 / Mitteleuropäische Irritationen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-12 vom 21. April 2012

Mitteleuropäische Irritationen

Seinen nun auch auf Deutsch erschienenen Comic-Roman „Alois Nebel“ hatte der 39-jährige Schriftsteller, Dramatiker und Drehbuchautor Jaroslav Rudiš natürlich dabei. Und beim 21. deutsch-tschechischen Brünner Symposium der Ackermann-Gemeinde und Bernard-Bolzano-Gesellschaft am Palmsonntag-Wochenende zum Thema „Unverstandene Nachbarn“ las er auch einige Passagen daraus vor. Das Werk spielt im tschechisch-polnischen Grenzgebiet, dem Sudetenland – wie passend für die Veranstaltung.

Vier weitere Schriftsteller verschiedener Nationalitäten tauschten auf dem Podium ihre Erfahrungen zum Thema „Mitteleuropäische Irritationen“ aus. Über ein slowakisch-ungarisches Grenzstädtchen hat der in Eipelschlag in der Südslowakei lebende Péter Huncík den Roman „Grenzfall“ verfasst, in dem er das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien von der k. u. k. Monarchie bis zum Jahr 1968 beleuchtet. „Ich wusste nicht, wer ich bin“, blickte Huncík auf seine Kinderjahre zurück, wenn beim Essen am Sonntag Ungarisch gesprochen wurde, aber neben Ungarn auch Deutsche, Juden und Slowaken am Tisch saßen. Die aktuellen Entwicklungen (Gesetzgebung in der Slowakei, Angebot der doppelten Staatsbürgerschaft durch den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán) will er in einem neuen Buch abhandeln. Zusammenfassend meinte Huncík: „Das Ganze, was uns das 20. Jahrhundert gebracht hat, kann man nur mit viel Humor ertragen.“

Die Situation in Ungarn kritisierte der von dort stammende, 1929 geborene und heute in Wien lebende Publizist Paul Lendvai. „Ich weiß, was Intoleranz und verblendeter Nationalismus ist“, meinte er zum Zusammenleben verschiedener Volksgruppen. Den Politikern riet er, zuzuhören und Diskussionen mitzumachen.

Für die 71-jährige Dramaturgin und ehemalige Dissidentin Eva Kanturková aus Prag ist das Schreiben eine Aufarbeitung von Traumata. „Man muss mit seinem Fall die Gesellschaft berühren, dann kommt sofort alles ins Schwingen“, verrät die Prosaistin, die auch autobiografische Werke geschrieben hat.

Ein dokumentarischer Roman ist „BergersDorf“ von Herma Köpernik-Kennel. Darin geht es um den bei Iglau gelegenen Ort Bergersdorf, der zum Dorf eines SS-Generals wurde und dafür bitter bezahlte. Ein Kapitel handelt von der Mordnacht in der Budinka bei Dobrenz. Dies löste polizeiliche Ermittlungen aus, die im Jahr 2010 zur Exhumierung des Massengrabes führten. „Ich fühlte mich der Wahrheit verpflichtet, das Thema machte mich immer neugieriger“, erläuterte Köpernik-Kennel.

Völlig anders, mit Comic-Figuren, arbeitet Jaroslav Rudiš. Dabei behandelt er aber auch sehr ernste Themen wie etwa die wilden Vertreibungen. Der Titelfigur Alois Nebel gewinnt er mehrere Interpretationen ab. Rückwärts gelesen ergibt der Name „Leben“ – „ein Leben, das sich im Nebel ver­steckt“, so Rudiš. Doch zum Ausdruck kommt auch, dass er bei den Recherchen oft „im Nebel suchen“ musste. Dabei stieß er immer wieder auf deutsche Dokumente und auf verschwundene Geschichten, die sehr spannend und oftmals auch geheimnisvoll waren. „Alois Nebel“ wurde 2011 verfilmt, seit einigen Monaten liegt die Comic-Trilogie auch in einer deutschen Fassung vor.    Markus Bauer


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